Hinter uns hörte ich jemand einen Namen rufen – zweifellos den Namen des Wächters, den ich niedergeschlagen hatte. Wahrscheinlich nahm man an, die Mädchen hätten den Wächter überlistet und ihn niedergeschlagen, um zu fliehen. Natürlich mußten sich die Tyrer darüber wundern, denn die Sklavinnen waren Stadtmädchen gewesen, die vor dem Wald Angst gehabt hatten.
Hinter uns flammten Fackeln auf. Die Suche nach dem Wächter begann.
Ich ging schneller. Die Mädchen versuchten Schritt zu halten. Das Holz ließen wir am Strand liegen. Die Tyrer mochten es ruhig für ihr Signalfeuer verwenden – es würde ihnen sowieso nichts mehr nützen.
Ich blickte zur Sonne auf. Wir hatten die goreanische Mittagsstunde, die zehnte Ahn.
Ich brach einen großen Zweig von einem umgestürzten Baum und zerrte ihn zu dem großen Holzstapel, den ich mit Caras und Tinas Hilfe aufgetürmt hatte.
Die beiden Sklavinnen waren sehr tüchtig gewesen.
»Fertig«, sagte ich schließlich.
Wir betrachteten das große Gebilde aus trockenen Ästen und Treibholz.
Die ganze Nacht hindurch waren wir unterwegs gewesen. Auch am Morgen hatten wir uns keine Pause gegönnt, sondern sofort mit dem Holzsammeln begonnen. Die beiden Mädchen hatten es nicht gewagt, mich nach meinen Absichten zu fragen. Mein Holzstapel befand sich etwa zwanzig Pasang südlich des Lagers der Tyrer.
Die Mädchen lächelten mich müde an.
»An den Waldrand«, sagte ich.
Zwischen den Bäumen richtete ich uns ein kleines Lager ein, von dem aus man den Strand überschauen konnte, der hier oben voller Steine war und erst zum Wasser hin einen sauberen Sandstreifen bot. Ich fesselte Tina an einen großen Baum, so daß sie das Meer überschauen konnte.
»Du hast die erste Wache«, sagte ich zu ihr. »Du gibst mir sofort Bescheid, wenn du ein Segel am Horizont siehst.«
»Ja, Herr«, sagte Tina.
Ich gab beiden Mädchen zu essen und zu trinken, legte auch Cara in Sklavenfesseln und hockte mich mit dem Rücken an einen Baumstamm.
Ich erinnerte mich an Cara, wie ich sie bei Samos zum erstenmal gesehen hatte. Sie hatte uns während unseres Spiels bedient. Rim, damals noch ein Sklave, hatte die Szene beobachtet.
Ich blickte zu Tina hinüber, die angestrengt auf das Meer hinausschaute. Es schien sehr lange her zu sein, daß sie mir in Lydius den Geldbeutel abgenommen hatte.
Ich legte mich auf das trockene Laub und blickte noch einen Augenblick zu den Zweigen und Blättern empor. Dann schlief ich schnell ein.
Am Nachmittag stand ich einmal auf, um Tina und Cara auszutauschen. Tina sollte später frisch und munter sein. Sie schlief ein, ehe ich sie richtig neben mir hingelegt hatte.
Als es dunkel geworden war, verließ ich mein Lager. Ich band Cara und Tina los und blickte zu den Monden empor. Dann schaute ich aufs Meer hinaus, eine riesige, ruhige Wasserfläche, die nun im Licht der Monde schimmerte.
Wahrscheinlich würden wir schon heute nacht zum Ziel kommen.
»Wie schön das Meer ist!« sagte Cara.
Ich trank etwas Wasser aus meiner Gürtelflasche und aß einige Streifen Tabukfleisch. Auch die Mädchen bekamen ihr Teil.
Dann sah ich mich um. Das Mondlicht würde noch etwa eine Ahn anhalten. Wie Tarns bewegten sich düstere Wolkenstreifen nach Süden. Sie verbargen die Sterne und verdunkelten den Himmel.
Am Strand jedoch herrschte Ruhe, die Ruhe einer lauen Frühsommernacht. Wenn es ein Unwetter gab, dann war es noch weit entfernt; wir sahen nur die rasch dahinziehenden Wolken. Bei uns war die Nacht ruhig und ziemlich warm – und irgendwo auf dem Thassa, noch verborgen durch die Krümmung des Horizonts, näherten sich die Rhoda und die Tesephone, ja sie mußten schon ganz in der Nähe sein.
Die Brandung des Thassa rauschte unermüdlich gegen den Strand, ein ewiges, unruhiges Geräusch.
»Es ist Zeit«, sagte ich zu meinen Sklavinnen.
Gemeinsam gingen wir den Strand hinab und näherten uns dem großen Scheiterhaufen, den wir aufgetürmt hatten.
Ich zog einen kleinen glatten Stein und eine flache Metallscheibe aus der Tasche. Dann machte ich Feuer und steckte den großen Holzstapel in Brand.
Goreanische Galeeren sind im allgemeinen nachts nicht unterwegs; es ist üblich, daß sich die Seeleute bei Dunkelheit einen geschützten Ort an der Küste suchen.
Doch wegen der Gefährlichkeit der Küste und der Wichtigkeit der Mission rechnete ich damit, daß die Rhoda und die Tesephone kein Strandlager aufgeschlagen hatten, wenn sie auch irgendwo vor Anker liegen mochten. Wäre ich der Kommandant der beiden Schiffe gewesen, hätte ich vor der Küste beigedreht und wäre nur an Land gegangen, um Wasser oder Frischfleisch zu beschaffen. Jedenfalls hätte ich eine goreanische Seemannsregel beachtet – auf jeden Fall in Sichtweite von der Küste zu bleiben. Die goreanische Galeere, ein Kraweelboot, lang und mit geringem Tiefgang, ist auf Kampfkraft und Geschwindigkeit gebaut, nicht für die Weiten des Thassa. Die viel kleineren Schiffe der Männer aus Torvaldsland, die überlappende gebogene Planken haben, sind weit seetüchtiger. Das ist auch unumgänglich, wenn sie in den unruhigen nördlichen Gewässern überleben wollen, wo es selten einen ruhigen Tag gibt. Ihre Schiffe haben einen weitaus größeren Tiefgang als unsere Galeeren, und sie sind auch widerstandsfähiger – weil sie nämlich elastischer auf den Wasserdruck reagieren. Sie müssen ständig ausgeschöpft werden und sind deshalb wenig für Frachten geeignet. Die Männer aus Torvaldsland stören sich daran jedoch nicht, weil sie sich ohnehin nicht als Kaufleute betrachten.
Sie haben übrigens viereckige Segel und – eine interessante Einzelheit – zwei Bugspriete, einen an jedem Ende. Dies erleichtert es ihnen, die Schiffe auf den Strand zu setzen – eine Eigenschaft, die in starker Brandung sehr vorteilhaft ist. Auch können die Ruderer, indem sie sich einfach auf ihren Bänken umdrehen, in Sekundenschnelle die Fahrtrichtung des Schiffes wechseln, ohne zu wenden. Natürlich gilt das nicht hundertprozentig, denn beispielsweise hat das Steuerruder, das sich auf der Steuerbordseite des Schiffes befindet, seine größte Wirkung, wenn sich das Schiff in der üblichen Richtung vorwärts bewegt. Trotzdem ist diese Wendigkeit zuweilen sehr nützlich. Zum Beispiel ist es sehr schwierig, ein Schiff aus Torvaldsland zu rammen – nicht nur wegen der geringen Größe, welche natürlich die Manövrierbarkeit und Geschwindigkeit erhöht, sondern besonders wegen der Fähigkeit, blitzschnell die Fahrtrichtung zu wechseln.
Die Schiffe aus Torvaldsland wagen sich im Süden bis nach Shendi und Bazi vor, und im Norden sogar bis zum großen Eismeer, und im Westen bis zu den Klippen von Tyros und den Terrassen von Cos. Die Männer aus Torvaldsland sind wilde Seefahrer und Kämpfer und durchstreifen die Welt manchmal nur, um zu sehen, was unter dem schimmernden Horizont des Thassa liegt. Ihren Legenden zufolge halten sie sich für Dichter, Liebhaber und Krieger. In den Legenden anderer Völker sehen sie anders aus – da sind sie blonde Riesen, die Feuer spucken, Türen einschlagen, Frauen vergewaltigen und Kinder fressen; Riesen, größer als Bäume, mit spitzen Ohren und Augen wie Feuer und Händen wie Klauen und Haken. Sie gelten als Wilde, als blutrünstige Barbaren mit geflochtenen Zöpfen und Fell- und Lederkleidung, bewaffnet mit gewaltigen Äxten, die mit einem Schlag einen Baum umhauen oder einen Mann in zwei Teile spalten können.
Nach goreanischen Sagen wurde der Mensch von den Priesterkönigen aus dem Schlamm der Erde und dem Blut von Tarns erschaffen. Die Legenden in Torvaldsland sehen die Herkunft des Menschen anders. Dort beschlossen die Götter, sich Sklaven zu formen, denn sie waren alle Götter und hatten keine Sklaven. Sie nahmen eine Hacke, mit der der Boden bestellt wurde, und legten sie zwischen sich. Sie sprühten Wasser über sie und rieben sie mit Schweiß von ihren Körpern ein. Aus dieser Hacke wurden die meisten Menschen geformt. Doch in derselben Nacht machte einer der Götter etwas Verhängnisvolles – vielleicht handelte er aus Neugier, vielleicht war er aber nur unvorsichtig oder wütend – jedenfalls schleuderte er seine große Axt zu Boden, und diese Axt benetzte er mit Paga und seinem Blut, und die Axt lachte und sprang auf. Der Gott und die anderen Götter vermochten sie nicht zu fangen, und so wurde die Axt in der Legende zum Vater aller Torvaldsländer.
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