Die Szene wechselte erneut und zeigte einen weiten Panoramaschwenk über Reihen um Reihen von Rebellen, die in einem Schützengraben Posten bezogen hatten. Es regnete in Strömen.
Männer, Frauen und Kinder standen Seite an Seite, alle bewaffnet und alle bereit zum Kampf. Ihre Gesichter wirkten müde, aber entschlossen. Ohnesorg kommentierte weiter: »Es gibt keine Nichtkombattanten in dieser Rebellion, weil das Imperium sie alle töten würde. Nur, weil sie wagen, eine eigene Meinung zu besitzen. Weil sie es wagen, gegen den Diebstahl und die Verwüstung ihrer Welt zu protestieren. Sie kämpfen um ihr Leben und um ihre Zukunft, ohne Unterlaß, ohne jede Pause. Und ich kämpfe jetzt an ihrer Seite. Genau so, wie ich eines Tages vielleicht an Eurer Seite kämpfen werde, für Euer Leben und Eure Zukunft. Weil es dem Imperium nämlich egal ist, wen es bei seiner endlosen Suche nach immer mehr Reichtum und Macht und Selbstbefriedigung zerstört.«
Jakob Ohnesorg füllte erneut den Schirm. Mitgenommen, aber noch immer leidenschaftlich. Stark, verläßlich, entschlossen. Der Mann mit Narben in den Augen. »Heute nacht, meine Freunde, bringen wir Euch zum ersten Mal in Eurem Leben die Wahrheit. Was hier auf Technos III geschieht, könnte jedem von Euch zustoßen. Wenn irgendein Aristo Euren Planeten haben will, dann kann er ihn sich nehmen, und niemand wird ihn daran hindern. Wenn er dann beschließt, Euch alle zu Tode zu schinden, dann wird niemand eine protestierende Stimme erheben, solange nur alle daran verdienen. Die Imperatorin rafft mehr und mehr Macht an sich und verlangt mehr und mehr von ihren Untertanen, alles im Namen einer Invasion fremder Mächte, die vielleicht niemals stattfinden wird. Das Parlament kann Löwenstein nicht aufhalten. Es ist faul und korrupt geworden, genau wie unsere Aristokraten.
Was Ihr auch immer besitzt, sie können es Euch wegnehmen.
An was auch immer Ihr glaubt, sie können es zerstören. Und sie werden es tun, wenn niemand sie aufhält.
Ich bitte Euch nicht, loszurennen und unserer Rebellion beizutreten. Noch nicht. Vergeßt nur nicht, was Ihr heute gesehen und gehört habt, und denkt darüber nach. Hört nicht auf die Lügen, die das Imperium Euch über uns Rebellen erzählt. Wir sind genau wie Ihr, mit der einzigen Ausnahme, daß wir unser Leben einer einfachen Wahrheit gewidmet haben. Daß nämlich alle Menschen, ob Klone oder Esper oder Normalgeborene, gleich geschaffen sind und das gleiche Recht haben, über ihr Schicksal zu bestimmen. Ihr könnt uns helfen. Wenn Ihr wollt…«
Und in diesem Augenblick wurden im gesamten Imperium die Schirme dunkel. Statik summte und knisterte eine Weile, bevor die lokalen Sender das Programm übernahmen und eilig andere Sendungen zeigten. Später würde man die Unterbrechung des Programms als einen weiteren Streich der Kyberratten abtun. Nichts davon wäre echt gewesen. Niemand mußte sich wegen irgend etwas Gedanken machen. Die Zuschauer würden die wirklichen Umstände auf Technos III bald mit eigenen Augen sehen können, da die Wolfs den Kameras großzügig erlaubten, bei der Fertigstellung des ersten neuen Antriebsaggregats im Rahmen einer Zeremonie in genau zwei Tagen dabeizusein.
Zurück auf Technos III , an der Oberfläche außerhalb des Fabrikkomplexes, senkte Kardinal Kassar mit befriedigtem Grinsen den Disruptor. Ein einziger Schuß hatte ausgereicht, um die Hauptsendeantenne der Fabrik in Stücke zu schießen und alle hinausgehenden Sendungen zu unterbinden. Er blickte sich selbstzufrieden um, als Daniel und Stephanie über den Abhang herangestürmt kamen, dicht gefolgt von Toby und diesem schrecklichen Flynn. Kassar grinste ihnen zu und winkte herrisch in Richtung der zerstörten Antenne.
»Ich möchte meinen, das wird die Rebellen in Zukunft daran hindern, weiterhin ihre vergifteten Lügen durch Eure Antenne nach draußen zu senden. Offen gesagt, ich bin höchst überrascht, daß niemand Sicherungen gegen derartigen Mißbrauch eingebaut hat.«
»Rein zufällig irrt Ihr Euch«, entgegnete Stephanie in einem so kalten Ton, daß ein Schneemann beim Klang ihrer Stimme erzittert wäre. »Wenn die Rebellen ein paar Augenblicke länger auf Sendung geblieben wären, hätten meine Sicherheitsleute die Quelle ihres Signals zurückverfolgen können, und wir wären imstande gewesen, Männer loszuschicken und ihr Material zu zerstören. Aber dank Eurer Heldentat haben wir nicht nur keine Idee, von wo aus die Rebellen gesendet haben, sondern Ihr habt auch soeben unsere einzige Verbindung mit der Außenwelt zerschossen. All unsere anderen Antennen waren mit dieser hier zusammengeschaltet. Ohne sie haben wir keinerlei Verbindung mehr mit dem Imperium. Was bedeutet, daß die Zeremonie, die auf persönlichen Befehl der Herrscherin in zwei Tagen live übertragen werden sollte, nicht mehr stattfinden kann. Es sei denn, Eure Leute finden einen Weg, die verdammte Sendeantenne wieder zusammenzubauen.«
»Ah«, sagte Kassar. »Jaaah…«
»Vielleicht darf ich auch darauf hinweisen«, meldete sich Toby zu Wort, der den Augenblick vielleicht ein wenig zu sehr genoß, »daß ich, hättet Ihr die Antenne nicht zerschossen, sicherlich imstande gewesen wäre, in wenigen Stunden eine Gegendarstellung zu bringen und jeden Schaden zu beheben, ganz gleich, was die Sendung angerichtet haben mag. Eine verdammte Menge Leute werden ziemlich unerfreut über Euch sein, Kardinal, wenn Eure Männer die Antenne nicht wieder zum Funktionieren bringen, und zwar verflucht schnell.«
Kassar blickte auf die zerfetzten Einzelteile der Antenne, die
über den Metallabhang zerstreut herumlagen. »O Scheiße!«
»Ich hätte es nicht besser formulieren können«, stimmte ihm Stephanie zu. »Ich erwarte stündliche Meldungen von Euren Leuten über den Fortschritt der Reparaturen. Und wenn sie zum Zeitpunkt der Einweihungsfeierlichkeiten nicht fertig ist, werde ich Euch persönlich an den Eiern packen. Vorausgesetzt, die Imperatorin ist nicht schneller als ich.«
Stephanie nickte Daniel brüsk zu. Die beiden Geschwister wandten sich um und marschierten über den Abhang zurück ins Fabrikgebäude. Kassar starrte ihnen hinterher und setzte sich dann ebenfalls eilig in Bewegung. Toby und Flynn musterten den zerstörten Sender. Sie wirkten eigentlich ziemlich fröhlich.
»War das wirklich Jakob Ohnesorg? Was meint Ihr?« erkundigte sich Flynn.
»O ja! Ich habe unsere früheren Aufnahmen mit den Daten der Imperialen Nachrichten verglichen. Er ist es, kein Zweifel.
Ein wenig vom Leben gezeichnet, aber wenn man sein Alter und seine Vergangenheit bedenkt, dann sieht er noch verdammt gut aus. Und wenn ich nur den geringsten Zweifel gehabt hätte, hätte spätestens seine Sendung diesen Zweifel ausgeräumt. Das war der klassische Jakob Ohnesorg. Genau die Art von Operation, für die er so berühmt war.«
»Dann waren diese Aufnahmen von den Klonen in der Fabrik echt?«
Toby blickte Flynn fest in die Augen. »Ich weiß es nicht. Gesetzt den Fall, die Bilder waren echt – dann könnt Ihr sicher sein, daß die Wolfs uns auf der Stelle getötet hätten, wenn wir dabei erwischt worden wären, wie wir wegen eines Exklusivberichts herumschleichen. Es gibt Grenzen, wie man Menschen behandeln kann…, selbst wenn es nur Klone sind. Löwenstein muß diesen neuen Antrieb wirklich dringend benötigen.«
»Also haben wir die Geschichte einfach ignoriert?«
»Seit wann seid Ihr denn so idealistisch? Jeden Tag sterben Menschen im ganzen Imperium. Es gibt nichts, was wir daran
ändern könnten. Hin und wieder bietet sich eine Gelegenheit, eine kleinere Sache zurechtzurücken, zum Beispiel Schwester Beatrice’ Hospital, aber laßt Euch das ja nicht zu Kopf steigen.
Selbst wenn wir es fertigbrächten, Filmmaterial über die Klone bei der Arbeit zu beschaffen, stehen die Chancen gut, daß es niemals gesendet würde. Nicht heute. Und ich gehe jede Wette ein, daß die Imperialen Nachrichten uns auf der Stelle feuern würden. Ihr müßt lernen, Euch mit kleinen Siegen zufriedenzugeben, Flynn. Das heißt, wenn Ihr Euren Kopf gerne auf den Schultern behalten wollt.«
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