Zur gleichen Zeit sagte Galad: »Ich werde dir doch nicht dein Geld abnehmen.«
»Aber ich werde euch eures abnehmen«, sagte Mat.
»Gemacht!« brüllte Hammar. »Wenn sie Angst haben, deine Wette anzunehmen, Junge, dann zahle ich den Einsatz eben selbst!«
»Also gut«, sagte Gawyn. »Wenn du darauf bestehst — gemacht!«
Galad zögerte einen Moment, und dann grollte er: »Gemacht. Dann laßt uns dieser Farce ein Ende bereiten.«
Diese kurze Warnung war alles, was Mat benötigte. Als Galad auf ihn zustürmte, glitten seine Hände am Stock entlang, und er wirbelte herum. Das Ende des Stocks knallte dem hochgewachsenen jungen Mann in die Rippen, was ihn zum Aufstöhnen und ins Stolpern brachte. Mat ließ den Stock von Galad abprallen und drehte sich gedankenschnell. Der Stock war herum, gerade, als Gawyn in Reichweite kam. Das Ende senkte sich unter Gawyns Übungsschwert hindurch und riß ihm den Fuß am Knöchel unter dem Leib weg. Als Gawyn stürzte, vervollständigte Mat seine Drehung rechtzeitig, um Galad über den erhobenen Unterarm zu schlagen, so daß es ihm das Übungsschwert nach hinten riß. Doch Galad tauchte geschmeidig ab und kam mit dem Schwert in beiden Händen wieder auf die Beine.
Mat ignorierte ihn für den Augenblick, machte eine halbe Drehung und gab dem Stock mit einer schnellen Drehung aus dem Handgelenk Schwung nach hinten. Gawyn, der sich gerade hochrappeln wollte, bekam den Schlag auf die Schläfe ab. Der dumpfe Aufprall wurde nur teilweise durch das dichte Haar gedämpft. Er brach zusammen.
Mat war sich nur am Rande der Aes Sedai bewußt, die hinrannte, um sich um Elaynes gestürzten Bruder zu kümmern. Ich hoffe, es geht ihm gut. Es sollte doch. Ich habe schon mehr abbekommen, als ich mal von einem Zaun fiel. Er hatte immer noch Galad zum Gegner, und seiner Haltung nach zu schließen, wie er auf den Ballen seiner Füße ganz locker dastand und das Schwert korrekt gehoben hatte, nahm er ihn jetzt wohl ernst.
Diesen Augenblick wählten Mats Beine zum Zittern aus. Licht, ich darf jetzt nicht schwach werden. Doch er konnte fühlen, wie die Schwäche sich in ihm ausbreitete, das, und der Hunger, als habe er seit Tagen nichts mehr gegessen. Wenn ich darauf warte, daß er mich angreift, falle ich auf die Nase. Es war schwierig, die Beine gerade zu halten, doch er trat vor. Glück, bleib mir treu.
Vom ersten Schlagabtausch an wußte er, daß sein Glück oder sein Geschick oder was immer ihn soweit gebracht hatte, durchaus noch vorhanden war. Galad schaffte es, seinen Schlag mit einem harten Ruck abzulenken, und dann den nächsten und den nächsten und den nächsten, aber sein Gesicht war von Anstrengung gezeichnet. Dieser geschmeidige Schwertkämpfer, der beinahe so gut wie die Behüter war, brauchte jede Faser seines Könnens, um Mats Stock von sich fernzuhalten. Er griff nicht an; er konnte sich lediglich verteidigen. Er bewegte sich ständig zur Seite, hielt dagegen, um nicht weiter zurückgedrängt zu werden, und Mat trieb ihn vor sich her. Sein Stock verschwamm beinahe, so schnell zuckte er durch die Luft. Und Galad wich zurück, wich wieder zurück, und seine Holzklinge war nur ein dürftiger Schutz gegen den Bauernspieß.
Hunger nagte an Mat, als habe er ein paar Wiesel verschluckt. Schweiß rann ihm in die Augen, und seine Kraft begann nachzulassen, als verrinne sie mit dem Schweiß. Noch nicht. Ich kann noch nicht fallen. Ich muß gewinnen. Jetzt. Aufbrüllend warf er all seine Kraftreserven in einen letzten Gewaltangriff.
Der Bauernspieß huschte an Galads Schwert vorbei und traf in schneller Folge sein Knie, sein Handgelenk, seine Rippen, und schlug schließlich wie ein Speer in Galads Bauch ein. Stöhnend krümmte sich Galad zusammen, versuchte noch, den Sturz zu vermeiden. Der Stock zitterte in Mats Händen. Mat war bereit zu einem endgültigen, krachenden Schlag auf Galads Kehlkopf. Doch Galad sank zu Boden.
Mat ließ den Bauernspieß beinahe fallen, als ihm klar wurde, was er um ein Haar getan hätte. Gewinnen, nicht umbringen. Licht, woran habe ich da gedacht? Er entspannte sich und stützte das Ende des Stocks auf den Boden. In dem Moment mußte er sich aber auch schon daran festhalten, um auf den Beinen zu bleiben. Der Hunger bohrte in ihm wie ein Messer, das Mark aus einem Knochen schabt. Mit einem Mal bemerkte er, daß nicht nur die Aufgenommenen und die Aes Sedai zusahen. Alles Üben auf dem ganzen Gelände hatte aufgehört. Sowohl die Behüter wie auch die Schüler standen da und beobachteten ihn.
Hammar ging zu Galad hin, der immer noch stöhnend am Boden lag und versuchte, sich aufzurichten. Der Behüter hob die Stimme und rief: »Wer war der größte Schwertmeister aller Zeiten?«
Aus den Kehlen von Dutzenden von Schülern ertönte laut im Chor: »Jearom, Gaidin!«
»Ja!« schrie Hammar und drehte sich dabei um, damit ihn alle hörten. »Zeit seines Lebens hat Jearom mehr als zehntausend Kämpfe bestehen müssen, in der Schlacht wie in Zweikämpfen. Er wurde nur ein einziges Mal besiegt: Von einem Bauern mit einem Bauernspieß wie diesem! Denkt daran! Erinnert euch später an das, was ihr gerade gesehen habt!« Er blickte auf Galad hinunter und fragte leiser: »Wenn du jetzt nicht hochkommst, Junge, ist der Kampf entschieden.« Er hob eine Hand, und die Aes Sedai und Aufgenommenen stürmten herbei und umringten Galad.
Mat rutschte am Stock auf die Knie herunter. Keine der Aes Sedai schaute sich auch nur nach ihm um. Eine der Aufgenommen sah ihn an, ein molliges Mädchen, das er bestimmt um einen Tanz gebeten hätte, wenn sie nicht gerade Aes Sedai werden wollte. Sie blickte mit finsterer Miene herüber, schnaubte und wandte sich wieder um, weil sie sehen wollte, was die Aes Sedai mit Galad machten.
Gawyn war wieder auf den Beinen, stellte Mat erleichtert fest. Er rappelte sich hoch, als Gawyn zu ihm herüberkam. Nur nichts zugeben. Ich komme hier niemals heraus, wenn sie sich entschließen, mich von morgens bis abends zu bemuttern. Blut verkrustete Gawyns Haar über der einen Schläfe, aber einen Schnitt oder eine größere Schramme konnte Mat nicht entdecken.
Er drückte Mat zwei Silbermark in die Hand und sagte trocken: »Ich glaube, nächstesmal werde ich auf dich hören.« Er bemerkte Mats Blick und berührte seine Schläfe. »Sie haben es bereits geheilt, aber es war nicht so schlimm. Elayne hat mich mehr als einmal übler zugerichtet. Du kannst aber mit dem Ding umgehen!«
»Nicht so gut wie mein Pa. Er hat an Bel Tine jedes Jahr den Bauernspieß-Wettkampf gewonnen, solange ich mich zurückerinnern kann, bis auf ein- oder zweimal, wo Rands Pa gewann.« Plötzlich war dieser interessierte Blick wieder in Gawyns Augen, und Mat verwünschte sich, daß er Tam al'Thor erwähnt hatte. Die Aes Sedai und die Aufgenommenen drängten sich immer noch um Galad. »Ich... ich muß ihn ganz schön erwischt haben. Das wollte ich nicht.«
Gawyn blickte hinüber, aber man konnte nichts erkennen außer zwei Ringen von weiblichen Rückenpartien. Die weißen Kleider der Aufgenommenen bildeten den äußeren Ring. Sie drückten sich fast auf die Aes Sedai, so gebannt starrten sie über diese hinweg Galad an. Gawyn lachte. »Du hast ihn nicht umgebracht. Ich habe sein Stöhnen gehört. Er sollte jetzt eigentlich wieder auf den Beinen sein, aber sie lassen natürlich diese Chance nicht verstreichen, wenn sie schon mal die Hände an ihm haben. Licht, vier davon sind Grüne Ajah!« Mat sah ihn verwirrt an — Grüne Ajah? Was hat das mit ihm zu tun? —, aber Gawyn schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wichtig. Du kannst sicher sein, daß Galads einzige Sorge die ist, sich nicht plötzlich als Behüter bei einer Grünen Aes Sedai wiederzufinden, bevor sein Kopf wieder klar ist.« Er lachte wieder. »Nein, das würden sie nicht tun. Aber ich wette um die zwei Mark von mir in deiner Hand, daß einige von ihnen das am liebsten täten.«
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