Die Soldaten mußten gehört oder gesehen haben, wohin ich verschwunden war, denn ich war erst ein kurzes Stück weitergekommen, als ich Verfolger hinter mir hörte. Ich hatte keine Lust, mich mit einem Kampf gegen diese Männer aufhalten zu lassen, da doch überall in der ganzen Stadt Kadabra Kämpfe stattfanden, mit denen für meine Leute und mich viel mehr erreicht werden könnte, als mit dem nutzlosen Abschlachten dieser Männer in einem Korridor unter dem Palast.
Sie kamen mir aber immer näher und kannten ja auch den Weg. Bald mußten sie mich also einholen, außer ich fand einen Platz, an dem ich mich verstecken konnte, bis sie vorüber waren. Dann konnte ich auf dem kürzesten Weg entweder zum Turm zurückkehren, oder auch einen Ausgang zur Stadt finden.
Der Korridor war sehr steil angestiegen, verlief aber nun eben, gerade und hell erleuchtet soweit ich sehen konnte. Sobald meine Verfolger dieses gerade Stück erreichten, sahen sie mich ja, und ich hatte keine Aussicht mehr, ihnen unentdeckt zu entkommen.
Zum Glück entdeckte ich eine ganze Reihe von Türen, die an beiden Korridorseiten lagen, und alle sahen gleich aus. Ich versuchte es mit der ersten Tür, durch die ich in ein kleines, sehr luxuriös eingerichtetes Zimmer kam; es schien das Vorzimmer eines Audienzsaales oder eines anderen offiziellen Raumes zu sein.
Dieser Tür gegenüber war eine andere Tür, an der schwere Vorhänge hingen. Dahinter vernahm ich das Summen von Stimmen. Ich huschte sofort hinüber, schob die Vorhänge auseinander und schaute in einen großen Raum hinein.
Etwa fünfzig prächtig gekleidete Edelmänner und Hofleute standen vor dem Thron, auf dem Salensus Oll saß. Der Jeddak der Jeddaks sprach zu den Edelleuten:
»Die Stunde ist nun gekommen, und wenn auch die Feinde in den Mauern Okars sind, so wird doch nichts und niemand Salensus Oll daran hindern können, seinen Willen durchzusetzen. Die große Zeremonie muß entfallen, damit nicht ein Mann unnötig der Verteidigung entzogen wird. Nur die fünfzig Edelleute, welche von unseren Gebräuchen vorgeschrieben sind, werden Zeugen sein dafür, daß Okar eine neue Königin erhält.
Diese kleine Zeremonie wird uns nicht lange aufhalten, so daß wir in den Kampf zurückkehren können. Sie, die jetzt noch die Prinzessin von Helium ist, wird dann vom Turm der Königin herabschauen und Zeugin der Niederlage ihrer früheren Landsleute werden. Dann wird sie erst die Größe ihres Gatten erkennen.«
Nun wandte er sich an einen Höfling, dem er etwas zuflüsterte. Der Mann eilte zu einem kleinen Tor am entgegengesetzten Ende des Raumes und öffnete es weit. »Weg frei für Dejah Thoris, die künftige Königin von Okar!« rief er laut.
Zwei Mann der Leibgarde erschienen, welche die unfreiwillige Braut zum Altar zerrten. Ihre Hände waren ihr noch am Rücken gefesselt, damit sie keinen Selbstmordversuch unternehmen konnte. Ihr Haar war ungeordnet und ihr Busen wogte. Offensichtlich hatte sie sich trotz der Fesselung erbittert zur Wehr gesetzt.
Als Salensus Oll sie sah, stand er auf und zog sein Schwert. Die Schwerter der fünfzig Edelleute flogen aus den Scheiden und formten einen Bogen, unter dem die arme, schöne Dejah Thoris in ihr Verhängnis gezerrt wurde.
Ein grimmiges Lächeln umspielte meine Lippen, als ich an das rauhe Erwachen dachte, das dem Herrscher von Okar bevorstand, und es juckten mir die Finger, die um den Knauf meines Schwertes lagen. Die Prozession bewegte sich langsam dem Thron entgegen. Sie bestand nur aus ein paar Priestern, die Dejah Thoris und den beiden Leibwächtern folgten. Ich bemerkte auch flüchtig ein schwarzes Gesicht, das zwischen den Portieren durchspähte, welche die Wand hinter der Estrade schmückten, auf der Salensus Oll seine Braut erwartete.
Die Leibwächter zerrten nun die Prinzessin von Helium die wenigen Stufen zur Estrade hinauf und hielten sie neben dem Tyrannen von Okar fest. Ich sah natürlich nur noch meine geliebte Dejah Thoris und sonst nichts mehr. Ein Priester öffnete ein Buch, hob eine Hand und begann den Singsang eines Rituals. Salensus Oll griff nach der Hand seiner Braut.
Ich hatte erst beabsichtigt, solange zu warten, bis mir die Umstände ein erfolgreiches Eingreifen ermöglichten, denn auch dann, wenn die Zeremonie vollendet wurde, hatte sie keine Gültigkeit, solange ich lebte. Was mir am meisten am Herzen lag, war selbstverständlich Dejah Thoris’ Rettung, und ich wollte sie, falls irgendwie möglich, aus dem Palast von Salensus Oll wegbringen. Im Grund war es unwichtig, ob dies vor oder nach der ja doch ungültigen Zeremonie geschah. Als ich jedoch sah, daß Salensus Oll seine lasterhafte Hand nach meiner geliebten Prinzessin ausstreckte, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ehe die Edlen von Okar auch nur ahnten, was geschah, sprang ich schon mit einem großen Satz auf die Estrade vor Dejah Thoris und Salensus Oll.
Mit dem flachen Schwert schlug ich seine brutale Hand weg, packte Dejah Thoris um die Taille und schwang sie hinter mich. Ich stand nun mit dem Rücken zu den Portieren der Estrade und hatte vor mir den Tyrannen des Nordens und seine edlen Krieger.
Der Jeddak der Jeddaks war ein Berg von einem Mann, ein häßlicher, dicker, brutaler Kerl, und er stand wie ein Turm vor mir. Sein schwarzer Schnurrbart sträubte sich vor Wut, und ich kann mir recht gut vorstellen, daß ein weniger erfahrener Krieger als ich vor ihm zitterte.
Knurrend sprang er mir mit dem gezogenen Schwert entgegen, aber ich konnte nie herauskriegen, ob Salensus Oll ein tüchtiger Schwertkämpfer war oder nicht, denn mit Dejah Thoris hinter meinem Rücken war ich kein Mensch mehr, sondern ein Supermensch, und da hätte mir keiner mehr widerstehen können.
»Für die Prinzessin von Helium!« rief ich und stieß meine Klinge kraftvoll durch das verrottete Herz von Okars verrottetem Herrscher, und vor den Augen seiner erblaßten Edlen rollte Salensus Oll, im Tod schauerlich grinsend, die Stufen hinunter, die von seinem Hochzeitsthron auf der Estrade in den Saal führten.
Gespanntes Schweigen herrschte im Hochzeitsraum. Dann drangen die fünfzig Edelleute auf mich ein. Es war ein furioser Kampf, aber der Vorteil war auf meiner Seite. Ich stand ja oben auf der Estrade und focht für die großartigste Frau aus einer glorreichen Rasse, und ich kämpfte um eine große Liebe und die Mutter meines Sohnes. Hinter meiner Schulter vernahm ich die silberne Stimme meiner Liebsten; sie sang die ruhmreiche Hymne von Helium, welche die Frauen singen, wenn ihre Männer ausziehen, um zu siegen. Das allein genügte, um meinen Siegeswillen anzufeuern, und wäre die Übermacht der anderen noch größer gewesen, als sie schon war! Ich bin ganz ehrlich davon überzeugt, daß ich diesen ganzen Hochzeitsraum voll Gelber Krieger an jenem Tag ganz allein besiegt und erledigt hätte, wäre nicht etwas für mich Hilfreiches geschehen. Immer wieder sprang einer der Edlen aus Salensus Olls Gefolge die Stufen zur Estrade hinauf, und der Kampf war heftig und erbittert. Aber immer fiel er wieder zurück, getroffen von einem Schwert, das seit dem Duell mit Solan Zauberkräfte zu haben schien. Zwei drängten sich so nahe an mich heran, daß ich mich kaum zu rühren vermochte. Da hörte ich eine Bewegung hinter mir, und nun bemerkte ich auch, daß die Hymne von Helium nicht mehr gesungen wurde. Machte sich Dejah Thoris bereit, neben mir zu kämpfen? Heroische Tochter einer heroischen Welt! Es sähe ihr tatsächlich ähnlich, wenn sie ein Schwert nahm und an meiner Seite kämpfte. Wenn auch die Frauen vom Mars nicht in den Kriegskünsten unterwiesen und geschult werden, so ist ihnen der Kampfgeist doch angeboren, und man weiß von zahllosen Gelegenheiten, bei denen Frauen unerschrocken neben ihren Männern gekämpft haben.
Sie kam jedoch nicht, und ich war froh darüber, denn ich hätte sie ja beschützen und gleichzeitig gegen eine Übermacht fechten müssen. Es wäre mir ja doch nichts anderes übrig geblieben, als sie aus der Kampfzone zurückzuschicken. Ich dachte, sie plante wohl etwas ganz besonders Schlagkräftiges und kämpfte also weiter in dem sicheren Bewußtsein, daß meine geliebte Prinzessin hinter mir stand. Mindestens eine halbe Stunde muß ich so gekämpft haben, und noch immer war es keinem gelungen, auch nur einen Fuß auf die Estrade zu setzen, auf der ich stand. Aber dann formten sich die Männer unter mir zu einer letzten, verzweifelten Attacke. Als sie jedoch begannen, auf mich einzudringen, wurde die Tür am anderen Ende aufgerissen, und ein vor Schreck verstörter Bote rannte herein.
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