Michael kämpfte sich frei und hieb mit dem Luftschwert auf das Gesicht des Blutsverwandten ein. Seine Augen waren blutig gestreift, und die Waffe verursachte tiefe, grausame Wunden. Dennoch fand er keinen sicheren Stand.
Plötzlich war ihm, als treibe er auf dichter Gischt im Kielwasser einer großen, rollenden Welle. Er sah den Boden und den Himmel aufblitzen, während das Klippenende näher kam. Michael versuchte ein letztes Mal, den Rand des Vorsprungs zu fassen, doch es gelang ihm nicht. Er wurde von der Flut in Gestalt des an ihm hängenden Mannes fortgespült, der sein Fleisch mit dem Knochen durchbohrt hatte, der ihn geschändet hatte, der seine dämonische Seele geschluckt hatte. Der ihm Tysterisk aus der Hand schlug.
Michael spürte, wie die Dunkelheit seinen Verstand fraß, als ihm die Macht des Windes mit einem fürchterlichen Geräusch aus Körper und Seele gerissen wurde.
Er spürte in den hintersten Winkeln, wie der Dämon verzweifelt nach einem anderen Wirt suchte, nach einem Ort, an den er fliehen konnte, doch MacQuieth hatte dafür gesorgt, dass es kein Entkommen gab. Selbst die Pferde waren zu weit entfernt.
Durch seine Schmerzen hindurch versuchte Michael dem Wind zu befehlen, er möge ihn tragen, doch er verlangsamte kaum seinen Fall. Es war, als drücke ihn der gesamte Ozean nieder. Sein Schrei vermischte sich mit dem Heulen des Windes und verlor sich zwischen den Felsen. Achmed trieb auf dem Scheitelpunkt einer Welle, die ihn gepackt hatte, und wurde hilflos im weiten Meer umhergeworfen.
Keine Panik, zwang er sich zu denken. Keine Panik.
Die überwältigende Kraft der Wellen erfasste ihn, hüllte seine Sinne ein und brannte wie Säure auf seiner Haut. Er versuchte, nicht zu atmen, nicht aufzugeben und der Strömung zu widerstehen, in deren Griff er steckte. Wenn es ihm gelänge, sich so lange zu entspannen, bis er weiter draußen im Meer war, würden die Wellen schwächer werden und er sich treiben lassen können. Aber diese Kraft war ihm nicht gegeben.
Das unendliche grüne Wasser schlug über seinem Kopf zusammen. Die zahllosen Schwingungen, die in jedem wachen Augenblick gegen seine Sinne schlugen, waren plötzlich verstummt und wurden von einem gedämpften Lärm ersetzt – dem tiefen, dumpfen Pulsieren der See, die ihn nun wie ein Himmel umgab.
Der letzte Gedanke, den Achmed fasste, bevor der Atem aus ihm herausgedrückt wurde, war eine Erinnerung an die alte Welt – an einen Tag, an dem er in voller Panzerung geritten war und eine Brücke unter ihm nachgegeben hatte. Er und sein Pferd waren in den großen Fluss gestürzt, der die Insel teilte und der von den ergiebigen Regengüssen des Frühlings angeschwollen war. Nie zuvor war er dem Tod so nahe gewesen, und die Panik und Hilflosigkeit, die er empfunden hatte, als sein Körper im Wasser herumgewirbelt worden war, kamen ihm nun wieder in den Sinn. Dann schloss sich die Dunkelheit um ihn.
Er verlor das Bewusstsein, doch plötzlich wurde er mit einem starken Griff am Nacken aus den stillen, grünen Tiefen in das kalte, helle Reich der Luft gezogen.
»Ruhig«, sagte Ashe. »Ich habe dich. Lass dich treiben.«
Die beiden Männer schienen eine Ewigkeit auf den Wellen zu tanzen und beobachteten besorgt die fernen Klippen.
Ashe streckte seine Drachensinne aus und versuchte einen Ort zu finden, wo sie an Land gehen konnten. Bestürzt nahm er ein unauslöschliches inneres Bild wahr, während er Achmeds Kopf über Wasser hielt.
Zwei fallende Männer waren in tödlichem Kampf ineinander verkrallt, und zwischen ihnen schwebte ein dämonischer Schatten. Zusammengeschweißt in Körper – des einen Knochen spießte des anderen Fleisch auf – und Geist, versuchte das Wesen, das einst Michael gewesen war, auf einer Brücke aus schwarzem Feuer sich mit verzweifelten Armbewegungen von dem zu allem entschlossenen Kirsdarkenvar zu trennen, dessen uraltes Gesicht konzentrierte Ruhe ausstrahlte. Kurz bevor die Körper auf den Felsen aufschlugen, schwand Ashe das Bewusstsein, als ihn eine Welle aus elementarer Kraft überspülte, die Wind und Wasser und dunkles Feuer zu einem Gemisch verschmolz, das seine Drachensinne nicht ertragen konnte. Er kämpfte darum, das Bewusstsein wiederzuerlangen, und stemmte sich gegen die Gezeitenwelle, die über ihnen aufstieg.
Ein Blitz aus schwarzem Feuer und Dampf schoss in den Himmel. Das Meer am Fuß der Klippen brodelte bis in die Tiefen hinein. Die Felsen leuchteten auf, und Gischt überzog in Wellen das Wasser.
»Halt dich fest«, sagte Ashe zu dem Bolg-König, als die Welle sie erreicht hatte. Sie war halb so hoch wie die Klippen und grollte schrecklich.
Auf der Welle taumelte ein Körper. Er trieb auf etwas Schwimmendem, das ihn vor dem Untergehen bewahrte.
»Gute Götter«, flüsterte Ashe und trat Wasser. Er schlang die Arme um Achmed. »0 Götter. Hol tief Luft.«
Er tauchte mit Achmed im Schlepptau unter, schwamm parallel mit der Strömung, durchpflügte das Wasser, als die ersten Wellenberge sich unter ihnen auftürmten, und ließ sie hinter sich. Der Drache in seinem Blut, der durch den Anprall der Kraft geweckt wurde, hatte einen Streifen goldenen Haares in dem Schutt entdeckt, der da ins Meer hinausgespült wurde.
Ashe sah sich der Entscheidung gegenüber, entweder einen ertrinkenden Mann oder seine Frau zu retten oder die Waffe zu verlieren, an die seine Seele gebunden war, denn er hatte keine freie Hand mehr. Ohne zu zögern ließ Ashe das Schwert los, das er als Kirsdarkenvar trug. Es glitt hinein in die wirbelnde grüne Tiefe. Er streckte eine Hand aus, packte die verfilzte Masse, die hinter der Welle einhertrieb, und drehte sie rasch um.
»O Götter«, keuchte er und schüttelte den Arm des verblüfften Dhrakiers. »Rhapsody.«
Eine weitere Vorwelle des drohenden Brechers überspülte sie – ein Vorbote des Todes. Inmitten der grünen, wirbelnden Wasserwelt drückte Ashe den schlaffen Körper seiner Frau gegen die Brust und hielt sie in der Armbeuge. Er bemühte sich, auch den Firbolg-König zu halten, der halb bewusstlos war und nicht mehr zappelte.
Der Himmel über ihnen war grün und schwarz, und ätzender Dampf aus dem Kampf der Elemente zwischen Mac-Quieth und Michael, dem alten Kirsdarkenvar und dem Wind des Feuers, durchzog die Luft.
In diesem Augenblick wusste Ashe, dass er nicht beide Körper würde halten können, wenn die Welle ihn erreichte.
Sie schwammen auf dem letzten kleineren Wasserkamm, als sich die Hauptwelle näherte und die Sonne verdunkelte.
In den letzten Sekunden vor dem Anbranden der Welle erinnerte sich Ashe an den Ausdruck der Gewissheit in Mac-Quieths Augen – die Augen, die am Morgen blind gegen die Welt der Sonne waren.
Er mag dem Wind befehlen, aber ich bin das Schwert. Das Wasser aber berührt alles. Kirsdarke ist unser Schwert.
Die Antwort kam aus dem Salz in seinem Blut.
Das Wasser aber berührt alles. Kirsdarke ist unser Schwert.
Auch ich bin das Schwert, dachte er. Er öffnete die Finger der Hand, welche den vom Wasser betäubten Firbolg-König hielt, und richtete die Aufmerksamkeit auf das Band zwischen ihm und Kirsdarke.
An den Fingerspitzen spürte er den Griff, das einzig Feste an der Waffe, wenn sie im Wasser lag. Er packte sie und nötigte sie, eine dunsthafte Gestalt anzunehmen. Dabei ließ er den Bolg-König einen Herzschlag lang los, stach Achmed das Schwert in die Brust und schlang wieder den Arm um ihn.
»Halt dich an dem Schwert fest«, rief er durch das Donnern der brandenden See. »Atme!«
Ashe wandte sich der bewusstlosen Rhapsody in seinem anderen Arm zu und drückte ihren Kopf zurück. In der verfilzten Masse von Haar und Seetang versuchte er ihr Gesicht zu finden. Er presste den Mund gegen die blauen Lippen, packte dann Kirsdarkes Griff, schickte alles Wasser in seinem Körper und die gesamte Elementargewalt, die er aus dem tobenden Meer zusammenziehen konnte, in die wässerige Klinge und hoffte, die Kraft werde auch Achmed durchdringen. Er zog das Wasser aus Rhapsodys Lunge und blies die Luft durch die Klinge in den Firbolg-König.
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