Auf ein Zeichen Dar Weters hin nahm Weda Kong ihren Platz auf dem von blauem Glanz überstrahlten runden Metallpodium vor dem Bildschirm ein. Eine wahre Flut indirekten Lichts ergoss sich von oben auf die junge Frau und ließ ihre gebräunte Haut merklich dunkler erscheinen. Die elektronischen Maschinen begannen lautlos zu arbeiten und übersetzten Wedas Vorlesung in die Sprache des Großen Ringes. In dreizehn Jahren würden die Empfangsgeräte auf dem Planeten dieses dunkelroten Sterns die gesendeten Schwingungen in Form von allgemeinverständlichen Symbolen niederschreiben und die elektronischen Maschinen diese Symbole dann in die fremde, lebende Sprache des Planeten übersetzen, falls eine solche dort überhaupt existierte.
Nur schade, dachte Dar Weter, dass jene weit entfernten Wesen die wohlklingende, sanfte Stimme einer Frau der Erde nicht hören und deren Ausdruckskraft nicht verstehen konnten. Wer weiß, wie ihre Ohren beschaffen waren? Vielleicht gab es verschiedene Arten von Gehörsinn. Nur der Gesichtssinn, der sich überall jener elektromagnetischen Schwingungen bedient, die die Atmosphäre durchdringen können, ist fast im gesamten Universum gleich, und die Bewohner des Sterns würden zweifellos die charmante, vor Aufregung fiebernde Weda sehen können. Ohne seinen Blick von Wedas kleinem, von einer Haarsträhne halb verdeckten Ohr abzuwenden, begann Dar Weter der Vorlesung zu lauschen.
Knapp, aber verständlich erzählte Weda Kong von den wichtigsten Meilensteinen in der Menschheitsgeschichte. Über die frühesten Epochen der menschlichen Existenz, über die Uneinigkeit zwischen großen und kleinen Völkern, die sich infolge von wirtschaftlichem und ideologischem Hass jahrhundertelang bekriegten, sprach sie nur ganz kurz. Diese Epochen fasste sie unter dem Sammelbegriff ÄUW — Ära der Uneinigen Welt — zusammen. Doch die Menschen der Ära des Großen Rings interessierten sich nicht für eine Aufzählung von Vernichtungskriegen, schrecklichen Leiden oder angeblich großen Herrschern, wie sie die verschiedenen Geschichtsbücher des Altertums, des Mittelalters oder des Zeitalters des Kapitalismus überlieferten. Weit wichtiger war ihnen die widersprüchliche Entwicklungsgeschichte der Produktivkräfte im Zusammenhang mit der Entstehung von Ideen, Künsten, Wissenschaften und dem geistigen Streben nach dem Ideal des heutigen Menschen, der heutigen Menschheit. Weda sprach von dem allmählich erwachenden Bedürfnis, neue Vorstellungen von der Welt und den sozialen Beziehungen, von den Rechten und Pflichten und dem Glück des Menschen zu entwickeln, aus denen schließlich der mächtige Baum der kommunistischen Gesellschaft auf dem gesamten Planeten erwachsen und erblüht war.
In der letzten Epoche der ÄUW, im sogenannten Zeitalter der Spaltung, begriffen die Menschen endlich, dass ihr ganzes Elend von einem Gesellschaftssystem herrührte, das sich im Zeitalter der Barbarei spontan herausgebildet hatte, und dass ihre ganze Stärke, ja, die Zukunft der gesamten Menschheit in der Arbeit, den gemeinsamen Anstrengungen von Millionen von freien Menschen, in der Wissenschaft und in der Umgestaltung des Lebens auf wissenschaftlicher Basis lagen. Sie erkannten die Grundgesetze der gesellschaftlichen Entwicklung, den dialektisch widersprüchlichen Verlauf der Geschichte, die Notwendigkeit der Erziehung zu strenger gesellschaftlicher Disziplin, die umso wichtiger wurde, je stärker die Bevölkerung des Planeten zunahm.
Im Zeitalter der Spaltung spitzte sich der Kampf zwischen den alten und neuen Ideen zu und führte schließlich zur Spaltung der Welt in zwei Lager — die alten kapitalistischen und die neuen sozialistischen Staaten mit unterschiedlichen Wirtschaftssystemen. Die Entdeckung der ersten Formen von Atomenergie und die Sturheit der Verfechter der alten Ordnung hätten die gesamte Menschheit damals beinahe in eine schreckliche Katastrophe gestürzt.
Die neue Gesellschaftsordnung musste unweigerlich siegen, obwohl dieser Sieg durch das rückständige soziale Bewusstsein bei einem Teil der Erdbevölkerung hinausgezögert wurde. Die Umgestaltung der Welt auf kommunistischer Grundlage war undenkbar ohne eine tiefgreifende Veränderung des Wirtschaftssystems, ohne die Beseitigung der Armut, des Hungers und jeder Art von schwerer, kräftezehrender Arbeit. Die Veränderung des Wirtschaftssystems erforderte jedoch eine sehr komplizierte Steuerung der Produktion und der Verteilung und konnte nur dadurch erreicht werden, dass jedem einzelnen Menschen ein soziales Bewusstsein anerzogen wurde.
Die kommunistische Gesellschaft konnte nicht bei allen Völkern und in allen Ländern sofort Fuß fassen. Es waren gigantische Anstrengungen für die Ausrottung des Hasses und besonders der Lüge notwendig, die sich durch die feindselige Propaganda während des ideologischen Kampfes im Zeitalter der Spaltung ausgebreitet hatte. Und es passierten nicht wenige Fehler auf dem Weg der Entwicklung neuer zwischenmenschlicher Beziehungen. Da und dort wurden Aufstände angezettelt von rückständigen Verfechtern des Alten, die in ihrer Ignoranz versuchten, in der Wiederherstellung des Vergangenen einen leichten Ausweg aus den Schwierigkeiten zu finden, mit denen die Menschheit konfrontiert war.
Die neue Lebensordnung breitete sich jedoch unausweichlich und stetig über die ganze Erde aus, und die verschiedensten Völker und Rassen wurden zu einer geeinten, in Eintracht lebenden, weisen Familie.
Das war der Beginn der ÄVW — der Ära der Vereinigten Welt —, welche aus vier Zeitaltern bestand — dem Zeitalter des Staatenbündnisses, der Verschiedenen Sprachen, des Kampfes um Energie und dem Zeitalter der Einheitssprache.
Die gesellschaftliche Entwicklung vollzog sich immer schneller, und jede neue Epoche verging rascher als die vorhergehende. Die Macht des Menschen über die Natur wuchs mit Riesenschritten.
In den alten utopischen Träumen über eine glückliche Zukunft war die Befreiung des Menschen von der Arbeit immer von größter Bedeutung. Die Utopisten prophezeiten, dass sich die Menschheit durch kurze Arbeit — zwei, drei Stunden täglich zum allgemeinen Wohl — mit allem Lebensnotwendigen versorgen und die übrige Zeit dem süßen Nichtstun hingeben könnte. Diese Vision entsprang der tiefen Abneigung gegen die schwere und erzwungene Arbeit früherer Zeiten.
Bald erkannten die Menschen, dass Arbeit Glück bedeutete, ebenso wie das unaufhörliche Ringen mit der Natur, das Überwinden von Schwierigkeiten, die Lösung immer neuer Aufgaben bei der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Wirtschaft. Was der Mensch brauchte, war Arbeit unter Einsatz aller seiner Kräfte, allerdings eben auch schöpferische Arbeit, die seinen angeborenen Fähigkeiten und Neigungen entsprach und abwechslungsreich war und die von Zeit zu Zeit gewechselt werden konnte. Die Entwicklung der Kybernetik, der Technik der automatischen Steuerung sowie die umfassende Bildung und Entwicklung intellektueller Fähigkeiten, gekoppelt mit einer ausgezeichneten Körpererziehung, ermöglichten es jedem Menschen, den Beruf zu wechseln, rasch einen anderen zu erlernen und sich abwechslungsreiche Aufgaben zu suchen, sodass er immer größere Befriedigung bei der Arbeit fand. Die ständig fortschreitende Wissenschaft erfasste allmählich das gesamte menschliche Leben, und eine gewaltige Anzahl von Menschen kam bei der Entdeckung neuer Naturgeheimnisse in den Genuss schöpferischer Freude. Die Kunst nahm einen großen Platz bei der gesellschaftlichen Erziehung und der Gestaltung des Lebens ein. Und endlich brach die herrlichste Ära in der gesamten Menschheitsgeschichte an, die ÄGA — Ära der Gemeinsamen Arbeit — mit ihren Zeitaltern der Vereinfachung der Dinge, der Umgestaltung, des Ersten Überflusses und des Kosmos.
Die Erfindung der Elektrizitätsverdichtung, die zur Schaffung von Akkumulatoren mit riesiger Kapazität führte und kompakte und dabei äußerst leistungsfähige Elektromotoren hervorbrachte, war die größte technische Revolution der Neuzeit. Schon früher hatte der Mensch gelernt, hochkomplexe Schwachstromnetze mithilfe von Halbleitern zu bauen und so automatische kybernetische Maschinen zu erschaffen. Die Technik wurde zu einer hohen, feinen Kunst, wie die des Juweliers, und verlieh der Menschheit Mächte von kosmischem Ausmaß. Die Forderung, sämtliche Bedürfnisse eines jeden zu befriedigen, machte jedoch eine wesentliche Vereinfachung der Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs notwendig. Der Mensch hörte auf, Sklave seines Besitztums zu sein, und die Ausarbeitung detaillierter Normen ermöglichte es, alle beliebigen Gegenstände und Maschinen aus relativ wenigen Grundelementen herzustellen, genauso wie die große Vielfalt lebender Organismen aus einer kleinen Zahl von Zellen aufgebaut ist: die Zelle aus Eiweißen, die Eiweiße aus Proteinen und so weiter. Allein schon die Aufhebung der Vergeudung unwahrscheinlicher Mengen von Lebensmitteln, wie sie in früheren Jahrhunderten üblich gewesen war, ermöglichte es, Milliarden von Menschen zu ernähren.
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