Sie hatten die Wahrheit gekannt oder mindestens vermutet, und der Hektor der Heiligen Therns, der ja meine Prinzessin für sich selbst haben wollte, war in das Hochzeitsgemach gekommen, um Salensus Oll vermutlich an der, wie er sich selbst vorsagte, blasphemischen Perfidie gegen den Hohenpriester zu hindern. Und bei dieser Gelegenheit hatte er festgestellt, daß Thurid ihm den Preis vor der Nase weggestohlen hatte.
Phaidors Vergnügen bestand darin, daß sie den grausamen Schlag gegen mich genoß, und darin fand auch ihr eifersüchtiger Haß auf die Prinzessin von Helium Genugtuung.
Mein erster Gedanke war der, hinter die Wandverkleidungen und Portieren der Estrade zu schauen, denn dort hatte ich Thurid gesehen. Ich riß die kostbaren Wandgehänge von ihren Befestigungen, und nun sah ich dahinter eine schmale Tür.
Hier mußte Thurid mit seiner Beute entkommen sein, denn hier fand ich auch ein winziges, juwelenbesetztes Schmuckstück, das Dejah Thoris gehörte, denn es trug die Insignien der Prinzessin von Helium. Ich drückte meine Lippen auf dieses Kleinod und rannte den gewundenen schmalen Korridor entlang, der sanft zu den tiefergelegenen Galerien des Palastes abfiel.
Ich brauchte nicht lange zu gehen, bis ich zu dem Raum kam, in dem Solan Wache gehalten und gearbeitet hatte. Seine Leiche lag noch dort, wo sie gefallen war, nichts deutete darauf hin, daß in der Zwischenzeit jemand den Raum betrat. Trotzdem wußte ich, daß es zwei Personen waren: Thurid, der schwarze Prinz und Dejah Thoris. Unentschlossen blieb ich einen Augenblick stehen, denn ich wußte nicht, welchen der verschiedenen Ausgänge ich wählen sollte. Ich versuchte mich an das zu erinnern, was Thurid wiederholt hatte, als er bei Solan gewesen war, und ganz langsam, wie durch einen dichten Nebel, kamen die Weisungen Solans zurück, die er dem schwarzen Prinzen erteilt hatte.
»Durch jene Tür«, hatte Thurid zitiert und dabei auf ein Tor des großen Raumes gedeutet, »dann folge ich einem Korridor und gehe an drei davon rechts abzweigenden Korridoren vorbei. Im vierten gehe ich solange geradeaus weiter, bis ich dorthin komme, wo drei Gänge aufeinander treffen. Hier folge ich wieder dem rechten, halte mich aber sehr eng an die linke Wand, um nicht in die Grube zu fallen. Am Ende des Korridors komme ich zu einem Spiralgang, auf dem ich nach unten gehe, nicht nach oben. Dann führt der Weg weiter über einen Korridor ohne Abzweigungen.«
Sofort machte ich mich auf den Weg und achtete nicht einmal der Gefahren, die, wie ich doch wußte, dort lauern mochten.
Ein Teil dieses Weges war so schwarz wie die Sünde, aber der größte Teil davon war ausreichend oder gut beleuchtet. Die dunkelste Stelle war die, wo ich mich eng an die linke Wand halten mußte, um nicht in die Grube zu stürzen. Dazu hätte nicht viel gefehlt, denn fast wäre ich mir der Gefahr zu spät bewußt geworden.
Es führte nämlich nur eine schmale Leiste, die kaum von Fußbreite war, an dieser schrecklichen Höhle entlang, in die ein Unwissender unweigerlich fallen mußte. Ich atmete erleichtert auf, als ich glücklich drüben war, und dann geleitete mich ein schwacher Lichtschimmer, bis ich am Ende des letzten Korridors in gleißendes Sonnenlicht hinaustrat, das von Schnee und Eis zurückgeworfen wurde.
Ich war natürlich für die Treibhaustemperaturen der überdachten und geheizten Stadt gekleidet, und der plötzliche Wechsel zu arktischer Kälte war äußerst unangenehm. Der schlimmste Gedanke war jedoch der, daß ich, nackt wie ich war, diese bittere Kälte nicht ertragen konnte und erfrieren mußte, ehe ich Thurid und Dejah Thoris einzuholen vermochte.
Es war ein grausames Schicksal, daß mir die Natur selbst den Weiterweg versperrte, nachdem ich allen menschlichen Bosheiten und zahlreichen sonstigen Widrigkeiten zum Trotz mein Ziel so nah vor Augen hatte. Ich taumelte zurück in die schützende Wärme des Tunnels und war hoffnungsloser Verzweiflung näher als je vorher in meinem Leben.
Natürlich hatte ich meine Absicht, Thurid zu verfolgen, nicht aufgegeben, und ich würde auch jederzeit unter Einsatz meines eigenen Lebens dieses große Ziel, Dejah Thoris zu befreien, weiterverfolgen, aber nun mußte ich mich erst in den Stand versetzen, erneut um meine geliebte Prinzessin kämpfen zu können.
Kaum war ich in den Tunnel zurückgekehrt, als ich fast über einen Haufen Pelze gestolpert wäre, die an der Wand des Korridors befestigt zu sein schienen. Als ich der Sache nachging, entdeckte ich, daß sie aber nur von einer geschlossenen Tür festgehalten wurden. Also öffnete ich diese Tür und befand mich in einer kleinen Kammer, in der an zahlreichen Wandhaken komplette Freiluftanzüge aus Pelz hingen, wie sie von den Gelben getragen wurden, wenn sie die geschützte Stadt verließen.
Da diese Kammer in unmittelbarer Nähe des Tunnelausgangs lag, mußte sie wohl der Umkleideraum für die Nobilitäten sein; Thurid, der das wußte, war hergekommen, um sich und Dejah Thoris für die bittere Kälte draußen auszustatten.
In seiner Hast hatte er einige Pelze auf den Boden fallen lassen, und der eine, der unter der Tür festgeklemmt war, hatte mich nun auf die richtige Spur geführt. Hätte er das geahnt, dann wäre er wohl ordentlicher mit den Kleidungsstücken umgegangen.
Ein paar Sekunden später hatte ich die warmen pelzgefütterten Stiefel und den Anzug aus Orlukfellen angezogen. Nur mit einer solchen Kleidung kann man sich vor den eisigen Winden schützen. Wieder kehrte ich zum Tunnelende zurück und fand im frischgefallenen Schnee die Spuren von Thurid und Dejah Thoris. Nun hatte ich es wesentlich leichter, wenn auch der Weg an sich äußerst beschwerlich war, denn es bestanden keine Zweifel mehr über die einzuschlagende Richtung, und ich mußte nicht mehr gegen Dunkelheit und verborgene Gefahren ankämpfen.
Durch eine schneebedeckte Schlucht führte der Weg zur Spitze eines niederen Hügels. Dahinter senkte er sich wieder in einem Tobel, stieg aber sofort wieder zu einem Paß an, der etwa einen halben Kilometer weiter einen felsigen Kamm überschritt.
An den Spuren konnte ich genau erkennen, daß Dejah Thoris nicht freiwillig mitgekommen war; der schwarze Prinz mußte sie mitzerren, und für kurze Strecken hatte er sie auch wohl getragen, denn dort ließ sich nur eine einzige Spur feststellen. Ich konnte mir vorstellen, daß sie sich erbittert gegen ihn gewehrt hatte. Als ich um die Schulter des Hügels bog, begann mein Herz heftig zu klopfen, und mein Puls jagte. In einer winzigen Mulde zwischen zwei Gipfeln sah ich vier Menschen vor dem Eingang einer riesigen Höhle stehen, und neben ihnen lag auf dem glitzernden Schnee ein Flieger, der wohl eben erst aus seinem Versteck gezogen worden war. Die vier Menschen waren Dejah Thoris, Phaidor, Thurid und natürlich Matai Shang. Die beiden Männer stritten hitzig miteinander; der Vater der Therns machte drohende Bewegungen, während der schwarze Prinz ihm immer wieder finstere Blicke zuwarf, während er seiner Arbeit nachging.
Vorsichtig kroch ich weiter, damit sie mich nicht zu früh sahen. Ich wollte ja hören, was sie sprachen. Sie schienen dann einen Kompromiß zu schließen, denn gemeinsam zerrten sie die heftigen Widerstand leistende Dejah Thoris auf das Deck des Fliegers. Hier wurde sie angebunden. Die anderen stiegen wieder auf den Boden hinunter, um das Schiffchen startklar zu machen. Phaidor kehrte bald wieder zurück und begab sich in die Kabine auf dem Deck.
Ich war ihnen auf 300 Meter nahe gekommen, als Matai Shang mich erspähte. Er packte Thurid an der Schulter und wirbelte ihn in meine Richtung herum. Da sie mich nun gesehen hatten, wäre es sinnlos gewesen, mich weiterhin zu verstecken, und so vergaß ich jede Vorsicht und rannte so schnell ich konnte auf den Flieger zu.
Die beiden Männer versuchten eiligst den Propeller anzuwerfen, den sie kurz vorher aufgeschraubt hatten. Ich vermutete, daß er einer Reparatur bedurft hatte.
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