Ich ließ sie noch einmal trinken.
»Der Wald hier wird bald uns gehören«, wiederholte sie.
Ich war verwirrt. Normalerweise leben Panthermädchen in kleinen Gruppen. Daß über hundert Mädchen zu einer Bande gehörten und sich einer Anführerin unterwarfen, kam mir unwahrscheinlich vor.
»Du bist Kundschafterin?« fragte ich.
»Ja.«
»Wie weit bist du deiner Bande voraus?«
»Viele Pasang.«
»Was wird man annehmen, wenn du nicht ins Lager zurückkehrst?«
»Wer kann das wissen? Es ist keine Seltenheit, daß Mädchen verschwinden. Der Wald ist gefährlich. Aber was hast du mit mir vor?«
»Sei still!« antwortete ich grob.
Es war nun noch wichtiger als zuvor, Vernas Lager und ihren Tanzkreis so schnell wie möglich ausfindig zu machen. Innerhalb weniger Tage mochten weitere Panthermädchen in diesem Teil der Wälder auftauchen. Wir mußten also schnell handeln.
Ich blickte nach der Sonne, die bereits zwischen den Bäumen stand und bald untergehen würde. In einer oder zwei Ahn konnte es dunkel sein.
Ich hatte keine Zeit, die Gefangene zu Rim, Arn und den anderen zurückzuschaffen.
»Was hast du mit mir vor?« wiederholte Grenna ihre Frage.
Ich steckte ihr den Knebel wieder in den Mund. Dann befreite ich sie von den Fesseln und deutete auf einen Baum.
»Steig hinauf«, sagte ich.
Sie schüttelte unsicher den Kopf. Sie hatte viel Blut verloren und war geschwächt.
»Steig hinauf – oder muß ich dich am Boden fesseln?«
Mühsam kletterte sie empor, und ich folgte ihr.
»Weiter«, befahl ich, als sie innehielt.
Schließlich befand sie sich gut sechs Meter über dem Boden.
»Leg dich auf den Ast«, befahl ich, »den Kopf zum Stamm.«
Sie zögerte und gehorchte schließlich.
»Weiter hinaus!«
Schließlich lag sie gut anderthalb Meter vom Stamm entfernt.
»Laß die Arme herabhängen!«
Sie gehorchte. Ich fesselte ihre Arme wieder mit Sklavenschellen zusammen, und zwar unter dem Ast. Ihre Fußgelenke machte ich unmittelbar am Holz fest und sicherte sie noch mit einer breiten Schnur um den Bauch.
Sie sah mir angstvoll nach, als ich zum Stamm des Baums zurückkehrte und hinabstieg.
Der Sleen ist ein Bodentier und klettert selten auf einen Baum. Der Panther kann zwar klettern, ist es aber gewohnt, seine Fährte am Boden aufzunehmen. So war das Mädchen einigermaßen in Sicherheit. Sie konnte nur hoffen, daß ich mein Unternehmen lebend überstand und sie hier wieder abholte.
Eine Ahn vor Einbruch der Dunkelheit fand ich das Lager.
Es befand sich etwas zurückgesetzt vom Ufer eines kleinen Wasserlaufs – einer der zahlreichen Waldzuflüsse des Laurius. Ich stieg lautlos auf einen Baum, um mich erst einmal richtig umzusehen.
Das Lager bestand aus fünf konischen Hütten aus Weidenschößlingen, mit Stroh gedeckt. Ein großes Tier, mit Lianen verschlossen, bildete den Zugang. In der Mitte des Lagers gähnte ein Kochloch, von flachen Steinen gesäumt. Auf einem Holzgestell hing ein Tabukschenkel, von dem Fett ins Feuer tropfte.
Das Fleisch duftete herrlich. Der dünne Rauchfaden stieg fast senkrecht in den Himmel.
Um das Tabukfleisch kümmerte sich ein Panthermädchen, das im Staub hockte, von Zeit zu Zeit Fleischstückchen abschnitt und in den Mund schob und sich anschließend die Finger leckte. In einer Ecke des Lagers arbeitete ein anderes Mädchen an einem Sklavennetz.
Weiter hinten saßen mit untergeschlagenen Beinen zwei Mädchen und spielten ein Spiel mit Schnüren, bei dem sie komplizierte Muster spannen und sich dabei gegenseitig übertreffen mußten.
Andere Panthermädchen waren innerhalb oder außerhalb der Palisadenwand nicht auszumachen. Ich bemerkte jedoch eine Bewegung in einer der Hütten. Wahrscheinlich hielt sich ein weiteres Mädchen dort auf.
Von Talena keine Spur. Sie mochte natürlich angekettet in einer der Unterkünfte liegen. Etwas war jedoch klar – nur ein kleiner Teil von Vernas Bande hielt sich im Lager auf. Nach zuverlässigen Meldungen gebot sie über etwa fünfzehn Mädchen.
Ich sah mir die Panthermädchen im Lager an. Sie hatten keine Ahnung, daß sie beobachtet wurden, daß ihr Lager gefunden war, daß sie sehr bald – vielleicht morgen schon – Gefangene sein würden, die auf den Sklavenmärkten des Südens verkauft wurden.
Doch wir mußten schnell handeln. Eine ungewöhnlich große Bande von Panthermädchen, geführt von Hura, näherte sich diesem Waldgebiet – und wenn sie hier waren, sollte Verna längst meine Gefangene sein.
Ich durfte es nicht zulassen, daß Huras Mädchen meine Pläne störten.
Ich beobachtete das Lager. Die Mädchen dort unten hatten ihre Chance gehabt. Sie hatten sich geweigert, mir Talena zu verkaufen, sie hatten sich nicht auf einen Handel eingelassen. Das war ein Fehler gewesen. Nun wollte ich ihnen eine schmerzhafte Lektion erteilen.
Zwei weitere Mädchen erreichten das Lager, schnürten das Tor auf, traten ein und verschlossen den Durchgang wieder hinter sich. Zwischen Pfosten hinter den Hütten waren die Felle von vier Panthern zum Trocknen aufgespannt. Einige Krüge und Kisten standen neben einer Hütte – ansonsten war das Lager leer.
Vermutlich kehrten bei Einbruch der Dunkelheit auch die übrigen Mädchen der Bande in das Lager zurück.
Lautlos verließ ich mein Versteck und verschwand im Wald.
»Bring die Gefangene zur Tesephone zurück«, sagte ich zu Rim und schob ihm Grenna hin.
»Ich würde lieber beim Angriff auf Vernas Lager dabeisein«, sagte Rim. »Du wirst dich erinnern, daß sie es war, die mich versklavte.«
»Ich erinnere mich durchaus«, sagte ich nachdenklich, »und fürchte eben, daß du dich hinreißen läßt, dich zu rächen.«
Rim lächelte. »Das könnte schon sein.«
»Ich werde dich begleiten«, sagte Arn zu mir.
»Gut.«
Arn musterte Grenna anerkennend. Sie senkte den Kopf.
Es freute mich, daß Arn das Mädchen mochte. Vielleicht würde ich sie ihm später schenken.
Rim zerrte sie von dem kleinen Feuer fort.
Ich sah mich um und musterte die neun Männer in meiner Begleitung.
»Wir wollen jetzt schlafen gehen«, sagte ich. »Abmarsch zwei Ahn vor Anbruch der Dämmerung – wir greifen Vernas Lager bei Sonnenaufgang an.«
Panthermädchen sind gefährlich. Die Tatsache, daß wir nur zehn Kämpfer waren und daß Verna etwa fünfzehn Mädchen zur Verfügung hatte, die mit ihren Waffen verteufelt gut umzugehen verstanden, bestimmte die Art unseres Vorgehens.
Ich hatte keine große Truppe in den Wald führen wollen, deren Bewegungen sich kaum verheimlichen ließen. Außerdem wollte ich eine volle Garnison bei der Tesephone zurücklassen, um das Schiff gegen jede mögliche Gefahr am Fluß zu schützen. Ursprünglich hatte ich nur fünf Leute mitnehmen wollen, doch als Arn und seine Männer im Lager eintrafen, bezog ich sie in meine Pläne ein. Gesetzlose kennen sich im Wald aus und wissen sich wie die Panthermädchen schnell und geräuschlos zu bewegen. Da wir die Überraschung auf unserer Seite hatten und überdies nach einem guten Plan vorgingen, mochte meine Truppe ausreichen. Ich lächelte. Vielleicht war es die Arroganz des Goreaners, die mich zu diesem Entschluß gebracht hatte. Je weniger Männer man zur Gefangennahme von Sklaven braucht, desto größer der Ruhm.
Wir hatten die verschiedenen Möglichkeiten durchgesprochen. Dabei hatten wir eine der einfachsten und gefahrlosesten Methoden sofort ausgeschlossen – die Belagerung der Mädchen, bis sie von Hunger und Durst geschwächt ihre Waffen über die Palisaden werfen und herauskommen. Wir haben auch den Plan verworfen, die Palisaden anzuzünden, um die Mädchen zu zwingen, einen Ausfall zu machen. Doch dabei ist die Gefahr gegeben, daß sich das Feuer auf den Wald ausweitet – und davor haben die Goreaner große Angst. Nicht so sehr wegen der Gefahr für sie selbst, sondern wegen der Zerstörung ihres geliebten Waldes. Den Goreanern liegt ihre Welt am Herzen. Sie lieben den Himmel, die Ebenen, das Meer, den Regen im Sommer und den Schnee im Winter. Oft bleiben diese Menschen plötzlich stehen und beobachten die Wolken oder die Bewegung des Grases im Wind. Ich habe Krieger gekannt, die die Schönheit einer Blume mit Versen zu preisen wußten. Ich selbst wäre ungern für die Vernichtung eines goreanischen Waldes verantwortlich gewesen.
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