„Sie wissen, dass die moderne Neurologie den Entstehungsprozess von Emotionen in der bewussten und unbewussten Sphäre der Psyche erforscht hat“, begann sie unsicher. „Das Unterbewusstsein lässt sich durch hemmende Medikamente beeinflussen, und zwar über die älteren Sphären des Gehirns, welche die chemische Regulierung des Organismus, darunter auch die des Nervensystems und teilweise der höheren Nerventätigkeit, steuern.“
Erg Noor zog die Augenbrauen hoch. Luma Laswi fühlte, dass sie zu ausführlich und langatmig sprach.
„Ich wollte damit sagen, dass die Medizin über eine Möglichkeit verfügt, jene Gehirnzentren zu beeinflussen, welche starke Emotionen steuern. Ich könnte…“
Erg Noor schien zu verstehen und drückte es in einem flüchtigen Lächeln aus.
„Sie möchten auf meine Liebe einwirken“, fragte er rasch, „und mich so davor bewahren, dass ich leide?“
Die Ärztin nickte.
Erg Noor streckte ihr dankbar die Hand entgegen und nickte ablehnend.
„Ich gebe meinen Gefühlsreichtum nicht auf, ganz gleich, wie sehr ich auch darunter leide. Leid führt, wenn es nicht die Kräfte übersteigt, zum Verstehen, und Verstehen zu Liebe, und so schließt sich der Kreis. Sie meinen es gut, Luma, aber es ist nicht nötig!“
Der Kommandant verschwand wie üblich mit raschen Schritten durch die Tür.
Die Elektroingenieure und Mechaniker waren in größter Eile — wie es sonst nur während einer Havarie vorstellbar war — damit beschäftigt, in der Steuerzentrale und in der Bibliothek die Videofonbildschirme für Erdsendungen einzurichten. Das Sternenschiff befand sich endlich, nach dreizehn Jahren, in einer Zone, wo es die von der Atmosphäre zerstreuten Radiowellen des Weltnetzes der Erde empfangen konnte.
Die Stimmen, Töne, Formen und Farben des heimatlichen Planeten gaben den Reisenden neuen Mut, verursachten in ihnen aber gleichzeitig Ungeduld und machten die lange Dauer des kosmischen Fluges schier unerträglich.
Das Sternenschiff rief den künstlichen Satelliten 57 über die übliche Welle für kosmische Fernflüge und wartete stündlich auf eine Antwort dieser starken Sendestation, welche als einzige Verbindung zwischen der Erde und dem Kosmos diente.
Schließlich erreichten die Rufsignale des Sternenschiffes die Erde.
Die gesamte Besatzung war wach und blieb an den Empfangsgeräten sitzen. Es war wie eine Rückkehr zum Leben nach dreizehn irdischen oder neun abhängigen Jahren, in denen es keine Verbindung mit der Heimat gegeben hatte! Die Besatzung lauschte heißhungrig den Sendungen der Erde, nahm teil an der Erörterung neuer, wichtiger Fragen über das Weltnetz, die, wie üblich, von jedermann gestellt werden konnten.
So setzte ein durch Zufall aufgefangener Vorschlag des Bodenkundlers Cheb Ur unter den Besatzungsmitgliedern eine sechs Wochen währende Diskussion und komplizierte Berechnungen in Gang.
„Beraten Sie über den Vorschlag von Cheb Ur!“, donnerte die Stimme der Erde. „Jeder, der sich damit schon beschäftigt oder auf diesem Gebiet gearbeitet hat, alle, die ähnliche Gedanken oder Einwände haben, sollen ihre Meinung äußern!“ Die übliche Formel, die zu breiter Diskussion aufforderte, löste Freude unter den Reisenden aus. Cheb Ur hatte im Rat für Sternenschifffahrt den Vorschlag eingebracht, die erreichbaren Planeten der blauen und grünen Sterne systematisch zu erforschen. Seiner Meinung nach handelte es sich dabei um Welten mit gewaltiger energetischer Ausstrahlung, die solche mineralischen Zusammensetzungen, die unter irdischen Bedingungen träge sein mochten, chemisch zum Kampf mit der Entropie stimulieren, das heißt, zum Leben erwecken könnte. Bestimmte Lebensformen aus Mineralien, die schwerer als Gas waren, würden unter den hohen Temperaturen und der blindwütigen Strahlung von Sternen der höchsten Spektralklassen aktiv werden. Cheb Ur war der Überzeugung, dass der Misserfolg der Expedition zum Sirius, wo man keinerlei Spuren von Leben entdeckt hatte, zu erwarten gewesen sei, da es sich bei dem rasch rotierenden Stern um einen Doppelstern ohne starkes Magnetfeld handelte. Niemand bestritt die Ansicht von Cheb Ur, dass Doppelsterne nicht zu den Urhebern kosmischer Planetensysteme gezählt werden konnten, aber der Kern des Vorschlages stieß bei der Besatzung der Tantra auf heftigen Widerspruch.
Die Astronomen der Expedition, mit Erg Noor an der Spitze, verfassten einen Bericht und sendeten in ihrer Eigenschaft als jene Forscher, die als Erste die Wega auf dem von der Parus aufgenommenen Film gesehen hatten.
Die Menschen auf der Erde lauschten mit Begeisterung der Stimme von dem sich nähernden Sternenschiff.
„Die Tantra spricht sich gegen die Entsendung einer von Cheb Ur vorgeschlagenen Expedition aus. Die blauen Sterne strahlen tatsächlich eine so gewaltige Menge von Energie pro Oberflächeneinheit ihrer Planeten aus, dass Leben aus schweren Verbindungen denkbar wäre. Aber jeder lebendige Organismus ist ein Filter und ein Damm von Energie, der dem zweiten Gesetz der Thermodynamik oder Entropie dadurch entgegenwirkt, dass er Strukturen schafft und einfache Mineral- und Gasmoleküle weitgehend kompliziert. Solche komplizierten Strukturen können nur im Verlaufe eines langwierigen historischen Entwicklungsprozesses, also folglich nur bei einer lang anhaltenden Konstanz der physikalischen Bedingungen entstehen. Und eben diese konstanten Bedingungen gibt es auf heißen Sternen nicht, da dort jede komplizierte Verbindung in Ausbrüchen und Wirbeln stärkster Strahlung rasch zerstört wird. Dort gibt es nichts, was lange besteht oder bestehen könnte, ungeachtet dessen, dass die Mineralien dort eine sehr stabile Kristallstruktur mit einem kubischen Atomgitter bilden.
Nach Meinung der Tantra wiederholt Cheb Ur lediglich die einseitigen Überlegungen der alten Astronomen, welche die Dynamik der Planetenbildung nicht kannten. Jeder Planet verliert seine leichten Stoffe, die in den Raum hinausgetragen und zerstreut werden. Besonders hoch ist der Verlust an leichten Elementen bei der starken Erhitzung und dem starken Strahlungsdruck von blauen Sonnen.“
Die Tantra zählte eine Reihe von Beispielen auf und schloss mit der Behauptung, der Prozess der Gewichtszunahme der Planeten der blauen Sterne lasse keine Entstehung von Lebensformen zu.
Der Satellit 57 leitete die Einwände der Wissenschaftler des Sternenschiffs direkt an das Observatorium des Rates weiter.
Schließlich war der Augenblick gekommen, auf den Ingrid, Ditra und Kay Ber sowie alle anderen Expeditionsteilnehmer mit größter Ungeduld gewartet hatten. Die Tantra begann die Unterlichtgeschwindigkeit zu reduzieren, passierte den Eisgürtel des Sonnensystems und näherte sich der Raumstation auf dem Triton. Von jetzt an war keine so hohe Geschwindigkeit mehr notwendig. Theoretisch hätte die Tantra die Erde von diesem Satelliten des Neptuns aus mit einer Geschwindigkeit von neunhundert Millionen Kilometern pro Stunde in weniger als fünf Stunden erreichen können. Aber die Beschleunigung des Sternenschiffs hätte so viel Zeit in Anspruch genommen, dass das Schiff über die Sonne hinausgeschossen wäre und sich von ihr weit entfernt hätte, wäre es vom Triton aus gestartet.
Um das kostbare Anameson nicht zu vergeuden und die Schiffe nicht mit umfangreicher Ladung zu beschweren, flog man innerhalb des Sonnensystems mit ionenbetriebenen Planetenschiffen. Ihre Geschwindigkeit lag bei Flügen zu den inneren Planeten unter achthunderttausend Kilometern und bei Flügen zu den äußersten, am weitesten entfernten Planeten bei zweieinhalb Millionen Kilometern in der Stunde. Der Flug vom Neptun bis zur Erde dauerte für gewöhnlich zweieinhalb bis drei Monate.
Der Triton war ein riesiger Satellit, im Ausmaß nur ein wenig kleiner als der dritte und vierte Satellit des Jupiters — Ganymed und Kallisto — oder der Planet Merkur. Deshalb besaß er eine dünne Atmosphäre, die zum Großteil aus Stickstoff und Kohlenmonoxid bestand.
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