Plötzlich sah ich in der Ferne die Mauer über einigen Gebäuden aufragen und ging erleichtert darauf zu. Dabei war ich dermaßen in Gedanken, daß ich die Nähe der Sleen erst bemerkte, als ich ihr erregtes fauchendes Quieken hörte: Und da waren sie nur noch hundert Meter hinter mir! Es war ein Geräusch, wie ein Sleen es ausstößt, wenn er eine heiße Fährte verfolgt, aber zurückgehalten wird. Der Sleen möchte sich auf sein Opfer stürzen, darf es aber nicht.
»Dort ist sie!« hörte ich jemanden rufen.
Hastig sah ich mich um und erblickte die beiden Sleen, von jeweils zwei Mann gehalten, dahinter Hassan und seine Leute und die neugierige Menge, die aus zweihundert Bürgern Ars bestehen mochte.
Ich lief los.
»Laßt die Sleen frei!« rief jemand.
Wenn die Tiere von den Ketten gelassen wurden, mußten sie mich innerhalb weniger Ihn erreichen können. So schnell ich konnte lief ich die Straße entlang. Verzweifelt schaute ich mich um. Die Sleen waren nicht frei, wenigstens noch nicht. Wären sie freigelassen worden, hätte ich mich hingekniet und das Gesicht mit den Händen bedeckt. Ich hätte nicht sehen wollen, wie sie sich mit blitzenden Augen und entblößten Reißzähnen auf mich stürzten. So hastete ich denn weiter die Straße entlang, vor den Tieren, vor den Jägern, vor der aufgeregten Menge. Weiter vorn wichen Männer an die Hauswände zurück. Sie wollten nicht in meiner Nähe sein. Ich floh weiter. Die Sleen und die Jäger mußten mir geduldig seit Stunden gefolgt sein, und es war ihnen offenbar gelungen, meine frischeste Fährte wieder aufzunehmen.
Ich hörte das aufgeregte Rufen in der Menge. Viele Mitläufer mußten schon sehr lange dabei sein. Nun schienen sie den Abschluß der Jagd zu erwarten.
Schluchzend setzte ich einen Fuß vor den anderen. Niemand machte Anstalten, mich bei meiner Flucht zu behindern.
Ich hörte die Sleen hinter mir quieken.
Ich begann zu keuchen, mein Schritt wurde unsicher. Ich stürzte, sprang auf und lief weiter.
Blindlings stürzte ich dahin, entsetzt japsend. Es wollte mir scheinen, als hätte ich den Tag fliehend verbracht, von Entsetzen gepeinigt.
»Nein!« rief ich plötzlich. »Nein!«
Vor mir erstreckte sich eine Mauer mit einem hohen Holztor. Sie schien den Hof eines Privathauses abzugrenzen. Links und rechts bedrängten mich Gebäude. Es gab keinen Ausweg, keine Öffnung bot sich zur Mauerstraße, die wohl nur vierzig oder fünfzig Meter entfernt hinter dem Gebäude verlief.
Hastig fuhr ich herum.
Der Fluchtweg war mir bereits abgeschnitten worden.
Schluchzend sank ich neben dem Tor in die Knie. Ich legte die Hände vor die Augen. Ich wollte die Sleen nicht sehen.
Ich hörte das aufgeregte Hecheln der Raubtiere, das Gebrüll der Menge, das Klirren der Ketten, mit denen die Monstren gehalten wurden, das Kratzen ihrer Klauen auf dem Pflaster, das Geschrei der Männer. Körper umwirbelten mich. Ich schrie auf, als mich die Schnauze eines Raubtiers schnüffelnd berührte und sich wieder abwandte.
»Was machst du denn hier, Tiffany?« fragte Claudia. Crystal und Tupa waren bei ihr. »Ich dachte, du wolltest der Jagd nicht folgen!«
»Du hättest nicht fortlaufen sollen«, sagte Crystal. »Einige Leute in der Menge dachten schon, du wärst die Gesuchte!«
»Das war wirklich dumm von dir, Tiffany«, sagte Tupa. »Stell dir einmal vor, der Sleen wäre erregt gewesen und hätte dich mit einem Tatzenhieb niedergestreckt!«
Verwirrt, ratlos, erstaunt blickte ich mich um. Männer waren im Begriff, das Holztor einzuschlagen. Holz splitterte. Die Ungeheuer und die Jäger und alle anderen drangen in den weiten Hof ein.
»Komm!« rief Claudia. »Beeil dich!«
Zitternd richtete ich mich auf und konnte kaum auf den Beinen bleiben. Mit unsicheren Schritten folgte ich Claudia, Crystal und Tupa in den Hof.
»Zurück!« rief Hassan der Menge zu. »Zurückbleiben!«
Die Horde, etwa zweihundert Bürger, drängte sich an der Innenseite der Hofmauer.
Fünf Leute Hassans schlugen die Tür des Hauses ein und verschwanden mit gezogenen Klingen im Inneren.
Zurückgehalten von den Ketten, duckten sich die Sleen mit peitschenden Schwänzen auf das Hofpflaster.
Die Haustür hing schief in den Angeln. Drinnen waren zwei Sperriegelhalterungen aus der Wand gebrochen worden.
Im Hof erstreckten sich hier und dort gemusterte Grasflächen und Bewuchs. Außerdem erblickte ich einen Tisch mit zwei Bänken.
Wir starrten auf die leere Schwelle des Hauses.
Hassan hatte seine zusammengerollte Peitsche am Gürtel festgemacht. Sein Blick ruhte auf mir. Ich glaubte nicht, daß er mich erkannte. Ich war nichts anderes als Tiffany, eine nackte Sklavin, die ihm eines Abends zu Gefallen gewesen war. Dabei hatte er mich überwältigt, hatte mich total besiegt, hatte mich mehr zur Sklavin gemacht, als ich es vor diesem Augenblick für möglich gehalten hatte. Er hatte mich verändert, hatte mich die wahre Fraulichkeit gelehrt. Für die Freiheit war ich nicht mehr zu gebrauchen.
Er wandte den Kopf ab.
Er hatte viel für mich getan.
Er erinnerte sich nicht an mich.
Plötzlich hörten wir das Klirren von Stahl aus dem Haus. Gleich darauf brach Glas. Und wieder war alles still.
Unsere Blicke ruhten auf der leeren Schwelle.
Kurze Zeit später erschien die Gestalt einer Frau in Robe und Schleier in der Türöffnung; sie wurde von hinten gestoßen.
Fauchend und hechelnd stürmten die Sleen vor. Die Frau hob die Hände vor das Gesicht und versuchte sich umzudrehen und wieder im Haus zu verschwinden. Die Menge brüllte. Die Tierhalter mußten sich mit voller Kraft bemühen, die Ketten festzuhalten.
Die Frau durfte das Gebäude nicht wieder betreten. Vielmehr wurde sie die Treppe hinab in den Hof gestoßen. Hinter ihr standen Hassans Männer.
Halb zusammengeduckt verharrte sie vor der untersten Stufe. Die Ketten der Sleen waren gespannt.
Hastig trat Hassan zwischen die Tiere, packte die Frau am Arm und schleuderte sie gegen die Hauswand. Sie mußte sich vornübergebeugt mit den Händen dagegenstützen, eine Stellung, die ich vorhin auch bei dem Stadtwächter einnehmen mußte. Mit schnellen Bewegungen schnitt ihr Hassan mit scharfem Messer die Kleidung vom Leib, bis sie nackt wie eine Sklavin vor uns stand.
Er trat einen Moment zurück, um sie zu betrachten. Dann schob er ihr das Haar nach vorn. Ich bemerkte, daß sie eine ähnliche Haarfarbe hatte wie ich. Allerdings besaß sie langes, wunderschönes Haar. Sie war nicht geschoren worden.
Dann nahm Hassan einem seiner Männer einen Eisenkragen ab. Es war kein verzierter oder teurer Sklavenkragen, sondern ein ganz gewöhnliches Stahlband, wie es jede Sklavin tragen konnte.
Sie stand abgewandt von ihm und wußte vermutlich nicht, was er vorhatte. Vielleicht rechnete sie damit, ausgepeitscht zu werden. Doch plötzlich trug sie einen Sklavenkragen.
Sie ließ sich abrupt gegen die Wand fallen und kam torkelnd wieder hoch.
»Nein!« schrie sie. »Nein!«
Sie fuhr herum und starrte Hassan an, der einige Schritte zurückgetreten war.
»Nein!« schrie sie. »Nein! Nein!« Ruckhaft zerrte sie an dem Kragen. Unvernünftigerweise versuchte sie sich das Metall sogar über den Kopf zu streifen. Aber das ging natürlich nicht, dazu war der Reif viel zu eng.
Sie lief auf Hassan zu und schlug hysterisch schluchzend mit kleinen Fäusten auf ihn ein. Er ließ sie einen Augenblick lang gewähren, bis sie selbst erkannte, wie absurd und sinnlos ihr Verhalten war; dann faßte er sie an den Oberarmen, drehte sie um und schleuderte sie gegen die Mauer zurück. Sie prallte gegen das Gestein und glitt zu Boden. Dort drehte sie sich auf allen vieren herum und schaute Hassan an. Er löste die Peitsche von seinem Gürtel.
Ich traute meinen Augen nicht. Es war beinahe, als säße ich dort auf Händen und Knien vor der Mauer. Es gab viele offenkundige Unterschiede zwischen uns, doch war die Ähnlichkeit – Haar- und Augenfarbe, Teint, Figur, Größe und Gewicht – erschreckend groß. Man hätte uns ohne weiteres für Geschwister, vielleicht sogar für Zwillinge halten können.
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