„Und wie beurteilen Sie Mwen?“, fragte Weda neugierig. „Jetzt, wo Sie ihn doch besser kennen?“
„Mwen Maas ist eine schöne Kombination aus kühlem Verstand und archaischen zügellosen Wünschen.“
Weda Kong brach in Lachen aus:
„Wie gerne würde ich auch so zutreffende Charakterisierung vornehmen können.“
„Nun, die Psychologie ist mein Beruf“, sagte Ewda achselzuckend. „Aber erlauben Sie, dass ich Ihnen jetzt eine Frage stelle. Sie wissen, dass mich Dar Weter beschäftigt…?“
„Sie befürchten halbe Entscheidungen?“, fragte Weda errötend. „Nein, hier wird es keine fatalen Halbheiten und keine Unaufrichtigkeit geben. Alles ist sternenklar…“ Und unter dem prüfenden Blick der Psychiaterin sprach Weda gelassen weiter. „Erg Noor… unsere Wege haben sich seit Langem getrennt. Es ist nur so, dass ich mich, solange er im Kosmos war, nicht einem neuen Gefühl hingeben konnte, mich nicht von ihm lösen wollte, aus Angst, dadurch die Hoffnung, den Glauben an seine Rückkehr zu schwächen. Jetzt ist es wieder eine Sache genauer Berechnung und Zuversicht. Erg Noor weiß alles, aber geht seinen eigenen Weg.“
Ewda Nal legte ihren schmalen Arm um Wedas geradlinige Schultern.
„Das heißt — Dar Weter?“
„Ja!“, antwortete Weda entschlossen.
„Und weiß er davon?“
„Nein. Wenn die Tantra hier ist… Ist es nicht Zeit, zurückzuschwimmen?“, rief Weda.
„Für mich wird es Zeit, das Fest zu verlassen“, sagte Ewda Nal. „Mein Urlaub geht zu Ende. Vor mir liegt eine neue große Aufgabe in der Akademie des Leides und der Freude, und vorher muss ich noch meine Tochter besuchen.“
„Haben Sie schon eine erwachsene Tochter?“
„Siebzehn ist sie. Mein Sohn ist bedeutend älter. Ich habe die Pflicht einer Frau mit normaler Entwicklung und normalen Erbanlagen erfüllt und zwei Kinder und nicht weniger auf die Welt gebracht. Jetzt möchte ich noch ein drittes, aber nur ein erwachsenes!“
Ewda Nal lächelte, und ihr sonst so ernstes Gesicht erstrahlte vor zärtlicher Liebe, wobei sich ihre steile Oberlippe etwas öffnete.
„Und ich stelle mir einen hübschen kleinen Jungen mit großen Augen und demselben zärtlichen und erstaunten Mund… aber mit einer Stupsnase vor“, sagte Weda verschmitzt, den Blick geradeaus gerichtet.
Nach einer kurzen Pause fragte ihre Freundin:
„Haben Sie noch keine neue Arbeit?“
„Nein, ich warte auf die Tantra. Danach gehe ich auf eine lange Expedition.“
„Fahren Sie mit, zu meiner Tochter“, schlug Ewda vor, und Weda willigte bereitwillig ein.
Eine Wand des Observatoriums war zur Gänze von einem sieben Meter breiten hemisphärischen Bildschirm verdeckt, der zur Vorführung von Bildern und Filmen von besonders starken Teleskopen diente. Mwen Maas sah sich eine Übersichtsaufnahme vom Himmelsabschnitt in der Nähe des Nordpols der Galaxis an — den Meridionalstreifen der Sternbilder vom Großen Bären bis zum Raben und Centaurus. Hier, in den Jagdhunden, dem Haar der Berenike und der Jungfrau, befand sich eine Vielzahl von Galaxien — Sterneninseln des Universums in der Form flacher Räder oder Scheiben. Besonders viele hatte man im Haar der Berenike entdeckt — separate, regelmäßige und unregelmäßige, mit unterschiedlicher Rotationsgeschwindigkeit und unter allen möglichen Blickwinkeln, solche, die unvorstellbar weit, mitunter Milliarden von Parsec entfernt waren, und solche, die regelrechte Wolken aus Zehntausenden von Galaxien bildeten. Die größten Galaxien erreichten einen Durchmesser von zwanzig- bis fünfzigtausend Parsec, wie unsere Sterneninsel oder die NN 89105 + SB 23 Galaxis, in alten Zeiten auch als M-31 oder Andromedanebel bekannt. Die kleine, matt leuchtende Sterneninsel war von der Erde aus mit bloßem Auge zu erkennen. Schon vor langer Zeit waren die Menschen hinter das Geheimnis dieser Wolke gekommen. Der Nebel erwies sich als riesiges, radförmiges Sternensystem, anderthalbmal so groß wie unsere Galaxis. Die Erforschung des Andromedanebels hatte trotz der vierhundertfünfzigtausend Parsec, die ihn von den irdischen Beobachtern trennten, stark zur Kenntnis unserer eigenen Galaxis beigetragen.
Von Kindheit an kannte Mwen Maas die großartigen Fotografien von verschiedenen Galaxien, die mithilfe der Elektroneninversion von Abbildungen oder mithilfe von Radioteleskopen aufgenommen worden waren, die noch weiter in die Tiefen des Kosmos vordrangen als zum Beispiel die zwei Riesenteleskope im Pamir und in Patagonien, von denen jedes einen Durchmesser von vierhundert Kilometern hatte. Diese Galaxien, ungeheure Ansammlungen Hunderter Milliarden von Sternen, untereinander Millionen von Parsec entfernt, hatten ihn schon früher gereizt und in ihm den brennenden Wunsch wachgerufen, die Gesetzmäßigkeiten ihres Aufbaus, die Geschichte ihrer Entstehung sowie ihr weiteres Schicksal zu erforschen. Und vor allem beschäftigte ihn genau wie jeden Erdenbewohner die Frage, ob auf den unzähligen Planetensystemen dieser Inseln des Universums Leben existierte, ob dort Feuer des Denkens und Wissens brannten, ob es in den so unendlich fernen Weiten des Kosmos menschliche Zivilisationen gab.
Auf dem Bildschirm tauchten drei Sterne auf, von den alten Arabern Sirrah, Mirach und Alamak genannt — Alpha, Beta und Gamma Andromedae, die auf einer aufsteigenden Geraden lagen. Zu beiden Seiten dieser Linie gab es zwei nahe beieinanderliegende Galaxien — den gigantischen Andromedanebel und die schöne Spirale M-33 im Sternbild des Dreiecks. Mwen Maas wechselte den Film.
Nun war eine Galaxis an der Reihe, die seit alters her bekannt und früher NGC 5194 oder M-51 genannt worden war, im Sternbild der Jagdhunde lag und Millionen von Parsec entfernt war. Dabei handelte es sich um eine der wenigen Galaxien, die von uns aus, senkrecht zur Ebene des „Rades“ gesehen, als Scheibe erschienen. Ein hell leuchtender dichter Kern aus Millionen von Sternen, von dem zwei Spiralarme ausgingen. Ihre langen Enden wurden immer schwächer und nebelhafter, bis sie schließlich in der Dunkelheit des Raumes verschwanden, wobei sie sich auf Zehntausende von Parsec in einander entgegengesetzte Richtungen fortsetzten. Zwischen den Spiralarmen oder Hauptzweigen erstreckten sich, abwechselnd mit Dunkelgebieten — Ansammlungen nichtleuchtender Materie —, kleinere Sternhaufen und Wolken leuchtenden Gases mit genau derselben Krümmung wie Turbinenschaufeln.
Wunderschön war die riesige Galaxis NGC 4565 im Haar der Berenike. Aus der Entfernung von sieben Millionen Parsec sah man sie hochkant stehen. Auf eine Seite geneigt wie ein kreisender Vogel, streckte diese Galaxis ihre offenbar aus Spiralarmen bestehende dünne Scheibe weit von sich, und in ihrem Zentrum leuchtete wie eine stark abgeplattete Kugel der Kern, der eine dichte, leuchtende Masse zu sein schien. Es war deutlich zu sehen, wie flach die Sterneninseln waren — die Galaxis konnte mit dem feinen Rädchen eines Uhrwerks verglichen werden. Die Ränder des Rädchens waren verschwommen, so als lösten sie sich in der bodenlosen Finsternis des Raumes auf. An einem solchen Rand unserer Galaxis befanden sich auch die Sonne und ein winziges Staubkörnchen — die Erde, die durch die Macht des Wissens mit einer Vielzahl besiedelter Welten in Verbindung stand und die Flügel des menschlichen Denkens über die Unendlichkeit des Kosmos ausbreitete!
Mwen Maas schaltete auf Galaxis NGC 4594 im Sternbild der Jungfrau um, die ihn schon immer am meisten interessiert hatte und ebenfalls in der Ebene ihres Äquators zu sehen war. Diese Galaxis in einer Entfernung von zehn Millionen Parsec glich einer dicken Linse brennender Sternmasse, umgeben von einer Schicht leuchtenden Gases. Am Äquator wurde die Linse von einem breiten schwarzen Streifen — einer Ansammlung dunkler Materie — durchschnitten. Die Galaxis erweckte den Eindruck einer rätselhaften, aus einem tiefen Abgrund leuchtenden Laterne.
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