»Ich habe versprochen, ihn ihr nur persönlich zu übergeben«, sagte Mat. Licht, ich habe nie daran gedacht, daß sie mich ihn nicht übergeben lassen. »Ich habe mein Versprechen gegeben. Der Tochter-Erbin selbst.«
Mat sah die Bewegung von Tallanvors Hand kaum, da hatte er auch schon dessen Schwertklinge am Hals. »Ich werde Euch zur Königin bringen, Landmann«, sagte Tallanvor leise. »Aber Ihr sollt wissen, daß es Euch innerhalb eines Wimpernschlags Euren Kopf kosten kann, wenn Ihr auch nur daran denkt, der Königin etwas anzutun.«
Mat setzte sein breitestes Grinsen auf. Diese leicht gekrümmte Schwertschneide am Hals zu spüren war kein angenehmes Gefühl. »Ich bin ein loyaler Andoraner«, sagte er, »und ein treuer Untertan der Königin, das Licht sei ihr gnädig. Wenn ich schon im Winter dagewesen wäre, wäre ich sicherlich Lord Gaebril gefolgt.«
Tallanvor sah ihn mit zusammengekniffenen Lippen an und nahm schließlich sein Schwert weg. Mat schluckte und beherrschte sich gerade noch, hochzufahren und nachzuprüfen, ob sein Hals eine Schnittwunde aufwies. Diese Blöße wollte er sich nicht geben.
»Nehmt die Blume aus dem Haar«, sagte Tallanvor, als er sein Schwert in die Scheide steckte. »Glaubt Ihr, als Freier hier erscheinen zu müssen?«
Mat schnappte sich die Blüte und folgte dem Offizier. Verfluchter Narr, sich eine Blume ins Haar zu stecken. Ich muß nun langsam aufhören, den Narren zu spielen. Allerdings konnte man kaum von ›folgen‹ sprechen, denn Tallanvor behielt ihn ständig von der Seite her im Auge, während er ihn hineinführte. So stellten sie eine eigenartige Prozession dar. Der Offizier ging seitlich voraus und halb zu Mat gewandt, falls der etwas versuchen sollte. Was ihn betraf, so bemühte sich Mat, so unschuldig zu wirken, als könne er kein Wässerchen trüben.
Die farbenprächtigen Wandbehänge hatten ihren Webern bestimmt einiges an Silber eingebracht, genau wie die Läufer auf den weißen, gefliesten Fußböden, selbst hier in den Korridoren. Überall stand Gold und Silber herum: Teller und Tabletts, Schüsseln und Becher, auf Truhen oder niedrigen Kommoden aus glänzendem Holz, genauso fein wie alles, was er in der Weißen Burg gesehen hatte. Diener eilten hin und her in ihrer roten Livree mit weißem Kragen und weißen Manschetten und dem Weißen Löwen von Andor auf der Brust. Er ertappte sich bei der Frage, ob Morgase vielleicht gern mit Würfeln spiele. Was für ein wollköpfiger Gedanke. Königinnen beim Würfelspiel! Aber wenn ich ihr diesen Brief gebe und ihr sage, daß jemand hier im Palast nach dem Leben Elaynes trachtet, dann wette ich, daß sie mir eine fette Börse gibt.
Er sonnte sich kurz in der Vorstellung, geadelt zu werden. Sicher konnte doch der Mann, der eine Intrige aufdeckte, die den Mord an der Tochter-Erbin zum Ziel hatte, eine Belohnung erwarten.
Tallanvor führte ihn durch so viele Gänge und über so viele Innenhöfe, daß er sich schon zu fragen begann, ob er den Weg hinaus noch ohne Hilfe finden könne, da plötzlich trafen sie auf einem dieser Höfe mehr als nur Diener an. Ein Säulengang zog sich um den Hof herum, und in der Mitte befand sich ein rundes Wasserbecken, in dem sich unter breiten, auf dem Wasser schwimmenden Blättern und blühenden Wasserlilien weiße und gelbe Fische tummelten. Männer in farbenfrohen, mit Gold oder Silber verzierten Mänteln und Frauen in weiten, noch kunstvolleren Kleidern, standen vor einer Frau mit rotgoldenem Haar, die am Rand des Beckens saß, eine Hand ins Wasser hängen ließ und traurig auf die Fische blickte, die sich in der Hoffnung auf Futter ihren Fingerspitzen näherten. Am Mittelfinger ihrer linken Hand steckte ein Ring mit der Großen Schlange. Ein hochgewachsener, dunkler Mann stand neben ihrer Schulter. Die Seide seines Mantels verschwand beinahe unter den vielen Goldblättern und Litzen, die darauf aufgenäht waren. Aber es war die Frau, die Mats Blick fesselte.
Er mußte nicht erst den Kranz aus kunstvollen goldenen Rosen in ihrem Haar bemerken oder die über und über mit den Löwen von Andor bestickte Stola, die über ihrem weißen, rotgestreiften Kleid hing, um zu wissen, daß er Morgase vor sich hatte, durch die Gnade des Lichts Königin von Andor, Verteidigerin des Reichs, Beschützerin des Volkes, Hochsitz des Hauses Trakand. Sie besaß Elaynes Gesichtszüge und Schönheit, aber so, wie Elayne eines Tages aussehen würde, wenn sie gereift war. Ihre bloße Gegenwart ließ jede andere Frau im Hof in den Hintergrund treten.
Mit der würde ich tanzen und ihr im Mondschein einen Kuß stehlen, ganz gleich, wie alt sie ist. Er gab sich einen Ruck. Denk daran, wer sie ist, mein Junge!
Tallanvor fiel auf ein Knie nieder und drückte eine Faust auf die weißen Steinplatten des Hofes. »Meine Königin, ich bringe Euch einen Boten, der einen Brief der Lady Elayne bei sich trägt.«
Mat betrachtete die Haltung des Mannes und ließ es dann doch mit einer tiefen Verbeugung bewenden. »Von der Tochter-Erbin... äh... meine Königin.« Er hielt ihr bei der Verbeugung den Brief hin, so daß das goldgelbe Siegelwachs sichtbar war. Wenn sie ihn erst gelesen hat und weiß, daß es Elayne gutgeht, werde ich es ihr sagen. Morgase wandte ihm ihre tiefblauen Augen zu. Licht! Sobald sie bessere Laune hat.
»Ihr bringt mir einen Brief von meinem mißratenen Kind?« Ihre Stimme klang kalt, doch lag darin etwas, das ihm sagte, wie hitzig sie reagieren konnte. »Das muß bedeuten, daß sie zumindest noch am Leben ist! Wo ist sie?«
»In Tar Valon, meine Königin«, brachte er mühsam heraus. Licht, ich möchte mal sehen, wenn sie und die Amyrlin sich gegenüberstehen und gegenseitig anfunkeln. Bei näherer Betrachtung allerdings war er doch nicht neugierig darauf. »Wenigstens war sie dort, als ich abreiste.«
Morgase machte eine ungeduldige Handbewegung, und Tallanvor erhob sich und nahm Mat den Brief aus der Hand, um ihn ihr zu reichen. Einen Augenblick lang blickte sie mit gerunzelter Stirn das Liliensiegel an, bevor sie es mit einer kurzen Drehung der Hand erbrach. Beim Lesen bewegte sie ihre Lippen und schüttelte bei jeder zweiten Zeile den Kopf. »Sie kann nicht mehr sagen, oder?« murmelte sie. »Wir werden ja sehen, ob sie sich daran hält... « Plötzlich erhellte sich ihre Miene. »Gaebril, sie ist zur Aufgenommenen erhoben worden. Weniger als ein Jahr in der Burg und bereits befördert.« Das Lächeln verflog, so schnell es gekommen war, und sie preßte die Lippen aufeinander. »Wenn ich dieses mißratene Kind in meine Finger bekomme, wird sie sich wünschen, wieder Novizin zu sein.«
Licht, dachte Mat, kann denn nichts ihre Laune aufbessern? Er beschloß, es trotzdem einfach auszusprechen, aber er wünschte, sie würde nicht so dreinblicken, als wolle sie jemandem den Kopf abhacken. »Meine Königin, ich habe zufällig gehört... «
»Schweigt still, Junge«, sagte der Mann in dem goldverkrusteten Mantel gelassen. Es war ein gutaussehender Mann, beinahe so gutaussehend wie Galad und fast genauso jugendlich, trotz der grauen Schläfen, aber er war viel stärker gebaut, fast so groß wie Rand und so breitschultrig wie Perrin. »Wir werden gleich hören, was Ihr zu sagen habt.« Er faßte Morgase über die Schulter und nahm ihr den Brief aus der Hand. Ihr böser Blick wandte sich ihm zu. Mat konnte förmlich fühlen, wie ihr Zorn wuchs. Aber der dunkle Mann legte ihr eine Hand auf die Schulter, wobei er den Blick nicht von dem Text des Briefes wandte, und Morgases Zorn schwand dahin. »Es scheint, sie hat die Burg schon wieder verlassen«, sagte er. »Im Auftrag der Amyrlin diesmal. Diese Frau überschreitet schon wieder ihre Grenzen, Morgase.«
Mat fiel es nicht weiter schwer, seinen Mund zu halten. Glück. Seine Zunge klebte ihm am Gaumen. Manchmal weiß ich nicht, ob es gut oder schlecht ist. Der dunkle Mann war die Quelle jener tiefen Stimme, der ›Große Meister‹, der Elaynes Kopf rollen sehen wollte. Sie hat ihn Gaebril genannt. Ihr Ratgeber will Elayne ermorden? Licht! Und Morgase blickte zu ihm hoch wie ein Hündchen, das von der Hand seines Herrn gekrault wird.
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