»Diese Leute können nichts anderes als Fremde sein«, sagte Tario zu Jav. »Laß uns erst einmal eindeutig feststellen, daß sie uns wissentlich beleidigt haben, damit wir danach unser Strafmaß bestimmen können.«
Er wandte sich an Carthoris, doch immer wieder schweifte sein Blick zu Thuvia, deren wundervolle Gestalt es ihm angetan zu haben schien. Der Harnisch einer Prinzessin von Barsoom enthüllte mehr als er verbarg.
»Wer seid ihr«, fragte er, »daß ihr nicht die Etikette kennt, die am Hof des letzten der Jeddaks von Barsoom üblich ist?«
»Ich bin Carthoris, Prinz von Helium«, erwiderte der junge Mann, »und das hier ist Thuvia, Prinzessin von Ptarth. An den Höfen unserer Väter fällt niemand vor den Königen zu Boden.
Niemand auf ganz Barsoom ist mehr vor einer anderen Person auf dem Bauch gekrochen, seit die Erstgeborenen ihre unsterbliche Göttin Glied für Glied zerrissen haben. Glaubst du wirklich, daß die Tochter eines mächtigen Jeddaks und der Sohn eines anderen sich selbst so demütigen würden?«
Tario sah Carthoris lange an. Endlich sprach er.
»Auf Barsoom gibt es keinen anderen Jeddak als Tario«, erwiderte er. »Es gibt auch keine andere Rasse als die von Lothar, außer man überschätzt die Torquas, indem man diese grünen Horden auch als Menschen bezeichnet. Die Lotharianer sind weiß. Eure Haut ist rot. Auf Barsoom gibt es keine Frauen mehr. Deine Gefährtin ist eine Frau.«
Er erhob sich halb und beugte sich weit vorwärts. Mit einem anschuldigenden Finger wies er auf Carthoris.
»Du bist eine Lüge, ein Betrug!« kreischte er. »Ihr beide seid Lügen, und ihr wagt es, vor Tario zu kommen, den letzten und mächtigsten aller Jeddaks von Barsoom und zu behaupten, daß ihr Wirklichkeit seid? Dafür, Jav, wird jemand teuer zu bezahlen haben. Und wenn ich mich nicht sehr irre, warst du es, der in seiner Oberflächlichkeit die Gutmütigkeit seines Jeddaks so mißbraucht.
Den Mann bringst du weg, doch die Frau bleibt hier. Wir werden sehen, ob sie beide Lügner sind. Und später, Jav, wirst du für deine Frechheit büßen. Nur noch wenige von uns sind übrig, und Komal muß gefüttert werden. Und jetzt geh!«
Carthoris bemerkte, wie sehr Jav zitterte, als er sich vor seinem Herrscher auf den Boden warf, sich wieder erhob und an den Prinzen von Helium wandte.
»Komm!« forderte er ihn auf.
»Und die Prinzessin von Ptarth soll ich hier allein zurücklassen?« rief er.
Jav ging ganz nahe an ihm vorbei. »Folge mir«, flüsterte er.
»Ihr geschieht nichts. Er kann ihr nichts zuleide tun, außer er will sie töten. Und das kann er tun, ob du nun bleibst oder nicht.
Vertraue mir. Wir gehen am besten jetzt sofort weg.«
Das verstand Carthoris zwar nicht, aber etwas in der drängenden Stimme des anderen gab ihm ein wenig Sicherheit, und so drehte er sich um, warf aber Thuvia noch einen Blick zu, der ihr sagen sollte, er verlasse sie nun in ihrem eigenen besten Interesse.
Sie schien ihn aber nicht zu begreifen. Entrüstet wandte sie ihm den Rücken zu, maß ihn aber vorher noch mit einem so verächtlichen Blick, daß ihm das Blut in die Wangen stieg.
Er zögerte, doch Jav packte sein Handgelenk.
»Komm!« drängte er. »Oder er wird dir seine Bogenschützen an den Hals schicken. Diesmal entkommst du ihnen aber nicht mehr. Hast du nicht gesehen, wie wenig dein Schwert gegen dünne Luft ausrichten kann? «
Widerwillig wandte sich Carthoris ab, um ihm zu folgen. Als die beiden den Saal verlassen hatten fragte er seinen Führer:
»Wenn ich dünne Luft nicht töten kann, wieso habe ich dann zu fürchten, daß dünne Luft mich tötet?«
»Hast du nicht die Torquasianer von den Bogenschützen fallen sehen?« entgegnete Jav.
Carthoris nickte.
»So würdest auch du fallen, und du hättest nicht die kleinste Möglichkeit, dich zu verteidigen oder zu rächen.«
Jav führte Carthoris zu einem kleinen Raum in einem der zahlreichen Türme des Palastes. Hier gab es Diwane und Sitzgelegenheiten, und Jav forderte ihn auf, Platz zu nehmen.
Einige Minuten lang musterte nun der Lotharianer seinen Gast, oder besser gesagt: seinen Gefangenen, denn Carthoris war sich darüber klar, daß er einer war.
»Fast bin ich schon überzeugt, daß du wirklich bist«, sagte Jav.
Carthoris lachte schallend.
»Natürlich bin ich wirklich«, versicherte ihm der junge Heliumite. »Warum zweifelst du daran? Kannst du mich nicht sehen? Nicht fühlen?«
»So kann ich auch die Bogenschützen sehen und fühlen«, erwiderte Jav. »Und trotzdem wissen wir alle, daß sie nicht echt sind.«
Carthoris’ Miene ließ deutlich erkennen, wie sehr ihn diese Antwort verwirrte. Diese ständig auftauchenden und wieder verschwindenden Bogenschützen von Lothar waren ja auch wirklich ein erstaunliches und verblüffendes Rätsel.
»Was könnten sie dann sein? «fragte er.
»Das weißt du wirklich nicht?« staunte Jav.
Carthoris schüttelte den Kopf.
»Fast möchte ich glauben, daß du uns die Wahrheit gesagt hast, daß du wirklich aus einem anderen Teil Barsooms stammst, vielleicht auch von einer anderen Welt. Aber sag mir doch, habt ihr denn in eurem Land keine Bogenschützen, um die Herzen der grünen Horden in Angst und Schrecken zu versetzen? Und habt ihr keine Kampfbanths, die den Bogenschützen bei der Vernichtung der Feinde helfen?«
»Wir haben Soldaten«, erklärte ihm Carthoris. »Wir von der Roten Rasse sind alle Soldaten, aber wir haben keine solchen Bogenschützen wie ihr, die uns verteidigen könnten. Wir verteidigen uns selbst.«
»Dann müßt ihr ja aus eurer Stadt heraus und euch von den Feinden totschlagen lassen!« rief Jav ungläubig.
»Sicher«, bestätigte Carthoris. »Wie machen es denn die Lotharianer?«
»Das hast du doch gesehen«, antwortete Jav. »Wir schicken unsere todeslosen Bogenschützen aus, und sie sind todlos, weil sie auch ohne Leben sind. Sie bestehen nur in der Einbildung unserer Feinde. Unsere unglaublich starken Geister beschützen uns in Wirklichkeit, denn sie schicken Legionen von Phantomsoldaten aus, die sich vor den Augen der Feinde materialisieren.
Sie sehen diese Soldaten. Sie sehen, wie sie ihre Bogen spannen, und sie sehen auch, wie die schlanken Pfeile davonschwirren und mit unglaublicher Präzision und unfehlbarer Sicherheit das Herz des Feindes treffen. Und unsere Feinde sterben – von der Kraft unserer Suggestion.«
»Aber es gibt doch auch getötete Bogenschützen!« rief Carthoris. »Du nennst sie todlos, und doch sah ich ihre Leichen in Stapeln und Haufen auf dem Schlachtfeld liegen. Wie soll das möglich sein?«
»Oh, das geschieht nur deshalb, um die Szene mit einem Schein Wirklichkeit zu umgeben«, erwiderte Jav. »Wir suggerieren unseren Feinden, daß sie eine Anzahl unserer Verteidiger getötet haben, damit die Torquasianer nicht auf die Idee kommen, die Bogenschützen seien nicht aus Fleisch und Blut.
Würden sie erst einmal daran zweifeln, dann wäre der nächste Schritt der, daß sie auch nicht mehr an die tödlichen Pfeile glauben würden. Viele von uns sind dieser Meinung, und fast alle sind davon überzeugt, daß wir unglaubliche Kräfte aufwenden müßten, um überhaupt noch eine Suggestion aufrechterhalten zu könne. Das ist bei uns eine Art Gesetz.«
»Und was ist mit den Banths?« wollte Carthoris wissen. »Sind sie auch nur Kreaturen eurer Suggestionskraft?«
»Einige von ihnen sind echt«, sagte Jav. »Die aber, die zusammen mit unseren Bogenschützen die Torquasianer in die Flucht schlugen, waren unwirklich. Wie die Bogenschützen kamen sie niemals zurück. Sie hatten ihren Zweck erfüllt und konnten zusammen mit diesen verschwinden, sobald die Flucht des Feindes bewirkt war.
Die Banths, die auf dem Schlachtfeld blieben, waren jedoch wirklich. Man ließ sie los, um die toten Torquas aufzufressen, und sie dienen uns dazu, diesen Unrat zu beseitigen. Die Realisten unter uns fordern das. Ich bin Realist. Tario ist Ätheralist.
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