Das laute Surren des Schneidbrenners drang sogar durch die dicken Vollschutzraumanzüge. An der ausgewählten Stelle entstanden viele kleine Risse in der Malachitschicht. Stücke des festen Materials spritzten davon und prallten klirrend gegen den Metallkörper des Roboters. Die Querbewegungen des Schneidbrenners lösten eine große Platte aus der Schicht und legten eine körnige hellblaue Fläche frei, die im Scheinwerferlicht sogar angenehm anzusehen war. Nachdem Kay Ber ein Quadrat markiert hatte, das groß genug war, um einen Menschen mit Raumanzug durchzulassen, ließ er den Roboter mit einem energischen Druck einen tiefen Schnitt in das hellblaue Metall machen. Der Roboter zog eine zweite Linie im rechten Winkel zur ersten und bewegte das scharfe Ende des Schneidbrenners vor und zurück, wobei der Druck ständig erhöht wurde. Der Schnitt im Metall war bereits mehr als einen Meter tief. Als der Hilfsmechaniker die dritte Linie des Quadrats zog, wichen die Schnittlinien auseinander und stülpten sich nach außen.
„Vorsicht! Alle zurück! Hinlegen!“, schrie Erg Noor ins Mikrofon, schaltete den Roboter aus und wich zurück.
Das dicke Metallstück klappte plötzlich wie der Deckel einer Konservendose auf, und aus der Öffnung brach, gefolgt von einer Explosion, eine unglaublich grelle, regenbogenfarbene Stichflamme hervor, die in einer Tangente auf die Spiralwelle zuschoss. Das hellblaue Metall schmolz augenblicklich, legte sich über die eben ausgeschnittene Öffnung und verschloss sie wieder. Von dem kräftigen Roboter war nur ein Klumpen geschmolzenen Metalls übrig geblieben, aus dem die kurzen Metallbeine kläglich herausragten. Erg Noor und Kay Ber waren lediglich dank der Vollschutzraumanzüge unversehrt geblieben. Die Explosion hatte sie und auch noch die übrigen Forscher, die sehr viel weiter entfernt gestanden hatten, weit von dem merkwürdigen Sternenschiff weggeschleudert, die „Kanone“ umgeworfen und die Hochspannungskabel zerrissen.
Als sich die Menschen von dem Schock erholt hatten, begriffen sie, dass sie nun schutzlos waren. Zum Glück befanden sie sich noch im Lichtkegel des einzigen heil gebliebenen Scheinwerfers. Es war niemand verletzt worden, aber Erg Noor entschied, dass es zu gefährlich wäre, ihre Erkundungen weiterzuführen. Die Forscher ließen unnötige Instrumente, Kabel und den Scheinwerfer liegen, stiegen auf den unbeschädigten Karren und zogen sich rasch auf ihr Sternenschiff zurück.
Erg Noor war nur zu bewusst, dass es keineswegs seiner weisen Voraussicht zu verdanken war, dass bei dem riskanten Öffnungsversuch an dem fremden Sternenschiff niemand ernstlich verletzt worden war. Ein zweiter Versuch dieser Art würde möglicherweise längst nicht so glimpflich ausgehen… Und Nisa, die liebe, kleine Astronavigatorin, was war mit ihr? Erg Noor hoffte, dass der Raumanzug die tödliche Kraft des schwarzen Kreuzes abgeschwächt hatte. Schließlich war der Biologe durch die Berührung mit der schwarzen Meduse auch nicht getötet worden. Aber was konnten sie hier, weit entfernt von den mächtigen medizinischen Einrichtungen der Erde, gegen die mächtige unbekannte Waffe, die Nisa verletzt hatte, ausrichten?
In der Luftschleuse trat Kay Ber an den Kommandanten heran und zeigte auf die Rückseite seines linken Schulterstücks. Erg Noor wandte sich den Spiegeln zu, die dort zur obligatorischen Selbstkontrolle nach der Rückkehr von Expeditionen angebracht waren. Die dünne Schicht des aus Zirkonium und Titan bestehenden Schulterstücks war aufgerissen. Aus dem Riss ragte ein Stück himmelblauen Metalls hervor, das sich in das Isolationsfutter gebohrt, die innere Schicht des Raumanzugs jedoch nicht durchstoßen hatte. Mit Mühe gelang es, den Metallsplitter zu entfernen. Um den Preis großer Gefahren und letztlich nur zufällig hatten sie eine Probe des geheimnisvollen Metalls vom Tellerschiff erhalten, die sie nun zur Erde bringen würden.
Endlich hatte Erg Noor sich aus seinem Raumanzug geschält und wankte unter der drückenden Schwerkraft des schrecklichen Planeten mühsam ins Schiffsinnere.
Sämtliche Expeditionsteilnehmer erwarteten ihn mit großer Ungeduld. Die acht Besatzungsmitglieder, die nicht selbst dabei gewesen waren, hatten den Unfall beim Tellerschiff über Stereovideofone beobachtet. Jede Frage über den Ausgang des Versuchs erübrigte sich.
Weda Kong und Dar Weter standen auf der kleinen runden Plattform des Fluggleiters, der langsam über der endlosen Steppe dahinschwebte. Eine leichte Brise ließ das blühende, dicht stehende Gras unter ihnen hin und her wogen. In der Ferne weidete eine Herde schwarz-weißer Rinder, Nachkommen einer Kreuzung aus Yak, Hausrind und Büffel.
Dieser stabile, ebene Teil der Erdkruste mit seinen niedrigen Hügeln, stillen Flüssen und breiten Tälern, der einst Westsibirische Tiefebene genannt worden war, strahlte Weite und Ruhe aus.
Gedankenverloren betrachtete Dar Weter das Land, das vormals von unendlichen trostlosen Sümpfen und spärlichen Wäldern des sibirischen Nordens bedeckt war. Er erinnerte sich an das Bild eines alten Meisters, das sich ihm als Kind unauslöschlich eingeprägt hatte.
Über der Windung eines riesigen Stroms, die eine hohe Landzunge einschloss, stand inmitten weitläufiger Auen und Wiesen einsam eine vor Alter grau gewordene Holzkirche. Das schmale Kreuz auf der Kuppel glänzte schwarz unter niedrigen schweren Wolkenmassen. Auf dem kleinen Friedhof hinter der Kirche wogten die zerzausten Wipfel einiger Weiden und Birken im Winde. Ihre Zweige hingen so weit herab, dass sie beinahe die halb vermoderten, durch Zeit und Stürme umgefallenen Grabkreuze in dem frischen, feuchten Gras streiften. Jenseits des Stroms türmten sich riesige grauviolette Berge spürbar dichter Wolken. Der breite Strom warf einen unbarmherzigen eisigen Glanz auf alles Umliegende. Fern und nah war das Land in das Nass eines penetranten Herbstregens getaucht, wie er typisch war für diese kalten und rauen nördlichen Breiten. Und die gesamte Palette bläulicher, grauer und grüner Farben auf dem Gemälde erzählte von den Weiten unfruchtbaren Landes, wo der Mensch ein karges Leben führte, unter Kälte und Hunger litt und wo seine Einsamkeit, charakteristisch für jene längst vergangenen Zeiten menschlicher Unvernunft, so stark spürbar war.
Wie ein Fenster in eine ferne Vergangenheit war Dar Weter dieses Gemälde im Museum vorgekommen, wo es restauriert und von unsichtbarem Licht beleuchtet in der Tiefe eines durchsichtigen Schutzpanzers aufbewahrt wurde.
Jetzt blickte sich Dar Weter wortlos zu Weda um. Die junge Frau hatte eine Hand auf das Geländer der Plattform gelegt, stand mit geneigtem Kopf gedankenversunken da und beobachtete die sich im Winde biegenden hohen Grashalme. Eine Welle nach der anderen rollte langsam durch das silbern glänzende Federgras, während die runde Plattform des Fluggleiters in aller Ruhe über der Steppe schwebte. Plötzlich peitschten den Reisenden kleine, drückend heiße Wirbelwinde entgegen, ließen Wedas Haar und Kleid flattern und bliesen Dar Weter voller Übermut heiße Luft in die Augen. Aber der automatische Stabilisator schaltete schneller, als sie denken konnten, sodass die fliegende Plattform nur kurz erzitterte.
Dar Weter beugte sich über den Kursschreiber. Der Kartenstreifen, der ihren Flug wiedergab, bewegte sich rasch — am Ende waren sie schon zu weit nach Norden geraten? Längst hatten sie den sechzigsten Breitengrad überquert, die Mündung des Irtysch in den Ob passiert und näherten sich dem Hochland der sibirischen Tafelberge.
Nachdem die beiden Reisenden vier Monate lang bei den Ausgrabungen alter Hügelgräber in den glutheißen Steppen des Vorlandes des Altai-Gebirges gearbeitet hatten, waren sie längst an die Weitläufigkeit der Steppe gewöhnt. Die Altertumsforscher fühlten sich, als wären sie in jene Zeit zurückversetzt worden, da nur vereinzelte Trupps bewaffneter Reiter die südliche Steppe durchquerten.
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