»Eher dreizehn«, meinte Raff der Liebling.
»Mag sein, auf jeden Fall war sie nicht sehr hübsch anzuschauen, aber Eggon hat gesoffen und betätschelt sie, und ich selbst patsche auch ein bisschen an ihr herum. Raff meint zum jungen Stillwald, dass er das Mädchen mit nach oben nehmen soll, damit er endlich zum Mann wird, und ermutigt den Jungen nach Kräften. Schließlich greift Joss ihr unter den Rock, und sie schreit und lässt den Krug fallen und rennt in die Küche. Also, hier wäre die Geschichte eigentlich zu Ende, aber der alte Narr von Wirt geht doch glatt zu unserem Ser und bittet ihn, dafür zu sorgen, dass wir das Mädchen in Ruhe lassen, wo er doch ein gesalbter Ritter sei.
Ser Gregor hat unsere Späße bisher gar nicht beachtet, aber jetzt setzt er diesen Blick auf, den kennt ihr alle, und er befiehlt, dass das Mädchen zu ihm gebracht werden soll. Der alte Mann muss sie also aus der Küche zu uns hereinzerren und kann nur sich selbst die Schuld geben. Der Ser betrachtet sie und meint: ›Das ist also die Hure, um die du dir solche Sorgen machst‹, und dieser vertrottelte Dummkopf sagt: ›Meine Layna ist keine Hure, Ser‹, und zwar Gregor mitten ins Gesicht. Der Ser blinzelt nicht einmal und sagt nur: ›Ab jetzt schon‹, wirft dem Wirt ein Silberstück zu, reißt dem Mädel das Kleid vom Leib und nimmt sie mitten auf dem Tisch, vor den Augen ihres Vaters. Sie zappelt und schreit und windet sich wie ein Kaninchen. Den Blick des alten Wirtes müsst ihr euch vorstellen, ich habe gelacht, dass mir das Bier aus der Nase kam. Dann hört dieser Junge den Lärm, der Sohn, nehme ich an, und kommt aus dem Keller raufgerannt, also muss Raff ihm mit dem Dolch ein bisschen in den Bauch pieken. Inzwischen ist der Ser fertig und trinkt weiter, und wir anderen kommen an die Reihe. Tobbot, ihr kennt ihn ja, der dreht sie auf den Bauch und nimmt sie durch den Hintereingang. Als ich endlich dran bin, hat das Mädchen aufgehört, sich zu wehren, vielleicht hat sie ja am Ende noch Spaß dran gefunden, obwohl mich ein bisschen Zappeln nicht gestört hätte, um die Wahrheit zu sagen. Und jetzt kommt das Beste … nachdem wir alle durch sind, sagt der Ser dem alten Mann, er wolle sein Wechselgeld haben. Das Mädchen sei kein Silberstück wert gewesen … und verflucht, der Alte holt tatsächlich eine Hand voll Kupferstücke, bittet Mylord um Verzeihung, und dankt ihm für die Ehre.«
Die Männer brüllten und johlten, und Chiswyck lachte am lautesten über seine eigene Geschichte, bis ihm der Rotz aus der Nase in den verfilzten grauen Bart lief. Arya stand im Schatten des Treppenhauses und beobachtete ihn durch die offene Tür. Sie schlich zurück in den Keller, ohne ein Wort zu sagen. Als Wies herausfand, dass sie seinen Auftrag nicht ausgeführt hatte, zog er ihr die Hosen herunter und prügelte sie, bis ihr das Blut an den Beinen herunterlief, doch Arya schloss die Augen und dachte an das, was Syrio sie gelehrt hatte, und so spürte sie die Schläge kaum.
Zwei Nächte später schickte er sie in die Halle der Kaserne, um an den Tischen zu bedienen. Sie trug gerade einen Krug Wein herum und schenkte ein, als sie Jaqen H’ghar bemerkte, der auf der anderen Seite des Gangs beim Essen saß. Arya biss sich auf die Unterlippe und schaute sich vorsichtig um, ob Wies in der Nähe sei. Angst schneidet tiefer als ein Schwert, sprach sie sich selbst Mut zu.
Sie machte einen Schritt und noch einen, und mit jedem fühlte sie sich weniger wie eine Maus. Sie arbeitete sich die ganze Bank hinunter vor und füllte Weinbecher. Rorge saß rechts neben Jaqen; er war sturzbetrunken und nahm sie nicht zur Kenntnis. Arya beugte sich vor und flüsterte Jaqen ins Ohr: »Chiswyck.« Der Mann aus Lorath ließ sich nicht anmerken, ob er etwas gehört hatte.
Als ihr Krug leer war, eilte Arya hinunter in den Keller, um ihn am Fass neu zu füllen, und kehrte rasch nach oben zurück. Niemand war in der Zwischenzeit an Durst gestorben oder hatte ihre kurze Abwesenheit auch nur bemerkt.
Am nächsten Tag geschah nichts, und auch am darauffolgenden nicht, doch am dritten Tag ging Arya mit Wies zur Küche, um das Essen zu holen. »Einer der Männer des Reitenden Bergs ist gestern Nacht vom Wehrgang gefallen und hat sich das Genick gebrochen«, erzählte Wies einer der Köchinnen.
»War er betrunken?«, fragte die Frau.
»Nicht mehr als sonst. Manche sagen, es sei Harrens Geist gewesen, der ihn hinuntergestoßen hat.« Er schnaubte und deutete damit an, was er von solchen Bemerkungen hielt.
Harren war es nicht, hätte Arya am liebsten geschrien, ich war es. Sie hatte Chiswyck mit einem Flüstern getötet, und sie würde noch zwei weitere Männer umbringen, ehe sie fertig war. Ich bin der Geist von Harrenhal, dachte sie. Und an diesem Abend gab es einen Namen weniger zu hassen.
Der Treffpunkt war eine Wiese, die von bleichen grauen Pilzen und den rauen Stümpfen gefällter Bäume übersät war.
»Wir sind die Ersten, Mylady«, sagte Hallis Mollen und zügelte sein Pferd inmitten der Stümpfe, wo sie sich ganz allein zwischen den Armeen befanden. Das Schattenwolfbanner des Hauses Stark flatterte an der Lanze, die er hielt. Catelyn konnte das Meer zwar von hier aus nicht sehen, doch sie spürte, wie nah es war. Der Wind trug den schweren Geruch von Salz aus dem Osten heran.
Stannis Baratheons Männer hatten den Wald abgeholzt, um Belagerungstürme und Katapulte zu bauen. Catelyn fragte sich, wie alt die Bäume gewesen waren und ob Ned hier wohl gerastet hatte, als er sein Heer nach Süden geführt hatte, um die letzte Belagerung von Sturmkap zu beenden. An jenem Tag hatte er einen großen Sieg errungen, umso größer, da er unblutig gewonnen worden war.
Mögen die Götter geben, dass mir das Gleiche gelingt, betete Catelyn. Ihre Lehnsmänner glaubten, sie sei verrückt geworden, weil sie überhaupt hier erschien. »Dieser Kampf ist nicht der unsere, Mylady«, hatte Ser Wendel Manderly gesagt. »Ich weiß, der König würde nicht wünschen, dass sich seine Mutter einer solchen Gefahr aussetzt.«
»Uns allen droht Gefahr«, entgegnete sie, vielleicht ein wenig zu scharf. »Glaubt Ihr, ich wäre gern hier, Ser?« Ich gehöre nach Schnellwasser zu meinem sterbenden Vater, nach Winterfell zu meinen Söhnen. »Robb hat mich nach Süden geschickt, um an seiner Stelle zu sprechen, und das werde ich auch tun.« Zwischen diesen Brüdern einen Frieden zu schmieden, würde nicht leicht werden, das wusste Catelyn, doch zum Wohle des Reichs musste der Versuch unternommen werden.
Jenseits der vom Regen getränkten Felder und steinigen Anhöhen ragte die große Burg von Sturmkap mit dem Rücken zum Meer in den Himmel. Vor der Masse des hellgrauen Steins wirkte die Armee von Lord Stannis Baratheon klein und unbedeutend, wie Mäuse mit Bannern.
In den Liedern hieß es, Sturmkap sei in uralten Zeiten von Durran, dem ersten Sturmkönig errichtet worden, der die Liebe der schönen Elenei gewonnen hatte, der Tochter des Meergottes und der Windgöttin. In ihrer Hochzeitsnacht hatte Elenei ihre Jungfräulichkeit der Liebe eines Sterblichen geopfert und sich dadurch selbst zum Tode einer Sterblichen verurteilt, und ihre trauernden Eltern hatten ihrem Zorn freien Lauf gelassen und Wind und Wellen gegen Durrans Festung geworfen. Seine Freunde und Brüder und Hochzeitsgäste wurden von den einstürzenden Mauern erschlagen oder hinaus ins Meer geweht, doch Elenei barg Durran in ihren Armen, und so geschah ihm kein Leid. Und als endlich der Morgen graute, erklärte er den Göttern den Krieg und schwor, die Burg wieder aufzubauen.
Fünf weitere Burgen errichtete er, jede größer und mächtiger als die Letzte, nur um mit anzusehen, wie sie von den Stürmen aus der Sturmbucht zerschmettert wurden, die riesige Wassermauern vor sich her trieben. Seine Lords flehten ihn an, weiter im Binnenland zu bauen; seine Priester verlangten von ihm, er solle die Götter besänftigen, indem er Elenei dem Meer zurückgebe; sogar das Volk bat ihn einzulenken. Durran hörte auf keinen von ihnen. Er errichtete eine siebte Burg, die Mächtigste von allen. Manche behaupten, die Kinder des Waldes hätten ihm dabei geholfen und die Steine mit ihrer Magie behauen; andere sagten, ein kleiner Junge habe ihm erklärt, was er zu tun habe, ein Junge, der später zu Bran dem Erbauer heranwachsen sollte. Ganz gleich, wie man die Geschichte erzählte, am Schluss lief sie auf dasselbe hinaus. Obwohl die Götter Sturm auf Sturm gegen die siebte Burg schleuderten, trotzte sie den Winden, und Durran Götterfluch und die schöne Elenei lebten bis ans Ende ihrer Tage dort.
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