Immer neue Bilder huschten über den gespenstisch leuchtenden Bildschirm: riesige Lagerfeuer, aufgetürmte Felsbrocken in der Ebene, Kämpfe mit wilden Tieren, feierliche Begräbniszeremonien und religiöse Kulthandlungen. Plötzlich füllte die Gestalt eines Mannes mit buntem Fellumhang die gesamte Bildfläche aus. Die eine Hand auf einen Speer gestützt und die andere mit einer weit ausholenden Geste zu den Sternen erhoben, stieg er mit einem Fuß auf den Nacken eines besiegten Ungetüms mit borstiger Mähne und gefletschten langen Stoßzähnen. Im Hintergrund stand eine Reihe von Frauen und Männern, die sich paarweise an den Händen hielten und etwas zu singen schienen.
Das Bild erlosch, und anstelle der lebendigen Erscheinungen trat wiederum die dunkle Oberfläche des polierten Steins. Gleichzeitig traten der Mann und die Frau in den goldenen Gewändern zur Seite, und das zweite Paar nahm ihren Platz ein. Mit einer unfassbar schnellen Bewegung warfen sie ihre Umhänge ab, und auf dem perlmuttfarbenen Hintergrund der Wände spiegelten sich zwei dunkelrote Körper wie loderndes Feuer wider. Der Mann streckte der Frau beide Hände entgegen, sie antwortete ihm mit einem so stolzen und freudestrahlenden Lächeln, dass auch die Erdenbewohner unwillkürlich lächeln mussten. Und dann vollzogen die beiden in dem perlmuttartig glänzenden Saal dieser unglaublich fernen Welt einen langsamen Tanz. Eigentlich war es kein Tanz um des Tanzens willen, sondern ein rhythmisches Posieren, bei dem die Tanzenden offensichtlich die Vollkommenheit und Schönheit der Linien und die plastische Geschmeidigkeit ihrer Körper unter Beweis stellen wollten. In dem rhythmischen Wechsel von Bewegungen glaubte man jedoch eine majestätische und zugleich traurige Musik zu vernehmen, die wie eine Erinnerung an die lange Stufenleiter namenloser und unzähliger Opfer klang, die schließlich zur Entwicklung eines so wunderbaren denkenden Wesens, wie dieser Mensch es war, geführt hatte.
Mwen Maas schien es, als höre er eine Melodie — einen Fächer hoher, reiner Töne auf dem Hintergrund eines widerhallenden gemessenen Rhythmus tiefer Klänge. Weda Kong presste Dar Weters Arm, aber dieser bemerkte es nicht einmal. Junius Antus stand regungslos da und betrachtete die Szene mit angehaltenem Atem. Auf seiner hohen Stirn wurden Schweißtropfen sichtbar.
Diese Wesen des Tukans waren den Menschen der Erde so ähnlich, dass der Eindruck einer anderen Welt allmählich schwand. Die roten Menschen besaßen jedoch Körper von so vollendeter Schönheit, wie sie auf der Erde nur sehr selten vorkamen, wie sie vor allem in der Fantasie und den Werken von Künstlern lebten und sich bislang nur bei einigen wenigen ungewöhnlich schönen Menschen manifestiert hatten.
Je schwieriger und länger der Weg der blinden tierischen Evolution zu einem denkenden Wesen ist, desto zweckmäßiger und perfekter und folglich auch schöner sind die höheren Lebensformen, dachte Dar Weter. Die Erdenmenschen haben längst begriffen, was Schönheit ist — die instinktiv verstandene Zweckmäßigkeit einer Struktur und deren Anpassungsfähigkeit für eine genau definierte Bestimmung. Je vielfältiger die Bestimmung, desto schöner die Form — diese roten Menschen sind wahrscheinlich vielseitiger und gewandter als wir. Vielleicht ist ihre Zivilisation mehr auf die Entwicklung des Menschen selbst, seine geistigen und physischen Fähigkeiten und weniger auf die Technik ausgerichtet gewesen? Unsere Kultur war lange Zeit durch und durch von der Technik bestimmt und kehrte erst mit der Etablierung des Kommunismus auf den Weg der Vervollkommnung des Menschen selbst und nicht nur seiner Maschinen, Häuser, Nahrung und Vergnügungen zurück.
Der Tanz war zu Ende. Die junge rothäutige Frau trat in die Mitte des Saals, und der Sehstrahl des Geräts konzentrierte sich allein auf sie. Ihre ausgestreckten Arme und ihr Gesicht waren zur Decke des Saals gerichtet.
Unwillkürlich folgten die Augen der Erdenbewohner ihrem Blick. Es war entweder überhaupt keine Decke vorhanden, oder aber eine äußerst geschickte optische Täuschung erzeugte einen Sternenhimmel mit sehr großen und hellen Sternen. Die Anordnung der fremden Sternbilder rief keinerlei bekannte Assoziationen hervor. Die junge Frau schwang einen ihrer Arme, und auf dem Zeigefinger ihrer linken Hand erschien ein blauer Ballon. Aus ihm schlug ein silbriger Strahl hervor, der zu einem riesigen Zeigestab wurde. Der runde, leuchtende Fleck an der Spitze des Strahls ruhte bald auf dem einen, bald auf dem anderen Stern auf der Decke. Und zugleich zeigte die smaragdgrüne Täfelung ein bewegungsloses Bild in Großaufnahme. Langsam wanderte der Zeigestab, und ebenso langsam zogen die Bilder unbewohnter oder belebter Planeten vorüber. Bedrückend und trostlos leuchteten steinerne oder sandige Ebenen unter dem Licht roter, hellblauer, violetter oder gelber Sonnen. Manchmal erweckten die Strahlen eines merkwürdigen bleigrauen Gestirns auf seinen Planeten flache Kuppeln oder Spiralen zum Leben, die von Elektrizität erfüllt wie Medusen in einer dichten orangefarbenen Atmosphäre oder einem Ozean schwammen. In der Welt der roten Sonne wuchsen Bäume von unvorstellbarer Größe und glitschiger schwarzer Rinde, Bäume, die Milliarden krummer Äste wie in tiefer Verzweiflung gen Himmel streckten. Andere Planeten waren wiederum über und über mit dunklem Wasser bedeckt. Riesige, entweder von Tieren oder Pflanzen belebte Inseln schwammen überall und ließen ihre unzähligen wolligen Fühler auf dem ruhigen Wasserspiegel wogen.
„Es gibt keine Planeten mit höheren Lebensformen in ihrer Nähe“, sagte Junius Antus plötzlich, der die Karte des unbekannten Sternenhimmels unaufhörlich beobachtete.
„Doch“, entgegnete Dar Weter. „Es handelt sich um ein flaches Sternensystem, eine der neuesten Formationen der Galaxis. Wie wir wissen, wechseln sich die flachen und sphärischen Systeme einander nicht selten ab. Dieses System liegt in Richtung des Eridanus und gehört zum Ring, dort existieren denkende Wesen…“
„WWR 4955+MO 3529… und so weiter“, warf Mwen Maas ein.
„Aber weshalb wissen sie nichts davon?“
„Das System hat sich vor zweihundertfünfundsiebzig Jahren dem Großen Ring angeschlossen, und diese Botschaft wurde vor dieser Zeit gesendet“, antwortete Dar Weter.
Die rothäutige junge Frau der fernen Welt streifte den blauen Ballon von ihrem Finger und wandte sich mit ausgebreiteten Armen den Zuschauern zu, als wolle sie eine vor ihr stehende unsichtbare Person umarmen. Sie warf Kopf und Schultern leicht zurück, wie es auch eine Frau der Erde in einem Ausbruch von Leidenschaft getan hätte. Die Lippen ihres leicht geöffneten Mundes bewegten sich, während sie unhörbare Worte wiederholte. Wie erstarrt stand sie da und sandte ihr heißes Flehen um Freundschaft mit Menschen anderer Welten in die eisige Finsternis des interstellaren Raums hinaus.
Und wiederum zog ihre blendende Schönheit die Beobachter der Erde in ihren Bann. In ihr lag nichts von der gemeißelten Strenge irdischer rothäutiger Menschen. Das rundliche Gesicht mit der kleinen Nase, den weit auseinanderstehenden blauen Augen und dem kleinen Mund erinnerte eher an die nördlichen Völkerschaften der Erde. Ihr dichtes gewelltes schwarzes Haar war nicht steif oder hart. Jede Linie ihres Gesichts und Körpers verriet beschwingte Zuversicht, die von einem unbewussten Gefühl großer Stärke herzurühren schien.
„Ist es wirklich möglich, dass sie nichts vom Großen Ring wissen?“, fragte Weda Kong fast stöhnend, während sie sich vor der wunderschönen Schwester aus dem Kosmos verneigte.
„Inzwischen wissen sie bestimmt von ihm“, entgegnete Dar Weter, „Denn das, was wir sehen, liegt dreihundert Jahre zurück.“
„Achtundachtzig Parsec“, brummte Mwen Maas mit seiner tiefen Stimme. „Achtundachtzig. Alle, die wir gesehen haben, sind längst tot.“
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