»Also«, sagte er und suchte nach den richtigen Worten, »Ihr hattet also schon daran gedacht, von den Klonpaschern wegzugehen, ehe wir uns kennenlernten?«
»Habe ich«, antwortete Hazel. »Sie waren sogar für mich zu grob. Und die Bezahlung war mies.«
»Wie dumm von mir. Ich dachte, es hätte vielleicht etwas mit Moralität zu tun gehabt.«
»Gebrauche in meiner Gesellschaft nicht das M-Wort, Todtsteltzer!«
Sie blieben vor dem Höhleneingang stehen. Von hinter dem schimmernden transparenten Kraftfeld blickten ihnen tote Gesichter entgegen. Hazel griff unwillkürlich nach ihren Waffen, aber sie boten ihr keinen Trost. »Zum Teufel mit dir, Todtsteltzer. Jemand wird dafür bezahlen!«
»Bleibt bei dieser Einstellung. Sie wird sich als sehr praktisch erweisen, wenn wir uns am anderen Ende durch Valentins Privatarmee hindurchkämpfen müssen.«
Hazel schnaubte. »Mit niederschmetternden Chancen werde ich schon fertig. Daran bin ich gewöhnt. Halt jetzt die Klappe und mach die verdammte Tür auf. Das schaffst du doch, oder?«
»Ich arbeite daran.«
Owen musterte das Kraftfeld nachdenklich, und ihm kam eine Idee. Er griff auf die KI zu.
»Oz, verfügst du immer noch über die Kommandoprioritäten für die Burgsysteme?«
»Natürlich. Ich kenne die Prioritätscodes für jedes System hier, ebenso für jedes neue System, das angeschlossen wurde, seit wir von hier fortgingen. Es sei denn, David oder Valentine haben sie noch einmal geändert.«
»Unwahrscheinlich. David hat sich bestimmt nicht die Mühe gemacht, und Valentin hatte nicht genug Zeit. Versuche es, Oz.
Isoliere dieses System, schalte das Kraftfeld der Höhle ab und aktiviere es wieder, sobald wir hindurch sind. Ohne irgendeinen Alarm auszulösen.«
Die KI schniefte. »Du verlangst nicht gerade viel, was?
Welch ein Glück für dich, daß ich ein solch überlegenes Modell bin. Aber ehe ich die üblichen Wunder wirke – darf ich darauf hinweisen, daß ich keine Kontrolle über die Gefrieranlagen habe, die Valentin in diesen Höhlen installiert hat? Es sind komplett eigenständige Systeme, auf die ich keinen Zugriff habe. Die Temperatur in der Höhle, die du betreten möchtest, entspricht nicht gerade dem absoluten Nullpunkt, kommt diesem Wert aber so nahe, wie du es wahrscheinlich niemals mehr erleben wirst – es sei denn, du öffnest eine Luftschleuse und trittst ins Vakuum des Alls hinaus. Obwohl ich dir so etwas durchaus zutrauen würde. Ich habe schon deprimierte Lemminge auf Fenstersimsen erlebt, mit Überlebensinstinkten, die deine übertreffen. Ich möchte es mit dem Hinweis bewenden lassen, daß jeder normale Mensch, der diese Höhle beträte, extrem rasch erfrieren würde. Mal vorausgesetzt, der Schock hätte ihn nicht vorher erwischt.«
»Hazel und ich sind keine normalen Menschen, Oz. Schon eine ganze Weile nicht mehr. Öffne die Höhle.«
Plötzlich war ein Schnalzen sich neutralisierender Energien zu hören, und das Kraftfeld war nicht mehr da. Eisige Luft stürzte aus der Höhle hervor und kondensierte in der Außenhöhle zu dichtem Nebel. Die bittere Kälte traf Owen und Hazel wie ein Schlag, und sie zuckten unwillkürlich zusammen. Sie zitterten heftig und hielten sich aneinander fest, um sich Halt zu geben. Zu riechen war nichts, kein Gestank des Todes oder der Verwesung. Dazu war es einfach zu kalt.
Owen und Hazel traten widerwillig vor, und die kalte Luft schmerzte in ihren Lungen. Die nächstliegende Leiche war die einer Frau in zerrissener Bauernkleidung. Die Ränder der von Energiewaffen erzeugten Wunden, die sie getötet hatten, waren schwarz verkohlt. Ihr Gesicht war eine blutige Ruine. Es fehlte zur Hälfte. Owen streckte eine Hand nach ihr aus, zögerte dann jedoch. Die Hand zitterte, und das nicht vor Kälte.
»Wenn sie so kalt ist, wie ich denke, könntest du eine Erfrierung bekommen, nur indem du sie anfaßt«, sagte Hazel.
»Kein Grund zur Sorge«, sagte Owen. »Bei Hofe habe ich eine Menge Frauen dieser Art gekannt.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich dachte, ich hätte schon alles erlebt. Habe geglaubt, ich hätte soviel Tod und Leid gesehen, daß mir dies hier nichts mehr ausmachen würde. Aber ich habe mich wohl geirrt.«
»Sobald du aufhörst, etwas zu fühlen«, sagte Hazel, »stirbt auch ein Teil von dir. Der menschliche Teil. Aber so schlecht du dich auch fühlst, du hast trotzdem vor, diese Aktion durchziehen, oder?«
»Natürlich. Sie ist notwendig. Er hat meine Welt gemordet.«
Owen zog den Disruptor, zielte damit auf die gestapelten Leichen vor sich und feuerte. Der Energiestrahl riß einen Pfad durch die froststarren Toten und erzeugte einen Tunnel von einem knappen Meter Durchmesser. Es sah aus, als hätte sich ein riesiger Wurm oder eine gigantische Made auf dem Weg zu einer unbekannten, scheußlichen Bestimmung einen Weg durch den Leichenberg gefressen. Owen steckte den Disruptor weg und wandte sich an Hazel.
»Wir kriechen durch den Tunnel, so weit er reicht. Ihr müßt Leichen hinter uns hereinziehen, um unsere Spur zu verwischen. Was ich uns an zusätzlichem Raum verschafft habe, ermöglicht es uns, am Ende des Tunnels zu manövrieren.«
Hazel sah ihn für einen Moment an. »Nichts wird dich aufhalten, was, Todtsteltzer?«
»Nein. Ich weiß, daß das schwierig für Euch wird, Hazel, aber… Ich brauche Euch. Tut es für mich.«
»In Ordnung. Für dich. Dafür schuldest du mir dann jedoch einen verdammt großen Gefallen.« Finster musterte sie den Tunnel. »Es wird dunkel sein, sobald wir… innerhalb des Leichenbergs. Wie sollen wir unseren Weg erkennen?«
»Ich weiß, wo ich die Geheimtür finde«, sagte Owen. »Ich spüre sie in meinen Gedanken. Ihr braucht mir nur zu folgen.
Sorgt Euch nicht. Ihr schwebt ja nicht in Gefahr, Euch darin zu verirren. Gehen wir.«
Und er wandte sich von ihr ab und betrat die Kammer der Toten. Die bittere Kälte schnitt ihn förmlich auf, und er zitterte so heftig, daß ihm die Zähne klapperten. Die gefrorene Luft brannte in Hals und Lungen, als hätte er Rasierklingen geschluckt. Sofort bildete sich Rauhreif auf Haar und Augenlidern, und die Augen taten ihm weh, als die Flüssigkeit darin zu frieren begann. Owen blinzelte kräftig, knirschte mit den Zähnen und kniete nieder, um in den Tunnel zu kriechen, den er eben erzeugt hatte. Nicht einmal mit dem auf volle Kraft und breite Streuung eingestellten Disruptor hatte er einen besonders breiten Tunnel schießen können. Er würde auf allen vieren hindurchkriechen müssen. Er stieß sich die Knie an den Leichen, die so hart wie Beton gefroren waren. Der Energiestrahl hatte einige von ihnen so sauber aufgeschnitten wie mit dem Skalpell eines Chirurgen und dabei festgefrorene Innereien freigelegt. Sie waren überwiegend grau, mit ein paar blassen Schattierungen von Rosa und Purpur; die schreckliche Kälte hatte ihnen sogar die Lebendigkeit der Farben entzogen.
Owen rutschte weiter vor, streckte die Hände aus, packte die Leichen vor sich und zerrte sich hinein. Das tote Fleisch war so kalt, daß es ihm die nackten Hände verbrannte. Alle Instinkte schrien ihn an, er solle augenblicklich loslassen, aber er hörte nicht hin. Er griff fester zu und zog sich voran. Als er dabei doch den Griff lösen mußte, blieb sein warmes Fleisch am kalten hängen, und er mußte alle Kraft aufwenden, um es loszureißen. Er ließ Hautfetzen zurück, hatte aber keine Schmerzen.
Er weigerte sich, Beunruhigung aufkommen zu lassen. Die Haut würde nachwachsen, und immer weniger würde überhaupt abreißen, da die Hände allmählich abkühlten. Der Körper adaptierte sich schon an die scheußliche Kälte; die Körpertemperatur sackte mit einer Geschwindigkeit ab, die jeden anderen Menschen umgebracht hätte. Nirgendwo fühlte er mehr etwas, und die Augen waren in geöffnetem Zustand festgefroren, aber er zitterte nicht mehr. Arme und Beine fühlten sich an, als gehörten sie jemand anderem. Der Atem dampfte nicht mehr vor ihm in der Luft. Er zog sich weiter durch den Tunnel, tiefer hinein ins Reich der Toten, und die Dunkelheit schloß sich langsam um ihn. Er hörte, daß ihm Hazel dicht auf den Fersen war, vernahm ihren rauhen Atem, und sie war sein einziger Trost.
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