Zwischendurch rückte ich ein wenig am Holzpfahl zur Seite, damit ich die beiden beim Wagen im Auge behalten konnte. Ich war neugierig und verwirrt. Aus einer der zahlreichen Schubladen des Karrens nahm Tup Löffelhändler etwas heraus und überreichte es Melina, ein Päckchen, das eine Medizin oder ein Pulver enthalten mochte. Dann drehte ich mich wieder um, damit die beiden nicht merkten, daß ich sie beobachtet hatte.
Gleich darauf kehrte Melina zurück, löste meine Fesseln und nahm mir zu meiner Überraschung das lange Seil ab. Ich hatte damit gerechnet, gefesselt und an der langen Leine zu Löffelhändler geführt zu werden, um ihm als seine Sklavin zu folgen.
»Zieh deine Tunika an«, sagte Melina zu mir. »Nimm dir eine Hacke und geh zu den Sul-Pflanzen. Bran Loort holt dich später ab. Sprich mit niemandem.«
»Ja, Herrin.«
»Beeil dich«, sagte Melina und sah sich verstohlen um.
Ich zog die kurze Sklaventunika an.
Melina schien erregt zu sein.
»Darf ich dich etwas fragen, Herrin?« fragte ich. – »Ja.«
»Bin ich denn nicht verkauft worden, Herrin?«
»Vielleicht, hübsche Dina«, antwortete Melina, die Gefährtin des Thurnus. »Wir werden sehen.«
»Ja, Herrin«, erwiderte ich verwirrt.
»Hübscher kleiner Sleen«, sagte sie, »morgen gehörst du entweder Tup Löffelhändler oder Bran Loort. Und jetzt geh! Sprich mit niemandem!«
Ich machte kehrt und holte mir die Hacke. Das letzte Stück des Bonbons löste sich in meinem Mund auf. Ich traf niemanden, mit dem ich hätte sprechen können.
Ich hackte in der trockenen Erde des Feldes herum. Seit fünfzehn Tagen hatte es nicht mehr geregnet. Die Scholle war ausgetrocknet.
Tup Löffelhändlers Karren war inzwischen verschwunden. Der Nachmittag ging zu Ende. Ich war völlig allein auf den Feldern, schutzlos.
Ich verstand nicht recht, was mit mir geschehen war. Ich wußte nicht, warum man mich nach Gor gebracht hatte. Clitus Vitellius hatte mich aus großer Gefahr errettet, hatte mich dazu gebracht, ihn rückhaltslos zu lieben – und dann hatte er mich verschenkt. Oh, wie ich ihn haßte! Wenn ich mich nur an ihm hätte rächen können! Doch welche Chance hatte eine Sklavin, sich für erlittenes Unrecht schadlos zu halten? Sie war nur eine Sklavin.
Wütend hackte ich auf den Boden ein. Ich dachte an den seltsamen Traum, in dem mir ein gewisser Belisarius befohlen hatte, eine Halskette zu machen. Wie gegen meinen Willen hatten sich meine Finger den Schalen mit verschiedenfarbigen kleinen Holzperlen genähert – aber dann war ich aufgewacht. Ich verstand nichts von alledem.
Die Sonne ging unter. Meine Tunika war schweiß feucht. Meine Füße und Beine waren schmutzverkrustet. Der Hanfkragen schabte an meinem Hals.
Schmerzerfüllt richtete ich mich auf. Wie sehr ich mir gewünscht hatte, von Tup Löffelhändler gekauft und von der schweren Feldarbeit erlöst zu werden! Ich hätte alles für ihn getan, um der Sklaverei in Tabukfurt zu entkommen. Eine Sklavin besitzt nichts außer ihrem Körper – er ist der einzige Wert, den sie ins Spiel bringen kann.
Ich war sicher, daß Tup Löffelhändler an mir interessiert gewesen war, doch wußte ich nicht, ob er mich gekauft hatte.
Plötzlich fuhr ich hoch. Bran Loort stand wenige Fuß von mir entfernt, ein Stück Seil in der Hand. Meine Finger verkrampften sich um den Hackenstiel.
»Ich bin gekommen, um dich zu holen, Dina«, sagte er.
Hastig sah ich mich um. Ein zweiter Bauernbursche stand links von mir. Er hielt ebenfalls ein Stück Seil in der Hand. Ich drehte mich im Kreise. Hinter mir lauerten vier weitere Jünglinge, ein fünfter rechts von mir. Zwei Gestalten erschienen hinter Bran Loort.
Flucht war aussichtslos.
»Sie ist das schlaue Mädchen, das uns beim Fangen entwischt ist«, sagte einer.
»Sei gegrüßt, schlaues Mädchen!«
»Sei gegrüßt, Herr«, antwortete ich.
Dann hob ich die Hände. »Du sollst mich zu meinem Herrn bringen«, sagte ich zu Bran Loort.
Er lachte, und ich sah mich erschrocken um. Die Bauernburschen kamen näher.
Ich wirbelte herum und rannte los, landete aber in den Armen eines der jungen Männer, der mich grob in die Mitte der Gruppe zurückschleuderte. Wieder versuchte ich den Kreis zu durchbrechen – aber vergeblich.
»Wollt ihr mich vergewaltigen?« fragte ich.
»Das – und mehr«, antwortete Bran Loort.
»Das wird Thurnus nicht gern sehen«, sagte ich.
»Heute abend«, sagte er, »gehörst du mir.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Haltet sie!«
Zwei Burschen packten mich an den Armen.
»Bitte!« flehte ich.
Plötzlich wurde mir klar, daß ich von diesen Jünglingen mehr zu fürchten hatte als von Thurnus oder Melina. Ihre blitzenden Augen erschreckten mich.
Vor Tagen war ich diesen jungen Männern beim Fangen entwischt. Indem ich mich klüger anstellte als sie, hatte ich gesiegt. Dafür sollte ich jetzt bezahlen. Wie töricht von einer Sklavin, einen freien Mann übertreffen zu wollen! Weiß sie denn nicht, daß sie eines Tages in seine Hände fallen kann?
Sie warfen mich brutal ins Gras und fielen über mich her.
»Komm heraus, Thurnus!« rief Bran Loort. »Schau mal, was wir hier für dich haben!«
Ich lag mit angezogenen Beinen zu Füßen Bran Loorts. Die Hände waren mir auf dem Rücken gefesselt. Ich war nackt, mein Körper war verschmutzt und blutverkrustet. Die Burschen hatten mich durch ein Dornengebüsch gezerrt. Ich konnte nicht mehr weinen; das einzige Gefühl, das sich in mir regte, war ein Funke der Angst vor freien Männern. Ich, eine Skla vin, hatte freie Männer auf die Plätze verwiesen – inzwischen hatte ich gelernt, daß es so etwas nicht geben darf.
»Komm heraus, Thurnus!« wiederholte Bran Loort.
Es war Nacht. Da und dort standen Männer und hielten Fackeln empor. Da waren die acht jungen Männer aus Bran Loorts Gruppe, außerdem andere Neugie rige aus dem Dorf. Freie Männer und Frauen beobachteten die Szene, aber auch einige Sklaven, die noch nicht zum Schlafen in die Käfige gesperrt worden waren. Ich erblickte Sandalenschnur und Rübchen, Verrschwanz und Radieschen. Melina wollte, daß sie alles mitbekamen. Kinder waren nicht zu sehen. Bran Loort trat mit erhobenem Stab vor. Seine acht jungen Männer scharten sich um ihn. Sie waren ebenfalls mit Bauernstäben bewaffnet. Alle Augen waren auf die Tür von Thurnus’ Hütte gerichtet, in der jetzt Melina erschien. Sie kam die Treppe herab. Thurnus’ Hütte stand etwa in der Mitte des Dorfes, am Rand des zentralen Platzes.
Ich blickte zu Bran Loort empor, der stolz über seiner Sklavin stand. Der Stab in seiner Hand war gut sechs Fuß lang und zwei bis drei Zoll dick. »Ich bin in Tabukfurt bald der Erste«, hatte Bran Loort zu mir gesagt. »Und wenn das geschieht, gibt Melina dich an mich.«
»Komm heraus, Thurnus!« rief Melina vom Fuß der Treppe. Ich hob den Blick. Thurnus erschien in der Türöffnung.
»Sei gegrüßt, Thurnus!« rief Bran Loort.
»Sei gegrüßt, Bran Loort.«
Brutal zerrte mich Bran Loort hoch. »Ich habe hier etwas, das dir gehört«, sagte er.
»Das sehe ich.«
»Sie ist eine heißblütige kleine Sklavin. Wirklich ein Prachtstück.«
»Das ist mir bekannt.«
»Sie kniet jetzt aber zu meinen Füßen.«
»Das sehe ich, Bran Loort.«
Mit schneller Bewegung warf Bran Loort das Seil fort, mit dem er mich festgehalten hatte, und stieß mich mit dem Fuß zur Seite. Ich stürzte in den Staub. Bran Loort hob seinen Stab; die rechte Hand griff in der Mitte zu, die linke etwa achtzehn Zoll tiefer. Thurnus hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
Im Kreis der Zuschauer rührte sich niemand. Ich hörte das Knistern der Fackeln.
Bran Loort schien nicht zu wissen, was er tun sollte. Er sah sich im Kreise seiner Gefährten um, ehe er wie der auf Thurnus blickte. Der Kastenführer stand stumm auf der obersten Stufe, etwa sieben Fuß über dem Boden.
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