»Bleibt stehen, damit wir das Ende dieses Schiffes beobachten können«, schlug einer vor.
Der Offizier schaute zur Stadt hinüber. »Die Wache hat es schon gesehen, und deshalb können wir bleiben, falls man uns braucht.«
Ich sah einige hundert Krieger aus dem nächstgelegenen Stadttor kommen. Sie bewegten sich recht gemütlich, als hätten sie keinerlei Eile. Ich bemerkte auch bald, daß sie sich tatsächlich Zeit lassen konnten.
Nun schaute ich wieder zu dem Schiff hinüber. Es bewegte sich sehr schnell der Stadt entgegen, und deshalb war ich sehr erstaunt, als ich bemerkte, daß die Propeller stillstanden.
Das Schiff hielt schnurgerade auf den Turm zu. In letzter Minute sah ich, daß der Versuch unternommen wurde, die Maschine in den Rückwärtsgang zu bringen, aber es flog geradeaus weiter, als werde es von einer unwiderstehlichen Kraft angezogen.
Auf Deck herrschte erregte Geschäftigkeit; Männer rannten hin und her, besetzten die Kanonen und machten die kleinen Einmannrettungsflieger los, von denen auf jedem größeren Schiff eine ganze Flotte vorhanden ist. Immer näher kam das Schiff diesem schwarzen Turm; nun mußte es jeden Moment anprallen, aber da sah ich schon eine ganze Wolke der kleinen Einmannflieger vom Deck des Mutterschiffes aufsteigen.
Sie stoben wie ein ganzer Libellenschwarm davon, aber sie waren noch nicht richtig vom Mutterschiff freigekommen, als sie ihre Nasen samt und sonders auf den Turm ausrichteten. Und auch sie rasten nun mit unheimlicher Geschwindigkeit demselben Ende entgegen, welches das Mutterschiff erwartete.
Und dann kam die Kollision. Nach allen Richtungen wurden die Menschen vom Deck des Schiffes geschleudert, während das Schiff selbst erbarmenswürdig angeschlagen abstürzte und den Wrackhaufen am Fuß des Turmes um ein weiteres großes Schiff bereicherte. Dem großen Schiff folgte der ganze Schwärm der Einmannflieger, die alle ohne Ausnahme an den Turm geprallt waren.
Ich bemerkte, daß die Wracks die Turmmauer entlangkratzten, und ihr Fall war nicht so schnell, wie freier Fall eigentlich hätte sein müssen. Und nun ging mir schlagartig eine Erkenntnis auf. Jetzt konnte ich mir erklären, warum niemals ein Schiff oder ein Flieger von jenseits der Eisbarriere zurückgekehrt war.
Der Turm war ein ungeheuer starker Magnet, und ein Schiff, das auch nur an den Rand des Wirkungsbereiches dieses Magneten kam, wurde unwiderstehlich angezogen, denn auf Barsoom bestehen diese Schiffe großenteils aus Aluminiumstahl, so daß nichts die Vernichtung dieser Schiffe aufhalten konnte.
Später erfuhr ich dann, daß der Turm unmittelbar auf dem magnetischen Pol des Mars errichtet ist. Ob das jedoch die einzige Erklärung für die unberechenbare Anziehungskraft dieses Turmes ist, kann ich nicht sagen. Ich bin ein Kämpfer und kein Wissenschaftler. Und jetzt kannte ich auch den Grund für die lange Abwesenheit von Tardos Mors und Mors Kajak. Diese unerschrockenen, tüchtigen Krieger hatten den Geheimnissen und Gefahren des gefrorenen Nordens getrotzt, um Carthoris zu suchen, der so lange verschollen war, daß das Haupt seiner schönen, wundervollen Mutter Dejah Thoris, Prinzessin von Helium, vor Kummer gebeugt war. In dem Augenblick, als der letzte kleine Flieger auf dem Schrotthaufen gelandet war, schwärmten schwarzbärtige Gelbe Krieger über die Wracks und nahmen alle gefangen, die nur leicht oder gar nicht verletzt waren, und töteten mit einem Schwertstoß die, welche verwundet waren oder von denen man annahm, daß sie sich kräftig zur Wehr setzen würden.
Einige der unverletzten Roten Männer kämpften tapfer gegen ihre grausamen Feinde, aber die meisten schienen von dem großen Unglück, das sie überkommen hatte, so verwirrt und bestürzt zu sein, daß sie sich willenlos die goldenen Handfesseln anlegen ließen. Als der letzte Gefangene gebunden war, kehrten alle zur Stadt zurück. Am Tor begegneten uns eine ganze Meute furchterregender Apts mit Goldkrägen; jedes der Tiere wurde von zwei Kriegern geführt, die sie an dicken goldenen Ketten festhielten.
Unmittelbar außerhalb des Tores ließen die Krieger diese Tiere frei. Die Apts stürmten dem schwarzen Turm entgegen, und ich wußte ohne zu fragen, was dort ihre Aufgabe war. Wären in dieser grausamen Stadt Kadabra nicht andere Menschen gewesen, die der Hilfe viel dringender bedurften als die Toten und Sterbenden da draußen, dann wäre ich diesen Tieren nachgeeilt und hätte den Kampf mit ihnen aufgenommen, die hinausgeschickt wurden, um die armen Opfer zu töten und aufzufressen.
Was blieb mir anderes übrig, als den Gelben Kriegern zu folgen? Ich zog ein wenig den Kopf ein und dankte meinem Schicksal, das Thuvan Dihn und mir einen so leichten Zugang zur Hauptstadt des Salensus Oll gestattete.
In der Stadt selbst hatten wir keine Schwierigkeit, unsere Freunde vom Morgen zu verlieren, und wenig später befanden wir uns in einem Hotel.
Auf Barsoom unterscheiden sich, wie ich gefunden habe, die Gasthäuser nicht sehr voneinander. Nur verheiratete Paare können für sich bleiben. Männer ohne ihre Frauen werden in einen großen Raum gebracht, dessen Boden meistens aus weißem Marmor oder Glas besteht, damit er makellos sauber gehalten werden kann. Hier gibt es zahlreiche kleine ein wenig erhöhte Podien für die Seiden und Pelze der Gäste, und wenn sie keine eigenen mitbringen, werden ihnen für einen geringen Preis sauber gewaschene zur Verfügung gestellt.
Hat ein Mann erst einmal seine Habseligkeiten auf einem solchen Podium abgestellt, dann ist er ein Gast des Hauses und diese Plattform gehört ihm, bis er abreist. Niemand stört oder belästigt ihn dort, und Diebe gibt es auf dem Mars nicht.
Mord ist das einzige, das zu befürchten wäre, und deshalb stellen die Besitzer der Gasthäuser und Hotels bewaffnete Wächter auf, die bei Tag und Nacht durch die Schlafräume patrouillieren. Die Zahl der Wächter, ihre Bewaffnung und die Pracht ihrer Waffengürtel ist in der Regel der beste Gradmesser für das Niveau des Hotels. In diesen Häusern werden keine Mahlzeiten serviert, aber meistens haben sie nebenan ein öffentliches Speisehaus. Bäder gibt es neben den Schlafkammern, und jeder Gast ist verpflichtet, täglich ein Bad zu nehmen, und tut er das nicht, muß er ausziehen.
Im zweiten oder dritten Stock befindet sich meistens ein großer Schlafraum für weibliche Gäste, aber er unterscheidet sich kaum von denen der Männer. Die Wächter für die Frauengemächer patrouillieren auf den Gängen vor den Schlafräumen, und innen wachen Sklavinnen über die Schläferinnen, die beim geringsten Zwischenfall die Krieger von den Gängen hereinholen.
Ich war außerordentlich erstaunt zu sehen, daß die Wächter in unserem Hotel ausschließlich Rote Männer waren, und als ich mit einem von ihnen sprach, bekam ich von ihm zu hören, daß der Hotelbesitzer sie als Sklaven von der Regierung gekauft hatte. Der Mann, der seinen Posten in der Nähe meiner Schlafplattform hatte, war früher der Kommandant der Marine einer großen Marsnation gewesen. Das Schicksal hatte sein Schiff über die Eisbarriere getragen und in den Wirkungsbereich des Magneten gebracht, und so war er nun seit vie len Jahren ein Sklave der Gelben Männer.
Von ihm erfuhr ich auch, daß Prinzen, Jeds und selbst Jeddaks der äußeren Welt unter denen waren, die der Rasse der Gelben zu dienen hatten. Als ich ihn jedoch fragte, ob er etwas über das Schicksal von Mors Kajak oder Tardos Mors wisse, schüttelte er den Kopf und erklärte, er habe nie vernommen, daß sie als Gefangene hier seien, obwohl er ihre Namen, ihren guten Ruf und ihre Berühmtheit in der äußeren Welt sehr genau gekannt habe.
Von Gerüchten über die Ankunft des Vaters der Therns und des schwarzen Dator der Erstgeborenen wußte er auch nichts, aber er sagte mir, man erfahre außerordentlich wenig von dem, was im Palast vorgehe. Er wunderte sich jedoch gar nicht darüber, daß ein Gelber so neugierig wegen Roter Gefangener von jenseits der Eisbarriere fragte und daß ich so wenig wußte von den Gebräuchen und Bedingungen innerhalb meiner eigenen Rasse.
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