Jetzt, da sie mit ihrem Herumtanzen aufgehört hatten, konnte Mat den Jungen mit dem rotgoldenen Haar endlich genauer sehen. Er ließ die Kieselsteine überrascht fallen. Seng mich, aber ich wette alles, was ich im Geldbeutel habe, daß der Elaynes Bruder ist. Und der andere ist Galad, oder ich fresse meine Stiefel. Auf der Reise von der Toman-Halbinsel hierher hatte Elayne die meiste Zeit über von Gawyns Tugenden und Galads Sünden geplappert. O ja, Gawyn hatte auch ein paar Schwächen, wenn man Elayne glaubte, aber sie waren unbedeutend. Mat klangen sie eher nach solchen Dingen, die bestenfalls in den Augen einer Schwester Schwächen darstellten. Was Galad betraf, hatte er aus ihren Erzählungen geschlossen, daß er wohl der perfekte Sohn sein mußte, den sich jede Mutter wünschte. Mat hatte keine Sehnsucht danach, viel Zeit in Galads Gesellschaft zu verbringen. Egwene wurde immer rot, wenn Galads Name fiel, auch wenn sie zu glauben schien, daß niemand es bemerkte.
Eine Welle schien die zuschauenden Frauen zu durchlaufen, als Galad und Gawyn aufhörten. Sie wären wohl am liebsten alle gleichzeitig vorgetreten, doch Gawyn erblickte Mat, sagte leise etwas zu Galad, und dann gingen die beiden an den Frauen vorbei. Die Aes Sedai und die Aufgenommenen wandten sich um und verfolgten sie mit Blicken. Mat stand auf, als sich die beiden ihm näherten.
»Du bist doch Mat Cauthon, nicht wahr?« sagte Gawyn grinsend. »Ich war sicher, daß ich dich aus Egwenes Beschreibung erkannte. Und aus Elaynes. Ich hörte, du warst krank. Geht es dir jetzt besser?«
»Mir geht's gut«, sagte Mat. Er fragte sich, ob man von ihm erwartete, daß er Gawyn mit Lord anredete oder so ähnlich. Aber er hatte sich geweigert, zu Elayne Lady zu sagen — nicht, daß sie es verlangt hätte —, und er beschloß, ihren Bruder genauso zu behandeln.
»Bist du aufs Übungsgelände gekommen, um mit dem Schwert zu arbeiten?« fragte Galad.
Mat schüttelte den Kopf. »Ich habe nur einen Spaziergang gemacht. Ich weiß nicht viel über Schwerter. Ich glaube, ich vertraue lieber auf einen guten Bogen oder einen guten Bauernspieß. Ich kann mit Schwertern nicht umgehen.«
»Wenn du viel mit Nynaeve zusammen bist«, sagte Galad, »dann brauchst du Bogen, Bauernspieß und Schwert, um dich zu schützen. Und ich weiß nicht, ob das ausreicht.«
Gawyn blickte ihn staunend an. »Galad, du hast ja beinahe einen Witz gerissen.«
»Ich habe doch einen Sinn für Humor, Gawyn«, sagte Galad stirnrunzelnd. »Du glaubst das nur nicht, weil ich mich nicht gern über Leute lustig mache.« Kopfschüttelnd wandte sich Gawyn wieder Mat zu. »Du solltest schon lernen, ein wenig mit dem Schwert umzugehen. Jeder kann diese Kenntnisse heutzutage gebrauchen. Dein Freund — Rand al'Thor — hat ein ganz ungewöhnliches Schwert gehabt. Hast du was von ihm gehört?«
»Ich habe Rand schon lange nicht mehr gesehen«, sagte Mat schnell. Nur einen Moment lang, bei der Erwähnung von Rands Namen, hatte Gawyns Blick an Intensität zugenommen. Licht, weiß er über Rand Bescheid? Das kann nicht sein. Wenn er es wüßte, dann würde er mich bestimmt als Schattenfreund anklagen, nur weil ich Rands Freund bin. Aber irgend etwas weiß er schon. »Schwerter sind auch nicht der Weisheit letzter Schluß, oder? Ich glaube, ich könnte mich gegen jeden von euch ganz gut behaupten, wenn ihr ein Schwert habt und ich meinen Bauernspieß.«
Gawyns Hustenanfall sollte offensichtlich sein Lachen verdecken. Viel zu höflich sagte er: »Da mußt du aber sehr gut sein.« Galads Gesichtsausdruck war dagegen ganz eindeutig ungläubig.
Vielleicht geschah es, weil beide glaubten, er gebe gewaltig an. Vielleicht geschah es, weil er die Befragung der Brückenwächter falsch angefangen hatte. Vielleicht geschah es, weil Else, die so gern mit Jungs herummachte, nichts mit ihm zu tun haben wollte und weil all diese Frauen Galad ansahen wie eine Katze eine Schale mit Sahne. Aes Sedai und Aufgenommene oder nicht — Frauen waren sie immer noch. All diese Erklärungen schossen Mat durch den Kopf, doch er drängte sie ärgerlich zurück, besonders die letzte. Er machte es, weil er Spaß daran hatte. Und vielleicht verdiente er sich auf die Art etwas. Er mußte noch nicht einmal sein übliches Glück strapazieren.
»Ich wette«, sagte er, »zwei Silbermark gegen zwei von jedem von euch, daß ich euch beide gemeinsam schlagen kann, wie ich es behauptet habe. Eine bessere Quote kann ich euch nicht bieten. Ihr seid zwei und ich bin nur einer, also ist zwei zu eins eine gute Quote.« Er lachte beinahe, als er ihre konsternierten Mienen sah.
»Mat«, sagte Gawyn, »du mußt doch nicht wetten. Du warst krank. Vielleicht versuchen wir es, wenn du wieder kräftiger bist.«
»Es wäre wirklich keine faire Wette«, sagte Galad. »Ich werde sie nicht annehmen, weder jetzt noch später. Du kommst doch aus dem gleichen Dorf wie Egwene, nicht wahr? Ich... ich will nicht, daß sie wütend auf mich wird.«
»Was hat sie damit zu tun? Trefft mich nur einmal mit einem eurer Schwerter, und ich gebe jedem eine Silbermark. Wenn ich euch treffe, bis ihr aufgebt, gebt ihr mir jeder zwei. Glaubt ihr nicht, daß ihr das schafft?«
»Das ist lächerlich«, sagte Galad. »Du hättest keine Chance gegen einen geübten Schwertkämpfer, geschweige denn gegen zwei. Ich werde so etwas nicht ausnützen.«
»Glaubt ihr das wirklich?« fragte eine rauhe Stimme. Der klotzige Behüter kam herüber. Seine schwarzen Augenbrauen hatten sich finster zusammengezogen. »Ihr glaubt, zu zweit seid ihr gut genug mit dem Schwert, um einen Jungen mit einem Stock zu schlagen?«
»Es wäre nicht fair, Hammar Gaidin«, sagte Galad.
»Er ist krank gewesen«, fügte Gawyn hinzu. »Das Ganze ist überflüssig.«
»Auf den Platz«, schnarrte Hammar und wies mit einem kurzen Ruck seines Kopfs die Richtung nach hinten. Galad und Gawyn sahen Mat bedauernd an und gehorchten. Der Behüter musterte Mat von oben bis unten und fragte zweifelnd: »Seid Ihr sicher, daß Ihr dem gewachsen seid, Junge? Jetzt, da ich Euch genauer sehe, glaube ich auch, daß Ihr ins Krankenbett gehört.«
»Ich bin gerade draußen«, sagte Mat, »und ich bin dem gewachsen. Ich muß. Ich will meine zwei Mark nicht verlieren.«
Hammars dicke Augenbrauen hoben sich überrascht. »Ihr wollt diese Wette tatsächlich durchziehen, Junge?«
»Ich brauche das Geld.« Mat lachte.
Sein Lachen brach abrupt ab, als er sich dem nächsten Gestell zuwandte, um einen Bauernspieß herauszuheben, und seine Knie beinahe nachgaben. Er richtete sich ganz schnell auf, damit jeder, der es bemerkt hatte, glauben mußte, er sei nur gestolpert. Dann nahm er sich Zeit bei der Auswahl eines Stocks. Er wählte schließlich einen, der fast drei Finger dick war und beinahe einen Fuß höher als er selbst. Ich muß gewinnen. Ich habe mein dummes Maul aufgerissen, und jetzt muß ich gewinnen. Ich kann mir nicht leisten, die zwei Mark zu verlieren. Ohne die wird es ewig dauern, bis ich das Geld zusammengewinne, das ich brauche. Als er sich umwandte, den Bauernspieß in beiden Händen vor sich haltend, warteten Galad und Gawyn bereits dort auf ihn, wo sie zuvor geübt hatten. Ich muß gewinnen. »Glück«, murmelte er. »Zeit, die Würfel rollen zu lassen.«
Hammar sah ihn eigenartig berührt an. »Ihr sprecht die Alte Sprache, Junge?«
Mat blickte ihn einen Moment lang wortlos an. Ihm war eiskalt. Mit Mühe brachte er seine Füße dazu, ihn auf den Übungsplatz hinauszutragen. »Vergeßt die Wette nicht«, sagte er laut. »Zwei Silbermark von jedem von euch gegen zwei von mir.« Ein Geraune erhob sich unter den Aufgenommenen, als ihnen klar wurde, was da geschah. Die Aes Sedai schauten schweigend zu. Das Schweigen schien Mißbilligung auszudrücken.
Gawyn und Galad bewegten sich voneinander fort, jeder auf einer Seite, und da hielten sie Abstand. Beide hatten ihre Schwerter kaum mehr als halb erhoben. »Kein Einsatz«, sagte Gawyn. »Es gibt keinen Einsatz.«
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