»Aber Ihr müßt doch etwas gehört haben, Mann! Wer ist Sheriam? Hat es irgendeine Bedeutung, wenn man in ihrem Arbeitszimmer mit ihr spricht?«
Mat schüttelte so lebhaft den Kopf, daß ihm die Erleichterung nicht anzumerken war. »Ich weiß nicht, wer das ist«, sagte er wahrheitsgemäß. Vielleicht hatte er gehört, wie Egwene oder auch Nynaeve den Namen einmal erwähnt hatten. Sicher doch eine Aes Sedai? »Warum sollte das eine Bedeutung haben?«
»Ich weiß auch nicht«, sagte Tallanvor leise. »Ich weiß viel zu vieles nicht. Manchmal glaube ich, sie versucht, etwas mitzuteilen... « Er sah Mat scharf an. »Seid Ihr ein loyaler Andoraner, Thom Grinwell?«
»Natürlich bin ich das.« Licht, wenn ich das noch oft wiederhole, glaube ich selbst daran. »Wie steht es mit Euch? Dient Ihr Morgase und Gaebril genauso treu?«
Tallanvors Blick war stahlhart. »Ich diene Morgase, Thom Grinwell. Ich diene ihr bis zum Tod! Lebt wohl!« Er drehte sich um und ging zum Palast zurück, eine Hand am Schwertgriff.
Mat beobachtete ihn und murmelte: »Ich wette darum«
- damit warf er Gaebrils Geldbörse in die Luft und fing sie wieder auf —, »daß Gaebril dasselbe behauptet.« Welche Spielchen sie auch dort im Palast spielen mochten — er wollte nichts damit zu tun haben. Und er wollte sichergehen, daß auch Egwene und die anderen aus dem Spiel waren. Diese närrischen Frauen! Jetzt muß ich ihnen wieder die Kastanien aus dem Feuer holen, anstatt meine eigenen zu ernten. Er fing erst zu laufen an, als die anderen Gebäude ihn vor den Blicken der Palastwache schützten.
Als er ›Der Königin Segen‹ betrat, hatte sich in der Bibliothek nicht viel geändert. Thom und der Wirt saßen immer noch über das Spielbrett gebeugt, wenn es auch ein neues Spiel war, wie er an der Position der Steine erkannte. Gill war schon wieder am Verlieren, und die gestreifte Katze lag wieder auf dem Tisch und putzte sich. In der Nähe der Katze stand ein Tablett mit ihren erkalteten Pfeifen und den Resten eines Mahls für zwei. Seine Sachen lagen aber nicht mehr auf dem Lehnstuhl. Jeder der beiden Männer hatte einen Becher Wein neben sich gestellt.
»Ich werde abreisen, Meister Gill«, sagte er. »Ihr könnt die Münze behalten und eine Mahlzeit abziehen. Ich bleibe lang genug, um zu essen, aber dann bin ich weg nach Tear.«
»Warum denn so eilig, Junge?« Thom schien die Katze aufmerksamer zu betrachten als das Spielbrett. »Wir sind doch gerade erst angekommen.«
»Also habt Ihr Lady Elaynes Brief übergeben, ja?« sagte der Wirt eifrig. »Und den Kopf oben behalten, wie es scheint. Seid Ihr tatsächlich über die Mauer gestiegen wie der andere junge Mann? Nein, das ist nicht wichtig. Hat der Brief Morgase beruhigt? Müssen wir immer noch auf Zehenspitzen durchs Land laufen, Mann?«
»Ich denke, er hat sie beruhigt«, sagte Mat. »Ja, ich glaube schon.« Er zögerte einen Moment und ließ Gaebrils Geldbörse in der Hand auf und ab hüpfen. Es klimperte darin. Er hatte nicht nachgesehen, ob wirklich zehn Goldmark drin waren, aber das Gewicht schien zu stimmen. »Meister Gill, was könnt Ihr mir über Gaebril erzählen? Abgesehen von der Tatsache, daß er keine Aes Sedai leiden kann. Ihr habt gesagt, er sei noch nicht lang in Caemlyn?«
»Warum willst du mehr von ihm wissen?« fragte Thom. »Basel, ziehst du jetzt oder nicht?« Der Wirt seufzte und stellte einen schwarzen Stein auf das Brett, doch der Gaukler schüttelte den Kopf.
»Also, Bursche«, sagte Gill, »es gibt da nicht viel zu erzählen. Er kam im Winter aus dem Westen. Irgendwo aus Eurer Richtung, glaube ich. Vielleicht von den Zwei Flüssen. Ich hörte, wie die Berge erwähnt wurden.«
»Wir haben keine Lords bei den Zwei Flüssen«, sagte Mat. »Vielleicht gibt es welche in der Gegend von Baerlon. Ich weiß es nicht.«
»Das könnte sein, Junge. Ich hatte auch vorher noch nie von ihm gehört, aber ich kenne mich im Landadel ja auch nicht aus. Er kam, als Morgase noch in Tar Valon war, und die halbe Stadt fürchtete, daß die Weiße Burg sie auch noch verschwinden lassen würde. Die andere Hälfte wollte sie gar nicht zurückhaben. Die Unruhen begannen wieder, so wie letztes Jahr am Ende des Winters.«
Mat schüttelte den Kopf. »Ich kümmere mich nicht um Politik, Meister Gill. Ich will nur etwas über Gaebril wissen.« Thom runzelte die Stirn und begann, seine Pfeife mit einem Strohhalm zu reinigen.
»Es ist ja auch Gaebril, von dem ich erzähle, Junge«, sagte Gill. »Während der Unruhen machte er sich zum Anführer der Partei, die Morgase unterstützte. Er wurde auch einmal im Kampf verwundet, wie man sich erzählt. Als sie zurückkehrte, hatte er alles unter Kontrolle. Gareth Bryne gefielen Gaebrils Methoden nicht gerade, denn er greift schon sehr hart durch, aber Morgase war so froh darüber, daß die Ordnung wiederhergestellt war, daß sie ihn auf Elaidas Position beförderte.«
Der Wirt schwieg. Mat wartete darauf, daß er fortfuhr, doch das tat er nicht. Thom stopfte seine Pfeife, ging hinüber zu einer kleinen Lampe, die eben zu diesem Zweck oben auf dem Kaminsims stand, und entzündete einen Kienspan.
»Was noch?« fragte Mat. »Der Mann muß doch einen Grund für das haben, was er tut. Wenn er Morgase heiratet, wird er dann nach ihrem Tod König? Ich meine, wenn auch Elayne tot wäre?«
Thom erstickte fast, als er seine Pfeife anzuzünden versuchte, und Gill lachte. »Andor hat eine Königin, Junge. Immer eine Königin. Falls sowohl Morgase wie auch Elayne sterben sollten — Licht verhüte es! —, dann würde Morgases engste weibliche Verwandte den Thron besteigen. Zumindest ist es gar keine Frage, wer das sein würde: eine Cousine, Lady Dyelin. Das ist nicht wie damals bei der Thronfolge, als Tigraine verschwand. Damals dauerte es ein Jahr, bis Morgase auf dem Löwenthron saß. Dyelin könnte Gaebril als ihren Ratgeber beibehalten oder ihn heiraten, um die Dynastie fortzuführen, aber auch dann wäre er nur der Prinzgemahl. Und sie würde ihn wohl auch kaum heiraten, außer, Morgase hätte ein Kind von ihm. Mehr kann er nicht werden. Dem Licht sei Dank, daß Morgase noch eine junge Frau ist. Und Elayne ist gesund. Licht! Stand etwa in dem Brief, daß sie krank ist?«
»Es geht ihr gut.« Jedenfalls im Moment noch. »Gibt es sonst nichts, was Ihr mir über ihn erzählen könnt? Ihr scheint ihn nicht gerade zu mögen. Warum?«
Der Wirt runzelte die Stirn und dachte wohl angestrengt nach. Dann kratzte er sich am Kinn und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es würde mir nicht passen, wenn er Morgase heiratet, aber ansonsten weiß ich es selbst nicht. Man sagt, er sei ein toller Mann. Die Adligen schauen alle zu ihm auf. Ich mag allerdings die meisten der Männer überhaupt nicht, die er in die Garde hineingebracht hat. Zuviel hat sich geändert, seit er kam, aber man kann ihn nicht für alles verantwortlich machen.
Es gibt nur zuviel heimliches Murren, seit er kam. Man könnte glauben, es herrschten hier Zustände wie im Cairhien vor dem Bürgerkrieg. Alle spinnen Intrigen und versuchen, sich einen Vorteil zu verschaffen. Seit Gaebril kam, habe ich Alpträume, und ich bin nicht der einzige. Natürlich ist es Unsinn, sich über Träume Gedanken zu machen. Es ist vielleicht nur die Sorge um Elayne und was Morgase in bezug auf die Weiße Burg unternimmt und die Leute, die sich wie in Cairhien verhalten. Ich weiß es einfach nicht. Warum fragt Ihr mich so über Lord Gaebril aus?«
»Weil er Elayne töten will«, sagte Mat, »und Egwene und Nynaeve auch.« Aus dem, was ihm Gill erzählt hatte, konnte er nichts entnehmen, was ihm weitergeholfen hätte. Seng mich, ich muß ja nicht unbedingt wissen, warum er sie umbringen lassen will. Ich muß es nur verhindern. Beide Männer starrten ihn an, als sei er verrückt geworden. Schon wieder.
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