Welche Welten mochten sich dort verbergen, in dieser Galaxis, deren gesamte Leuchtkraft heller war als die anderer Galaxien und im Durchschnitt die Spektralklasse F erreichte? Gab es dort Bewohner mächtiger Planeten, mühte sich der Geist auch dort, genau wie bei uns, mit der Enträtselung von Naturgeheimnissen ab?
Bei dem Gedanken an das völlige Schweigen dieser riesigen Sterneninseln ballten sich bei Mwen Maas die Fäuste. Er begriff die gesamte Ungeheuerlichkeit der Entfernung: Bis zu dieser Galaxis brauchte das Licht zweiunddreißig Millionen Jahre! Für einen Informationsaustausch waren folglich vierundsechzig Millionen Jahre notwendig!
Mwen Maas begann in dem Filmmaterial zu wühlen, und bald erstrahlte auf dem Bildschirm inmitten spärlicher und matter Sterne ein großer, heller und rundlicher Lichtfleck. Ein unregelmäßiger schwarzer Streifen schnitt den Fleck in zwei Teile und ließ die grell leuchtenden Lichtmassen zu beiden Seiten davon noch stärker hervortreten. Der Streifen wurde zu den Enden hin breiter und überschattete ein riesiges Feld leuchtenden Gases, das den grellen Fleck in einem Ring umgab. Das war ein Bild von zusammenstoßenden Galaxien im Sternbild des Schwans, das allein durch unglaublich raffinierte technische Manipulationen zustande gekommen war. Der Zusammenstoß gigantischer Galaxien von der Größenordnung unserer Galaxis oder des Andromedanebels war seit Langem als Quelle für Radiostrahlung bekannt, wohl der stärksten in dem uns zugänglichen Teil des Universums. Kolossale Gasströme, die sich unaufhörlich und rasch bewegten, erzeugten elektromagnetische Felder von einer solch unvorstellbaren Stärke, dass sie in alle Ecken und Enden des Universums Nachricht von der titanischen Katastrophe sandten. Die Materie selbst strahlte dieses Alarmsignal von einer Funkstation mit einer Leistung von einer Quintilliarde oder tausend Quintillionen Kilowatt aus. Aber die Entfernung zu den Galaxien war so groß, dass die Aufnahme auf dem Bildschirm ihren Zustand vor Hunderten von Millionen von Jahren zeigte. Wie die einander durchdringenden Galaxien jetzt aussahen, würde man erst in so ferner Zeit erfahren, dass es ungewiss war, ob die Menschheit dann noch existierte.
Mwen Maas sprang auf und presste seine Hände so fest auf den massiven Tisch, dass die Gelenke krachten.
Sendezeiten von Millionen von Jahren, eine Zeitspanne, in der Zehntausende von Generationen hinwegsterben würden, Zeitspannen, die selbst für unsere fernsten Nachkommen ein vernichtendes „Niemals“ bedeuteten, würde man mit einem Wink des Zauberstabes hinwegfegen können. Und dieser Stab war Ren Boos’ Entdeckung und das von ihnen gemeinsam durchzuführende Experiment.
Unvorstellbar ferne Punkte des Universums würden so in greifbare Nähe rücken!
Die Astronomen in alter Zeit glaubten, dass die Galaxien in verschiedenen Richtungen auseinanderstrebten. Das Licht, das von fernen Sterneninseln in die irdischen Teleskope drang, war verfälscht — die Lichtschwingungen wurden länger und verwandelten sich in rote Wellen. Diese Rötung des Lichts galt als Beweis dafür, dass sich die Galaxien vom Beobachter immer weiter entfernten. Die Menschen der Vergangenheit waren gewohnt, Phänomene einseitig und geradlinig zu deuten — so stellten sie auch die Theorie von einem auseinanderstrebenden oder explodierenden Universum auf, da sie noch nicht begriffen, dass sie lediglich eine Seite des großartigen Vorgangs von Zerstörung und Neubildung sahen. Und genau diese Seite der Dispersion und Zerstörung, das heißt des Überganges von Energie in niedere Formen nach dem zweiten Gesetz der Thermodynamik, war mit den menschlichen Sinnen und den zu ihrer Unterstützung konstruierten Geräten wahrnehmbar. Die andere Seite aber, die der Anhäufung, Ansammlung und Entstehung, wurde von den Menschen nicht wahrgenommen, da das Leben selbst seine Kraft aus der Energie schöpfte, die von den Sternen, den Sonnen, zerstreut wurde. Dementsprechend entwickelte sich auch unsere Wahrnehmung von der Umwelt. Der mächtige Verstand des Menschen kam jedoch auch hinter diese verborgenen Prozesse der Entstehung von Welten in unserem Universum. Aber in jenen fernen Zeiten glaubte man, dass sich eine Galaxis umso rascher entfernte, je weiter sie von der Erde entfernt war. Mit der fortschreitenden Erforschung des Weltraums entdeckte der Mensch sogar Galaxien mit Geschwindigkeiten, welche der des Lichtes nahekamen. Als Grenze des sichtbaren Universums wurde jene Entfernung festgesetzt, wo die Galaxien Lichtgeschwindigkeit erreicht zu haben schienen — in Wirklichkeit jedoch hätte man dann niemals Licht von ihnen empfangen und sie auch niemals sehen können. Inzwischen wusste man, was die Rötung des Lichtes ferner Galaxien verursachte. Es gab nicht nur einen Grund dafür. Von fernen Sterneninseln erreichte die Erde nur jenes Licht, das von ihren hellen Zentren ausgestrahlt wurde. Diese kolossalen Massen von Materie waren von ringförmigen elektromagnetischen Feldern umgeben und beeinflussten die Lichtstrahlen nicht nur durch ihre Stärke, sondern auch durch ihre Ausdehnung. Die Lichtschwingungen wurden allmählich abgebremst und verwandelten sich in längere rote Wellen. Die Astronomen wussten seit Langem, dass sich das Licht sehr dichter Sterne rot verfärbt, dass sich die Linien des Spektrums nach Rot hin verschoben, und der Stern sich so zu entfernen schien, wie zum Beispiel die zweite Komponente des Sirius — der Weiße Zwerg Sirius B. Je weiter eine Galaxis entfernt war, desto zentraler war die Strahlung, die die Erde erreichte, und desto stärker die Rotverschiebung im Spektrum.
Außerdem gerieten Lichtwellen bei einer sehr langen Reise durch den Weltraum ins „Schaukeln“, und die Lichtquanten büßten einen Teil ihrer Energie ein. Heute war dieses Phänomen geklärt — bei den roten Wellen konnte es sich auch um ermüdete „alte“ Wellen gewöhnlichen Lichts handeln. Sogar alles durchdringende Lichtwellen „veralteten“, während sie unvorstellbare Entfernungen zurücklegten. Welche Hoffnung bliebe dem Menschen, den Raum und die Zeit zu überwinden, wenn nicht durch einen Angriff auf die Schwerkraft selbst mithilfe ihres Gegenteils, wie es aus den mathematischen Berechnungen von Ren Boos hervorging?
Nein, seine Skrupel schwanden. Er war im Recht, wenn er dieses noch nie dagewesene Experiment durchführte!
Mwen Maas trat wie üblich auf den Balkon des Observatoriums hinaus und begann auf und ab zu gehen. In seinen müden Augen leuchteten noch die fernen Galaxien, die Wellen roten Lichts als Hilferufe zur Erde sandten und an den alles bezwingenden Verstand des Menschen appellierten. Mwen Maas lachte leise und zuversichtlich auf. Diese roten Strahlen würden dem Menschen genauso vertraut werden wie jene, die Tschara Nandis Körper auf dem Fest der Flammenschalen mit dem roten Licht des Lebens eingehüllt hatten, Tschara, die ihm ganz unerwartet als die kupferrote Tochter des Sterns Epsilon Tucanae, das Mädchen seiner Wunschträume, erschienen war.
Und er würde Ren Boos’ Vektor nicht mehr nur in der Hoffnung, diese wunderbare Welt zu erblicken, auf den Epsilon Tucanae richten, sondern auch zu Ehren Tscharas — zu Ehren der irdischen Repräsentantin des fremden Sterns!
9. Eine Schule des dritten Zyklus
Die vierhundertzehnte Schule des dritten Zyklus befand sich in Südirland. Ausgedehnte Felder, Weinberge und Eichenwäldchen erstreckten sich von den grünen Hügeln hinunter zum Meer. Weda Kong und Ewda Nal waren während der Unterrichtszeit angekommen und gingen langsam den ringförmigen Korridor entlang, der die an der Außenseite des runden Gebäudes angeordneten Klassenzimmer verband. Es war ein trüber, regnerischer Tag, und der Unterricht wurde in den Klassenzimmern und nicht wie üblich auf den Waldwiesen unter den Bäumen abgehalten.
Weda Kong, die sich in ihre Schulzeit zurückversetzt sah, schlich lauschend zu den Eingängen der Räume, die wie in den meisten Schulen ohne Türen, mit vorgebauten, wie Kulissen ineinander verschachtelten Wänden gestaltet waren. Ewda Nal nahm ebenfalls an diesem Spiel teil, und die beiden Frauen spähten vorsichtig in die Klassenzimmer, um Ewdas Tochter auszumachen und doch unbemerkt zu bleiben.
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