Er schob den Arm wieder aus seinem Blickfeld. Die Stors waren nicht in der Lage gewesen, ihn zu heilen. Was auch immer die Natur des Giftes war, das der Asphinx ihm eingespritzt hatte, die Stors konnten es nicht behandeln. Und wenn die Stors es nicht behandeln konnten – die Stors, die die besten Heilkundigen in den Vier Ländern waren …
Er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken. Er schob ihn beiseite, schloß die Augen und versuchte, wieder einzuschlafen, doch es ging nicht. Das einzige, was er sehen konnte, war, wie sein Arm unter der Wucht der Steinaxt zersplitterte.
Verzweiflung überfiel ihn, und er weinte.
Eine Stunde war verstrichen, als die Tür aufging und Cogline ins Zimmer trat, ein Eindringling, dessen Anwesenheit die Stille noch unbehaglicher machte.
»Walker«, grüßte er leise.
»Sie können mich nicht retten, nicht wahr?« fragte Walker ohne Umschweife. Seine Verzweiflung verdrängte alles andere.
Der alte Mann wurde zu einer Statue neben seinem Bett. »Du lebst, nicht wahr?« erwiderte er.
»Mach keine Wortspiele mit mir. Was immer getan worden ist, es hat das Gift nicht rausgetrieben. Ich kann es spüren. Ich mag noch leben, aber nur für den Augenblick. Sag mir, ob ich mich irre.«
Cogline machte eine Pause. »Du irrst dich nicht. Das Gift ist noch immer in dir. Selbst die Stors haben keine Mittel, es zu entfernen oder seine Ausbreitung aufzuhalten. Doch sie haben den Prozeß verlangsamt, den Schmerz gelindert und dir Zeit gegeben. Das ist mehr, als ich erwartet hätte, in Anbetracht der Art und des Umfangs der Verletzung. Wie fühlst du dich?«
Walkers Lächeln war zögernd und bitter. »So, wie man sich fühlt, wenn man im Sterben liegt natürlich. Aber auf angenehme Weise.« Sie schauten einander einen Augenblick wortlos an. Dann ging Cogline zu dem Stuhl und ließ sich darauf nieder, ein Bündel aus alten Knochen, schmerzenden Gelenken und runzliger, brauner Haut. »Erzähl mir, was dir geschehen ist, Walker«, sagte er.
Walker tat es. Er berichtete ihm, wie er die alte, ledergebundene Druidengeschichte gelesen hatte, die Cogline ihm gegeben hatte; wie er da von dem schwarzen Elfenstein erfahren und den Entschluß gefaßt hatte, den Rat des Finsterweihers einzuholen; wie er dessen Rätsel angehört und die Visionen angeschaut, wie er daraus geschlossen hatte, daß er zur Halle der Könige gehen müsse, wo er das geheime, mit Runen markierte Fach auf dem Boden der Gruft gefunden hatte und schließlich vom Asphinx gebissen und vergiftet worden war, der dort hingebracht worden war, um ihm aufzulauern.
»Um jemandem aufzulauern jedenfalls, vielleicht irgendwem«, bemerkte Cogline.
Walker sah ihn scharf an, Mißtrauen und Zorn blitzten aus seinen Augen. »Was weißt du darüber, Cogline? Spielst du jetzt die gleichen Spiele wie die Druiden? Und was ist mit Allanon? Wußte Allanon …?«
»Allanon wußte gar nichts«, unterbrach ihn Cogline und wischte den Vorwurf beiseite, ehe er ausgesprochen werden konnte. Seine alten Augen funkelten unter den zusammengezogenen Brauen. »Du hast es unternommen, die Rätsel des Finsterweihers allein zu lösen – eine törichte Entscheidung von dir. Ich habe dich wiederholt gewarnt, daß der Geist einen Weg finden würde, dich zu vernichten. Wie sollte Allanon von deiner mißlichen Lage wissen? Du unterstellst einem Mann, der seit dreihundert Jahren tot ist, zu viel. Selbst wenn er noch lebte, könnte seine Magie niemals jenen Zauber, der die Halle der Könige abschirmt, durchdringen. Sobald du im Inneren warst, warst du für ihn verloren. Und für mich auch. Erst als du wieder herauskamst und am Hadeshorn zusammenbrachst, war er wieder in der Lage, zu erkennen, was geschehen war, und mich zu rufen, um dir zu helfen. Ich kam, so schnell ich konnte, und auch das brauchte drei Tage.«
Er hob eine Hand und stieß ihn mit seinem knochigen Finger an. »Hast du dir mal die Mühe gemacht, dich zu fragen, warum du nicht tot bist? Du bist nicht tot, weil Allanon einen Weg gefunden hat, dich am Leben zu halten, zuerst, bis ich ankam, und dann, bis die Stors dich behandeln konnten! Denk mal ein bißchen daran, ehe du anfängst, so leichthin Vorwürfe auszuteilen!«
Er funkelte ihn an, und Walker funkelte zurück. Es war Walker, der als erster den Blick abwandte, zu krank im Herzen, um die Konfrontation fortzusetzen. »Mir fällt es schwer, gerade jetzt irgendwem zu glauben«, bot er jämmerlich an.
»Dir fällt es schwer, irgendwem irgendwann zu glauben«, erwiderte Cogline schnippisch und unversöhnt. »Du hast dein Herz vor langer Zeit mit Eisen gepanzert, Walker. Du hast aufgehört, an irgendwas zu glauben. Ich erinnere mich an Zeiten, als das nicht der Fall war.«
Er versank in Gedanken, und es wurde still im Zimmer. Walker mußte unwillkürlich an die Zeit denken, die der alte Mann meinte, damals, als er zum ersten Mal bei Walker erschienen war und ihm angeboten hatte, ihm Wege zu zeigen, wie er die Magie nutzen konnte. Cogline hatte recht. Damals war er voller Hoffnung gewesen.
Er mußte beinahe lachen. Das lag schon so lange zurück.
»Vielleicht kann ich meine eigene Magie dazu verwenden, das Gift aus meinem Körper zu vertreiben«, erkühnte er sich leise. »Wenn ich erst wieder in Hearthstone bin und mich erholt habe. Brin Ohmsford hatte einst so große Macht.«
Cogline senkte den Blick und schaute nachdenklich drein. Seine knochigen Hände lagen lose auf den Falten seines Gewandes. Er sah aus, als versuche er, sich zu einer Entscheidung durchzuringen.
Walker wartete ein Weilchen, dann fragte er: »Was ist aus den anderen geworden – aus Par und Coll und Wren?«
Cogline hielt seinen Blick gesenkt. »Par ist auf die Suche nach dem Schwert gegangen, der junge Coll begleitet ihn. Das Mädchen sucht nach den Elfen. Sie haben die Aufträge, die Allanon ihnen gegeben hat, angenommen.« Er schaute auf. »Und du, Walker?«
Walker starrte zu ihm auf. Er fand die Frage gleichzeitig absurd und beunruhigend, war hin- und hergerissen zwischen widerstreitenden Gefühlen von Unglauben und Ungewißheit. Einst hätte er nicht gezögert, die Antwort zu geben. Er dachte wieder an das, was Allanon ihn zu tun gebeten hatte: Bring das untergegangene Paranor und die Druiden zurück. Ein lächerliches, unmögliches Unterfangen, hatte er damals gedacht. Als alberne Spielchen hatte er es verdammt. Er wollte an solcher Dummheit nicht teilhaben, hatte er Par, Coll, Wren und den anderen der kleinen Gruppe verkündet, die mit ihm ins Tal von Shade gekommen waren. Er verachtete die Druiden wegen ihrer Manipulationen der Ohmsfords. Er würde sich nicht zu ihrer Marionette machen lassen. Er war so verwegen gewesen, so gewiß. Eher würde er sich eine Hand abhacken, als die Druiden wiederkommen sehen, hatte er verkündet.
Und der Verlust seiner Hand war der Preis, der gefordert worden war, so schien es.
Doch hatte der Verlust wirklich jeglicher Rückkehr von Paranor und den Druiden ein Ende gesetzt: Genauer gesagt, war das das, was er jetzt beabsichtigte?
Ihm war bewußt, daß Cogline ihn musterte und ungeduldig auf Walker Bohs Antwort auf seine Frage wartete. Walker hielt seinen Blick fest auf den alten Mann gerichtet, ohne ihn zu sehen. Er mußte plötzlich an die Druidengeschichte und die Legende von dem schwarzen Elfenstein denken. Wäre er nicht auf die Suche nach dem Elfenstein gegangen, hätte er seinen Arm nicht eingebüßt. Warum war er gegangen? Aus Neugierde, dachte er. Aber das war eine zu simple Antwort, und er wußte, daß es nicht so einfach war. Wie auch immer, war nicht allein die Tatsache, daß er trotz seines Protests gegangen war, ein Beweis dafür, daß er tatsächlich Allanons Auftrag angenommen hatte?
Und wenn nicht, was war es dann, was er getan hatte?
Er sah den alten Mann wieder an. »Sag mal, Cogline. Wo hast du das Buch der Druidengeschichte herbekommen? Wie hast du es gefunden? Als du es mir gebracht hast, sagtest du, daß du es aus Paranor geholt habest. Doch das stimmt gewiß nicht.«
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