Sie nickte.
»Wirst du morgen zugegen sein, oder wird dies hier unser Abschied sein?«
»Ich werde da sein«, sagte sie leise.
»Dann freue ich mich auf morgen. Welche Farbe wird dein Kleid haben?«
»Grün. Obilee hat es gemacht.« Sie strich sich gedankenverloren eine Strähne aus dem Gesicht. Nuramon mochte diese unbewusste Geste an ihr; sie nahm das Haar zwischen Ringfinger und kleinen Finger, wenn sie es zurückstrich.
»Dann ist das Kleid gewiss wunderschön.«
»Ich bin gespannt, was die Königin dir bringen lässt. Was es auch ist, es wird kostbarer sein als alles, was dir irgendwer sonst hätte schenken können.«
»Schenken? Ich werde es für die Elfenjagd annehmen. Aber wenn wir zurückkehren, werde ich es ihr wiedergeben.«
Noroelle musste lachen. »Nein, Nuramon. Die Königin ist freigebig. Sie wird es nicht zurücknehmen.«
Er küsste sie auf die Stirn. »Ich werde jetzt gehen, Noroelle.«
»Vielleicht kann sich doch noch einer deiner Verwandten dazu durchringen, dich in deiner Kammer aufzusuchen.«
»Nein, daran glaube ich nicht.« Er fasste ihre Hände und sagte: »Aber wer weiß.« Er schaute zu den Sternen hinauf. »Heute Nacht scheint alles möglich zu sein.« Er ließ von ihr ab. »Gute Nacht, Noroelle.«
Sie küsste ihn zum Abschied.
Nuramon verließ die Terrasse und blickte, als er an der Tür zum Festsaal angekommen war, noch einmal zu Noroelle zurück. Sie war einfach vollkommen. Nie und nirgends zuvor hatte er es so klar sehen können wie in diesem Augenblick.
Als er den Gang erreichte, von dem die Kammern der Elfenjäger abgingen, stellte er fest, dass nun alle Türen geschlossen waren. Die Besucher, die erwartet worden waren, hatten ihre Aufwartung gemacht, mit weiteren schien keiner zu rechnen. Das Stimmengewirr bezeugte, dass es viele waren, die den Weg zu den anderen gefunden hatten.
Vor seiner eigenen Tür blieb er stehen und lauschte. Es war still. Er hoffte so sehr, dass wenigstens einer seiner Verwandten über seinen Schatten gesprungen war und dort auf ihn wartete. Nuramon öffnete die Tür und schaute hinein. Tatsächlich, neben dem Bett stand eine reglose Gestalt und wandte ihm den Rücken zu. Seine Freude währte nur einen Herzschlag lang. In seiner Abwesenheit hatte man einen Rüstungsständer gebracht, und er hatte ihn im schwachen Licht der Barinsteine für einen Elfen gehalten, so sehr hatte er sich Besuch gewünscht.
Enttäuscht schloss er die Tür hinter sich. Er trat an den Rüstungsständer heran und betrachtete die Geschenke der Königin. Es waren ein Mantel, eine Rüstung und ein Kurzschwert.
Nuramon nahm den weinroten Mantel vom Ständer und wog ihn in den Händen. Er war schwer und aus Wolle und Leinen gefertigt; so geschickt war er gearbeitet und mit Zauberfäden verwoben, dass kein Windzug und kein Tropfen Wasser den Weg hindurchfinden würde. Er würde ihn vor Hitze wie auch vor Kälte schützen.
Noroelle besaß einen solchen Mantel. Sie hatte ihn aus Alvemer mitgebracht. Die Königin hatte ihn gewiss nicht unbedacht zur Verfügung gestellt. Ein Stück aus Alvemer war ein Stück aus Noroelles Heimat. Wenn er im Winter der Menschenwelt durch die Kälte ritt, würde er es warm haben.
Er faltete den Mantel und legte ihn auf die steinerne Bank. Neugierig betrachtete er die Rüstung. Es war der Harnisch eines Drachentöters. Diese Panzer waren berühmt dafür, zäh und anschmiegsam zugleich zu sein. Es erforderte eine besondere Kunstfertigkeit, eine solche Rüstung zu fertigen. Sie war aus zahlreichen Stücken Drachenhaut zusammengesetzt und schützte Rumpf und Arme. Der Rüstungsmacher war ein Meister seines Handwerks gewesen. Jedes Fragment Drachenhaut hatte er in zahlreiche dünne Lagen gespalten, dann bearbeitet und nach seinem Willen neu zusammengefügt. Zwischen den einzelnen Lagen hatte er etwas Tropfenförmiges eingelassen. Wahrscheinlich handelte es sich um zurechtgeschnittene Drachenschuppen. Was es wirklich war, blieb wohl das Geheimnis des Rüstungsmachers. Das Leder roch angenehm. Der Gestank der Drachen war bei der Behandlung der Haut vergangen und einem milden Geruch nach Wald gewichen.
Nur in Olvedes wurden noch Drachenrüstungen hergestellt, denn allein dort stellten die Feuer speienden Ungeheuer noch eine Gefahr dar. Die Rüstungsmacher von Olvedes waren berühmt, sie pflegten ihr Symbol auf ihren Werken zu hinterlassen. Nuramon löste das Wehrgehänge und nahm die Rüstung vom Ständer. Auf ihrer Innenseite suchte er nach dem Zeichen des Meisters, der dieses Prachtstück gefertigt hatte. Er fand es am Bruststück versteckt. Eine Sonne war dort abgebildet. Darunter stand in kleinen Lettern: Xeldaric.
Nuramon war gerührt. Xeldaric galt als einer der besten Rüstungsmacher, die es je gegeben hatte. Er war ins Mondlicht gegangen, nachdem er für die Königin sein Lebenswerk geschaffen hatte: eine vollständige Albenrüstung. Nuramon war noch ein Kind gewesen, als er von dieser Rüstung gehört hatte. Xeldaric war im Thronsaal der Burg ins Mondlicht gegangen, nachdem die Königin das Werk entgegengenommen hatte.
Eine Rüstung aus den Händen Xeldarics zu tragen war eine große Ehre. Und selbst wer sich nicht die Mühe machte, nach dem Zeichen des Meisters zu suchen, konnte erkennen, dass dieser Harnisch eine wahrhaft fürstliche Gabe war. Auch wenn ihr auf den ersten Blick die Gleichförmigkeit eines Plattenpanzers fehlte, war jedes Teilstück der Rüstung am rechten Platz und erzählte die Geschichte der Drachenjagd. Die grüne Haut der Drachen aus Olvedes war ebenso eingearbeitet wie das braune Leder der Drachen aus den Wäldern von Galvelun bis hin zu den roten Sonnendrachen von Ischemon. Zusammengenommen bildeten die Fragmente ein Mosaik aus Waldfarben, die fließend ineinander übergingen.
Nuramon hängte die Rüstung wieder auf den Ständer. Nun griff er nach dem Schwertgurt, den er auf das Bett gelegt hatte. Er fand ein Schwert in einer schlichten Lederscheide. Der Wiegenknauf und die Parierstange waren aus Gold und aufwändig verziert, der Griff war aus Perlmutt- und Kupferstreifen gefertigt. Nuramon zog die Waffe aus der Scheide und hielt den Atem an. Die Klinge war aus Sternenglanz geschmiedet, einem Metall, das nur auf den höchsten Gipfeln zu finden war. Diese Waffe war ein ebenso großes Meisterwerk wie die Rüstung. In der Mitte der breiten Parierstange befanden sich verschlungene Runen. Erst auf den zweiten Blick erkannte Nuramon, was dort stand: Gaomee! Er hielt das Schwert der Gaomee in Händen! Mit dieser Waffe hatte sie Duanoc besiegt. Und jetzt sollte er sie führen …
Farodin hatte seine Gäste schon früh verabschiedet. Er wollte mit sich allein sein, um seine Gedanken zu ordnen. Doch dies war ihm kaum möglich, denn aus dem Nachbarzimmer schallte der Lärm eines Gelages. Der Menschensohn war wahnsinnig! Niemand von Vernunft betrank sich in der Nacht vor der Elfenjagd. Und das wiehernde Lachen verriet, dass ihm Aigilaos bei dieser Torheit noch Gesellschaft leistete.
Er legte sich auf das harte Bett, das ihm aus anderen Nächten wie dieser vertraut war. Stille Freude überkam ihn, als er an die Ereignisse des Abends zurückdachte. Endlich hatte er es gewagt, sich Noroelle zu offenbaren. Hatte es gewagt, in eigenen, unbeholfen gesetzten Worten von seiner Liebe zu sprechen. Und was tausend Lieder nicht vermocht hatten, hatten ihm einige wenige Sätze, die von Herzen gesprochen waren, schließlich beschert: Er war sich sicher, Noroelle an diesem Abend für sich gewonnen zu haben.
Ein leises Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Kobold mit einer großen Blendlaterne trat ein. »Entschuldige, dass ich deine Ruhe in der Nacht vor der großen Jagd störe, Ehrenwerter, doch die Königin wünscht dich zu sehen. Bitte folge mir.«
Überrascht streifte der Elf sein Gewand über. Was mochte geschehen sein?
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