In der Mitte des Kreises, in der Mitte des Zauberersandes, lag ein runder Gegenstand. Richard ging näher. Er war überall mit Schnitzereien wilder Tiere verziert, genau wie die Prälatin ihn beschrieben hatte.
Richard hätte vor Wut am liebsten aufgeschrien.
Genau in diesem Augenblick hob Darken Rahl den Kopf und blickte genau in Richards Augen. Ein Lächeln breitete sich langsam auf seinen Lippen aus.
Richard wußte nicht, ob Darken Rahl ihn tatsächlich ansah oder nicht, er wollte es auch nicht wissen. Mit verzweifelter Anstrengung zwang er das Bild des Schwertes wieder vor sein inneres Auge und verbannte gleichzeitig den schwarz-weißen Hintergrund.
Richard schnappte nach Luft und riß die Augen auf. Schwer atmete er.
Auch Schwester Verna öffnete die Augen. »Ist alles in Ordnung, Richard? Du warst eine ganze Stunde fort. Ich spürte, wie du versucht hast, dich herauszuziehen, also habe ich mit dir gezogen. Was ist passiert? Was hast du gesehen?«
»Eine Stunde?« Richard hatte noch immer Mühe, wieder zu Atem zu kommen. »Ich habe Darken Rahl gesehen und den Skrinknochen. Bei ihm war eine Frau, die ihm half, Banne in den Zauberersand zu zeichnen.«
Warren beugte sich über Richards Schulter. »Vielleicht war es nur eine Angstvision. Möglicherweise war sie nicht real.«
»Warren könnte recht haben«, meinte Schwester Verna. Sie biß sich auf die Unterlippe und dachte nach. »Wie sah die Frau aus?«
»Welliges, schulterlanges, braunes Haar, vielleicht Eure Größe. Sie hatte sich über eine Zeichnung im Sand gebeugt, deshalb konnte ich ihre Augen nicht erkennen.« Richard preßte seine Finger an die Stirn und überlegte. »Ihre Hand. Ihr fehlte der kleine Finger ihrer rechten Hand.«
Warren stöhnte. Schwester Verna schloß entsetzt die Augen.
»Was ist? Was ist denn los?«
»Schwester Odette«, sagte sie. »Das ist Schwester Odette.«
Warren bestätigte es mit einem Nicken. »Sie ist jetzt fast sechs Monate fort. Ich dachte, sie sei losgezogen, um einen Jungen abzuholen.«
»Fluch den Seelen«, stieß Richard kaum hörbar hervor. Er sprang auf. »Warren, lauf und hole Du Chaillu. Erkläre ihr, daß wir sofort aufbrechen müssen.«
Er biß verzweifelt die Zähne aufeinander. Er hatte geglaubt, alle Zeit zu haben, die er brauchte. Nun, ihm blieb noch genug Zeit, wenn er sich beeilte.
Du Chaillu schien wie in Trance zu sein, als Richard sie an der Hand weiterzog. Richard hielt das Schwert der Wahrheit in der anderen Hand. Auch er befand sich in einer ganz eigenen Welt. Sein wütender Zorn war den zornigen, schwarzen Wolken ebenbürtig. Die magischen Banne umkreisten sie wie eine Meute von Hunden ein Stachelschwein: wütend und hartnäckig, dabei auf Abstand bedacht, suchten sie nach einer Blöße.
Feine Lichtstreifen stießen aus der Dunkelheit hervor und umwirbelten sie spiralförmig, um dann in einer Aura rings um Du Chaillu zu verschwinden. Sie schien die Magie in sich aufzusaugen, wie sie es laut Schwester Verna früher schon getan hatte. Zusammen bildeten sie jene Verbindung, die, so stand es nach Warrens Angaben in den alten Büchern, die Kraft bändigen und die Türme zum Einsturz bringen würde.
Richard entdeckte den ersten Turm inmitten der Hitzewellen und des brodelnden Dunstes. Er zog Du Chaillu zu der glänzenden, schwarzen Wand, die sich nach oben in der Dunkelheit verlor. Überall wirbelten Staub und Schmutz auf, als sie auf die bogenförmige Öffnung in der Mauer zustürzten. Banne versuchten, sie zu packen, ihr Licht jedoch wurde von Du Chaillu angesogen.
Richard handelte ohne nachzudenken. Er wußte nicht, was ihn weiterzog, er versuchte nicht, es aufzuhalten. Wenn er siegen und Kahlan retten wollte, dann mußte er sich von seinem Instinkt leiten lassen. Er mußte darauf hoffen, daß die Gabe von sich aus reagierte, wie Nathan es ihm erklärt hatte, und das Erforderliche tat — vorausgesetzt, er besaß sie tatsächlich.
Du Chaillu schien den funkelnden, schwarzen Sand nicht zu bemerken, auf dem sie jetzt in der Mitte des Turmes standen. Offenbar war sie in einem eigenen Zauber verloren, in der Kraft, die von den Erbauern der Türme, den Räubern ihres Landes, auf sie übergegangen war. Bis hierher hatte sie ihren Teil erledigt, sie hatte ihn beschützt. Jetzt war Richard an der Reihe.
Einer Eingebung folgend umklammerte er fest ihre Hand und hob mit der anderen Hand das Schwert in die Höhe, die Spitze senkrecht nach oben gerichtet. Er verlor sich in der Raserei der Magie, ließ sich von ihr überwältigen. Er fühlte ihre Glut in seinem ruhigen Mittelpunkt, den er immer gesucht hatte. Er füllte die Leere mit seinem Zorn.
Ein Lichtblitz zuckte aus dem Schwert hervor, bildete einen Lichtbogen in der Dunkelheit über ihren Köpfen, sprang von einer Wand zur anderen und tauchte sie alle in flüssiges Licht. Der Lärm war ohrenbetäubend.
Feuer raste durch den schwarzen Stein, bis der ganze Turm erglühte, der Stein sich in der Hitze der strahlenden Entladung weiß verfärbte.
Richard hatte das Gefühl, als durchdringe der Blitz auch ihn. Das grelle Licht versengte ihn mit seiner Energie, brach aus und schoß hinauf durch sein Schwert. Nur sein Zorn ermöglichte es ihm, die Heftigkeit der unaufhaltsamen Kraft aus seinem Innern auszuhalten.
Zuckende Blitzgeflechte stürzten die Wände hinunter und über den schwarzen Sand hinweg, bis alles nur so von ihnen wimmelte. Der schwarze Sand verfärbte sich weiß wie vorher schon die Wände, und die Welt entzündete sich in einem Pulsieren aus Licht und Feuer.
Plötzlich war es vorbei. Das Blitzen hörte auf, das Feuer erlosch mit einem letzten Flackern, das donnernde Getöse ließ nach und hinterließ eine Stille, die ihm in den Ohren klang. Der polierte schwarze Stein des Turmes blieb als gleißend weiß zurück.
Du Chaillu schien noch immer keine Notiz von ihrer Umgebung zu nehmen, also zog Richard sie weiter, um das Werk zu vollenden, für das sie beide geboren worden waren.
Als er im weißen Turm das Schwert in die Höhe hielt, erwartete er wieder ein Aufblitzen von Hitze und Licht, doch nichts dergleichen geschah. Statt dessen kam es zu einer Explosion des Gegenteils, des Gegengewichtes.
Eine Erschütterung zerriß die Luft, drohte ihnen das Fleisch von den Knochen zu reißen, als ein schwarzer Blitz in die Höhe schoß — eine Leere inmitten des Lichts. Wie zuvor den Blitz, spürte Richard, wie die Wucht der Energie tief in seinem Innern explodierte, als entstamme sie seiner Seele selbst. Die peitschende Leere fetzte durch die Wände und jagte unter donnerndem Getöse einen Keil aus Nichts in das Dunkel über ihren Köpfen.
Als der schwarze Blitz schlangelnd in der Finsternis verschwand, sickerten Schatten die weißen Wände herab, und es schien, als verschmolzen sie mit den Tiefen ewiger Nacht. Die Finsternis erreichte den Erdboden, kam auf sie zugekrochen, versickerte im weißen Sand und färbte ihn schwarz.
Richard dachte keinen Augenblick daran, vor der um sich greifenden Nacht zu fliehen. Als sie die beiden erreichte, war es, als werde er in Eiswasser getaucht. Du Chaillu, die Augen geschlossen, erzitterte unter der Berührung. Richard sah es, doch wegen des Zorns der Magie des Schwertes blieb es ein ferner Eindruck, der seiner Wut nur neue Nahrung gab.
Es schien, als wäre eine ganze Welt für immer in pechschwarzer Vergessenheit versunken. Helligkeit, die Fähigkeit, etwas zu sehen, waren nicht einmal mehr Erinnerung.
Richard spürte, wie das wellenförmig sich bewegende, sich windende Band des schwarzen Blitzes, das Vakuum in der Welt des Lebens, abgeschnitten wurde. Eine plötzliche Stille trat an die Stelle des chaotischen Lärms. Er konnte seinen eigenen schweren Atem hören. Er hörte, wie auch Du Chaillu schwer atmete. Licht und Leben und Wärme stiegen aus dem kalten Nichts empor.
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