Wie erwartet. In etwa einer halben Stunde wird sie es wieder sagen. Egwene blickte finster auf ihre Hände nieder, froh, daß sie sie nicht klar erkennen konnte. Der Ring der Großen Schlange wirkte ausgesprochen deplaziert an einer Hand mit solch gerunzelter Haut, nachdem sie einfach zuviel in heißem Seifenwasser gesteckt hatte.
»Es hilft schon, ihre Namen zu kennen«, sagte Elayne, die noch immer las. »Und es hilft auch, zu wissen, wie sie aussehen.«
»Du weißt ganz genau, was ich meine«, fauchte Nynaeve.
Egwene seufzte und faltete die Arme vor der Brust. Dann legte sie ihr Kinn darauf. Als sie diesen Morgen aus Sheriams Arbeitszimmer gekommen war — die Sonne hatte sich noch nicht am Horizont gezeigt —, da hatte Nynaeve mit einer Kerze in dem kalten, dunklen Gang auf sie gewartet.
Sie hatte es nicht genau erkennen können, aber Nynaeve hatte den Eindruck gemacht, als wolle sie jeden Moment anfangen, die Steine anzufressen. Und als wisse sie, daß auch das in den nächsten Minuten überhaupt nichts ändern würde. Deshalb war sie so geladen. Sie geht aus lauter Stolz hoch wie ein Mann. Aber das sollte sie nicht an Elayne und mir auslassen. Licht, wenn Elayne es aushalten kann, sollte sie auch. Sie ist nicht mehr die Seherin von früher.
Elayne schien kaum zu bemerken, daß Nynaeve so geladen war. Sie hatte die Stirn gerunzelt und blickte in die Ferne. »Liandrin war die einzige Rote. Alle anderen Ajahs haben jeweils zwei verloren.«
»Ach, sei doch ruhig, Kind«, sagte Nynaeve.
Elayne spreizte die Finger ihrer linken Hand, damit der Ring der Großen Schlange besser sichtbar war, warf Nynaeve einen bedeutungsschweren Blick zu und fuhr fort: »Keine zwei stammten aus der gleichen Stadt, und nicht mehr als zwei kamen aus dem gleichen Land. Amico Nagoyin war die jüngste, nur vier Jahre älter als Egwene und ich. Joiya Byir könnte unsere Großmutter sein.«
Egwene gefiel es gar nicht, daß eine der Schwarzen Ajah den gleichen Namen trug wie ihr Kind. Närrin! Menschen tragen nun mal gelegentlich den gleichen Namen, und du hast keine Tochter. Es war nicht wirklich!
»Und was sagt uns das?« Nynaeves Stimme klang zu ruhig. Sie stand kurz vor einer Explosion wie ein Wagen voller Feuerwerkskörper. »Welche Geheimnisse hast du darin entdeckt, die ich übersehen habe? Ich werde schließlich langsam alt und blind!«
»Es sagt uns, daß alles irgendwie zu gleichmäßig verteilt ist«, sagte Elayne ruhig. »Dreizehn Frauen, die nur ausgewählt wurden, weil sie Schattenfreunde sind, und dann stammen sie so passend aus allen Altersstufen, allen Ländern, allen Ajahs? Sollten es nicht vielleicht drei Rote sein, oder vier, die in Cairhien geboren wurden, oder zwei im gleichen Alter? Das war doch alles kein Zufall. Sie hatten genügend Auswahl an Frauen, sonst hätten sie keine solche Anordnung finden können. Es gibt immer noch Schwarze Ajah in der Burg oder sonstwo. Das ist die Bedeutung.«
Nynaeve riß wild an ihrem Zopf. »Licht! Ich glaube, du hast recht. Du bist wirklich auf etwas gestoßen, das ich übersehen habe. Licht, ich hoffte, sie wären alle mit Liandrin geflohen.«
»Wir wissen noch nicht einmal, ob sie die Anführerin ist«, sagte Elayne. »Sie kann auch den Befehl erhalten haben, uns... zu beseitigen.« Ihr Mund verzog sich. »Ich fürchte, es kann nur einen Grund geben, daß sie sich die Mühe machen, eine solche Anordnung zu treffen, um jedes Muster zu meiden, außer eben dem Fehlen jedes Musters. Ich glaube, es bedeutet, daß es bei den Schwarzen Ajah hier eben doch eine Art von Muster gibt.«
»Wenn es vorhanden ist«, sagte Nynaeve entschlossen, »dann finden wir es. Elayne, wenn du diese Art von logischem Denken dabei gelernt hast, deine Mutter bei der Regierungsarbeit zu beobachten, dann bin ich froh darüber.« Elaynes Lächeln ließ ein Grübchen auf ihrer Wange erscheinen.
Egwene musterte die ältere Nynaeve genau. Es schien, daß sie nun wirklich bereit war, ihre Rolle als Bär mit einem schlimmen Zahn aufzugeben. Sie hob den Kopf. »Vielleicht wollen sie uns auch in dem Glauben lassen, sie hätten ein Muster zu verbergen, damit wir unsere Zeit damit verschwenden, etwas zu suchen, was es gar nicht gibt. Ich will damit nicht sagen, daß es nicht so ist, aber wir wissen es eben noch nicht genau. Laßt uns danach suchen, aber wir müssen auch noch nach anderen Dingen suchen, oder meint ihr nicht auch?«
»Also hast du dich endlich entschlossen, aus deinem Schlummer zu erwachen«, sagte Nynaeve. »Ich dachte wirklich, du seist mittlerweile eingeschlafen.« Aber sie lächelte dabei.
»Sie hat recht«, sagte Elayne mürrisch. »Ich habe uns eine Brücke aus Stroh gebaut. Schlechter noch als Stroh. Wunschdenken. Vielleicht hattest du auch recht, Nynaeve. Was soll dieser... dieser Quatsch?« Sie schnappte sich ein Blatt aus dem Stoß auf ihrem Schoß. »Rianna hat schwarzes Haar mit einer weißen Strähne über dem linken Ohr. Wenn ich nahe genug bin, um das zu erkennen, bin ich schon näher, als mir lieb ist.« Sie griff nach einem weiteren Blatt. »Chesmal Emry ist eine der talentiertesten Heilerinnen seit Jahren. Licht, könnt ihr euch vorstellen, sich von einer Schwarzen Ajah heilen zu lassen?« Ein drittes Blatt. »Marillin Gemalphin mag Katzen und tut alles, um verletzten Tieren zu helfen. Katzen! Pah!« Sie packte alle Blätter auf einmal und zerknüllte sie. »Es ist wirklich alles Quatsch.«
Nynaeve kniete sich neben sie und nahm ihr sanft die zerknüllten Papiere aus den Händen. »Vielleicht, und vielleicht auch nicht.« Sie glättete die Blätter sorgfältig an ihrer Brust. »Du hast etwas darin entdeckt, wonach wir zumindest Ausschau halten können. Vielleicht finden wir noch mehr, wenn wir Ausdauer haben. Und dann ist da ja noch die andere Liste.« Sowohl sie wie auch Elayne blickten zu Egwene hinüber. Braune und blaue Augen sahen sie besorgt an.
Egwene vermied es, den Tisch anzusehen, wo die anderen Blätter noch lagen. Sie wollte nicht darüber nachdenken, konnte es aber doch nicht ganz vermeiden. Die Liste der Ter'Angreal hatte sich in ihr Gehirn eingebrannt. Eins: eine Kristallrute, glatt und vollkommen durchsichtig, ein Fuß lang und zwei Finger breit im Durchmesser. Gebrauch unbekannt. Die letzte Studie stammt von Corianin Nedeal. Zwei: eine Alabasterskulptur von einer unbekleideten Frau mit einer sehr großen Hand. Gebrauch unbekannt. Die letzte Studie stammt von Corianin Nedeal. Drei: eine Scheibe, offensichtlich aus Eisen gefertigt, doch völlig rostfrei, eine Handbreit im Durchmesser; auf beiden Seiten jeweils eine enge Spirale eingraviert. Gebrauch unbekannt. Die letzte Studie stammt von Corianin Nedeal. Vier: zu viele Dinge und mehr als die Hälfte derer mit unbekannter Verwendung wurden zuletzt von Corianin Nedeal überprüft. Dreizehn waren es insgesamt.
Egwene schauderte. Es wird immer schlimmer. Ich wage es kaum noch, an diese Zahl zu denken.
Die mit bekannter Anwendung waren auf dieser Liste selten. Nicht alle davon erschienen ihr wirklich nützlich, aber beruhigend wirkten sie deshalb nicht, fand Egwene. Ein holzgeschnitzter Igel, nicht größer als das letzte Glied eines Männerdaumens. Eine ganz einfache Sache und sicherlich harmlos. Eine Frau, die damit die Macht zu lenken versuchte, schlief unweigerlich ein. Ein halber Tag tiefen, traumlosen Schlafs. Das ging ihr aber schon wieder so nahe, daß sie eine Gänsehaut bekam. Drei weitere hatten noch in irgendeiner Form mit Schlaf zu tun. Es war beinahe eine Erleichterung, von einer Röhre aus schwarzem Stein zu lesen, einen ganzen Schritt lang, die Baalsfeuer hervorbrachte. Verin hatte so energisch eine Warnung darauf geschrieben — GEFÄHRLICH UND FAST UNMÖGLICH ZU KONTROLLIEREN —, daß das Blatt an zwei Stellen zerrissen war. Egwene hatte keine Ahnung, was Baalsfeuer war, doch obwohl es zweifellos gefährlich klang, hatte es wenigstens nichts mit Corianin Nedeal oder Träumen zu tun.
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