»Weshalb?« wollte Melina wissen.
»Die Kriege«, sagte er. »Die Überfälle, die Vernichtung von Städten – da kommen viele schöne Mädchen, von denen manche früher sogar frei waren, auf die Sklavenauktionen und werden für lächerliche Summen verkauft.«
»Aber sind sie so heißblü tig wie die hier?«
»Viele durchaus«, sagte er. »Man braucht ein Mädchen nur zu branden, in Ketten zu legen und sie ein bißchen auszubilden – nach einer Woche ist sie bereit für ihren Herrn.«
»So schnell?« wunderte sich Melina.
»Egal, um welchen Frauentyp es sich handelt – ob von der Erde oder von Gor, ob aus hoher Kaste oder nicht, ob heißblütig oder eiskalt – in der Sklaverei entdecken alle ihre wahres Feuer.«
Melina lachte, und ich errötete.
»Wer ist dein Herr, kleine Vulo?« fragte Tup Löffelhändler.
»Thurnus ist mein Herr«, sagte ich. »Thurnus, Kastenführer in Tabukfurt, Führer der hiesigen Kaste der Bauern, ein Mann, der die Felder fruchtbar macht und zugleich Sleentrainer ist.«
Ein Bauer, der aktiv Landwirtschaft betreibt, wird als ein Mann bezeichnet, der die Felder fruchtbar macht. Zuweilen gilt dieser Ausdruck auch als Ehrenbezeichnung. Obwohl die Kastenzugehörigkeit zwar gewöhnlich mit der Ausübung eines bestimmten Berufes zusammenhängt – Landwirtschaft, Handel oder Kriegshandwerk –, gibt es natürlich Kastenmitglieder, die keine aktive Kastenarbeit betreiben, und auch Individuen, die gewisse Arbeiten verrichten und nicht der Kaste angehören. Üblicherweise ist die Kastenzugehörigkeit eine Sache der Geburt. Natürlich können Mitgliedschaften auch durch Ernennung Zustandekommen. Gefährtenschaften werden gewöhnlich zwischen Kastenmitgliedern geschlossen; gehören die Partner je doch verschiedenen Kasten an, so kann die Frau entscheiden, ob sie in ihrer alten Kaste bleibt – wie es meistens geschieht – oder in die Kaste ihres Mannes aufgenommen wird. Die Kastenmitgliedschaft der in einer solchen Gefährtenschaft geborenen Kinder hängt von der Kaste des Vaters ab. Ähnliche Überlegungen gelten in einigen Städten in bezug auf die Bürgerschaft. Den Goreanern sind die Kasten auf eine Weise wichtig, die für Abkömmlinge einer nicht kastenbestimmten Gesellschaft schwer zu verstehen sind. Obwohl die Kastenstruktur zweifellos Probleme und vor allem Ungerechtigkeiten schafft, fördert sie Identitätsempfinden und Stolz beim Einzelnen, verbündet ihn mit Tausenden von Kastenbrüdern und verschafft ihm zahlreiche Gele genheiten und Vorteile. Freizeit und Turniere spielen sich auf Gor oft im Kreise der Kaste ab. Ebenso die öffentliche Wohlfahrt. Das Kastensystem ist trotz allem nicht unflexibel, und es gibt Möglichkeiten, die Kaste zu wechseln, wozu es aber selten kommt; die Menschen sind ungemein stolz auf ihren Berufsstand.
Trotz der vielen Mängel trägt die Kastenstruktur zweifellos zur Stabilität der goreanischen Gesellschaft bei, einer Gesellschaft, in der das Individuum noch seinen Platz hat, in der seine Arbeit respektiert wird und in der es eine vernünftige Zukunft planen kann. Die Klanstrukturen sind Familiengruppen. Sie funktionie ren im großen und ganzen im Rahmen der Kastengruppierungen, sind aber nicht damit identisch. So kann ein Klan zuweilen Angehörige verschiedener Kasten umfassen. Klans sind zumeist auf eine Stadt beschränkt, während die Kaste solche Grenzen nicht kennt. »Wie heißt du, kleine Vulo?« fragte Tup Löffelhändler.
»Mein Herr hat mich Dina genannt«, erwiderte ich.
»Hübsche Dina.«
»Danke, Herr.«
»Möchtest du sie kaufen?« fragte Melina.
»Sie hat rauhe Hände«, stellte Löffelhändler fest.
»Ich bin eine Bauernsklavin«, antwortete ich. Das Waschen und Graben und die Arbeit auf dem Felde hatten ihre Spuren hinterlassen.
»Mit guten Salben lassen sich die Hände wieder weich und schmiegsam machen – damit sie dazu geeignet sind, Männer zu liebkosen.«
»Ja, Herr«, sagte ich.
»Mach mir ein Angebot für den kleinen Sleen.«
Löffelhändler berührte mich am Hals, hakte einen Finger in meinen Hanfkragen.
»Sag mir, was du für sie bietest. Sie ist billig zu haben«, fuhr Melina fort.
»Wie billig?« wollte er wissen.
»Billig.«
»Weiß Thurnus, daß du sie verkaufst?«
»Es kommt nicht darauf an, was Thurnus weiß«, erwiderte Melina. »Ich bin seine freie Gefährtin. Ich kann tun, was mir gefällt.«
»Schöne Dina«, sagte Löffelhändler zu mir, »würde es dir gefallen, einen hübschen Stahlkragen zu tragen, womöglich mit Emailleverzierungen?«
»Ich habe nie einen Kragen besessen«, sagte ich.
»Besitzen würdest du ihn auch dann nicht«, stellte Löffelhändler richtig.
»Nein, Herr«, sagte ich ergeben.
Und er hatte recht. Nicht mir würde der Kragen gehören, sondern meinem Herrn, der auch über mich mit absoluter Macht verfügte.
»Das Hanfseil ist rauh und primitiv«, fuhr Löffelhändler fort. »Hättest du nicht Lust auf einen glatten, schimmernden Sklavenkragen, kunstvoll geschmiedet und verziert, passend zu deinem Haar und deinen Augen, ein Kragen, der in Form und Färbung deine Schönheit unterstreicht?«
»Wie es dem Herrn gefällt«, erwiderte ich. Ich hatte Eta um ihren Sklavenkragen beneidet, obwohl er von der einfachsten Art gewesen war. Ich hatte bisher nur wenige richtige Halsreife zu sehen bekommen, wußte aber von Eta, daß es sie in großer Vielfalt gab – von einfachen Eisenbändern, die um den Hals eines Mädchens zugeschmiedet wurden, bis hin zu juwelenbesetzten, kunstvoll gefertigten, eng sitzenden Reifen, die die Lieblingssklavin eines Ubar zierten. Sklavenkragen – ob nun einfach oder kostbar gearbeitet – haben zweierlei gemein: sie lassen sich von dem Mädchen nicht abnehmen und kennzeichnen sie als Sklavin.
»Mach mir ein Angebot«, wiederholte Melina.
Tup Löffelhändler richtete sich auf und griff in einen Beutel, der an seinem Gürtel hing. »Hier, kleiner Vulo«, sagte er und steckte mir etwas in den Mund. Er drückte das Gebilde mit dem Daumen zwischen meine Zähne. Ich war verblüfft. »Danke, Herr«, sagte ich. Es war ein kleiner harter Bonbon, der süß schmeckte. Die erste Süßigkeit, die ich auf Gor zu essen bekam! Für eine Sklavin sind solche Dinge sehr kostbar, und es kam öfter vor, daß sich zwei Mädchen wegen einer Süßigkeit in die Haare gerieten.
»Warum willst du sie verkaufen?« fragte Löffelhändler jetzt.
»Mach mir ein Angebot«, drängte Melina.
»Vielleicht«, sagte er und musterte mich.
»Ist sie denn nicht hübsch?«
»O doch.«
»Stell sie dir vor, wie sie nackt in deinen Fellen liegt«, sagte Melina, »und sich größte Mühe gibt, es dir recht zu machen.«
»Ich bin Kaufmann«, sagte Löffelhändler. »Wenn ich sie kaufe, dann, um sie mit Gewinn weiterzuveräußern.«
»Aber du könntest doch guten Gebrauch von ihr machen, ehe du sie wieder anbietest!«
Löffelhändler grinste. »Zwei Kupfertarsks«, sagte er.
Plötzlich durchfuhr mich ein seltsames Gefühl. Mir wurde bewußt, daß man einen Preis für mich geboten hatte. Es ist eine seltsame Empfindung. Die Summe war natürlic h keineswegs realistisch, schon gar nicht für ein Mädchen von der Erde. Mit den zwei Kupfertarsks wollte Löffelhändler auch nur die weitere Feilscherei eröffnen. Ich war bestimmt vier oder fünf Kupfertarsks wert.
»Ich verkaufe sie dir für weniger«, sagte Melina.
Löffelhändler blickte sie erstaunt an.
Ich öffnete erschrocken die Augen.
»Ich brauche etwas von deinem Wagen«, sagte Melina und blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Komm mit.«
Die beiden ließen mich gefesselt an dem Pfosten zurück. Löffelhändler, der verwirrt zu sein schien, folgte ihr zu seinem Karren, wo ein langes Gespräch begann. Ich verstand die Worte nicht. Genußvoll lutschte ich an dem Bonbon, das köstlich schmeckte. Es sollte so lange wie möglich vorhalten.
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