Der Leiter der Außenstationen führte mithilfe eines Steckers den Vektor der Freundschaft in die Anschlussbuchse — das war jene direkte Verbindung zwischen zwei in tiefer Freundschaft verbundenen Menschen, durch die sie einander jederzeit erreichen konnten. Der Vektor der Freundschaft stellte gleichzeitig die Verbindung mit mehreren ständigen Aufenthaltsorten eines Menschen her — mit der Wohnung, der Arbeitsstelle, dem Lieblingserholungsort.
Der Bildschirm leuchtete auf, und in der Tiefe tauchten die vertrauten Umrisse hoher Tafeln mit reihenweise kodifizierten Titeln von elektronischen Filmen auf. Diese Form der Speicherung ersetzte die veralteten Fotokopien von Büchern. Nachdem die Menschheit zu einem Einheitsalphabet übergegangen war, dem linearen, wie es aufgrund des Fehlens komplizierter Zeichen genannt wurde, war das Filmen alter Bücher noch einfacher geworden und inzwischen auch automatisch möglich. Blaue, grüne, rote Streifen dienten zur Kodierung der Titel in den zentralen Filmotheken, wo wissenschaftliche Forschungsarbeiten aufbewahrt wurden, die bereits seit Langem nur noch im Umfang von zehn Exemplaren erschienen. Man brauchte nur eine bestimmte Zeichenabfolge zu wählen, und die Filmothek gab automatisch den gesamten Text eines Buchfilmes wieder. Mit einem leichten Knacken erlosch das Bild von Wedas Privatbibliothek, und kurz darauf leuchtete ein anderes, ebenfalls leeres Zimmer auf. Beim nächsten Knacken stellte das Gerät eine Verbindung mit einem Saal mit schwach beleuchteten Pulten her. Die Frau am vordersten Pult hob den Kopf, und Dar Weter erkannte das liebliche schmale Gesicht mit den großen graublauen Augen. Als sich der breite, scharf gezeichnete Mund mit schneeweißen Zähnen zu einem Lächeln verzog, wurden die Wangen zu beiden Seiten der angedeuteten Stupsnase mit einer kindlichen Rundung an der Spitze wie zu kleinen Hügelchen emporgezogen, was das Gesicht noch weicher und freundlicher erscheinen ließ.
„Weda, es bleiben nur noch zwei Stunden. Sie müssen sich umziehen, und ich möchte gerne, dass Sie etwas früher ins Observatorium kommen.“
Die Frau auf dem Bildschirm hob die Hände an das dichte aschblonde Haar.
„Ich gehorche, mein Lieber“, sagte sie mit leichtem Lächeln. „Ich gehe sofort nach Hause.“
Dar Weter ließ sich durch den heiteren Ton in ihrer Stimme nicht täuschen.
„Meine tapfere Weda, beruhigen Sie sich. Für jeden, der über den Großen Ring spricht, hat es ein erstes Mal gegeben.“
„Sie können sich Ihre aufmunternden Worte sparen“, sagte Weda Kong und warf starrsinnig den Kopf zurück. „Ich bin gleich da.“
Der Bildschirm erlosch. Dar Weter schloss die Klappen der Holzvertäfelung und drehte sich um, um seinen Nachfolger zu begrüßen. Mwen Maas trat mit weit ausholenden Schritten ein. Seine Gesichtszüge und die dunkelbraune Farbe seiner glatten, glänzenden Haut deuteten darauf hin, dass er von afrikanischen Vorfahren abstammte. Ein weißer Umhang fiel in schweren Falten von seinen breiten Schultern. Mwen Maas nahm beide Hände Dar Weters in die seinen, die kräftig und schlank waren. Beide Leiter der Außenstationen — der bisherige, wie auch der künftige — waren von hohem Wuchs. Weter, dessen Stammbaum russisch war, schien jedoch größer und massiger als der schlanke Afrikaner.
„Ich habe das Gefühl, als müsse heute etwas Wichtiges geschehen“, begann Mwen Maas mit jener vertrauensvollen Offenheit, die charakteristisch für die Menschen der Ära des Großen Ringes war. Dar Weter hob die Schultern.
„Für uns alle drei wird etwas Wichtiges geschehen. Ich gebe meine Arbeit ab, Sie übernehmen sie, und Weda Kong wird zum ersten Mal mit dem Universum sprechen.“
„Sie ist sehr hübsch?“, erwiderte Mwen Maas halb fragend, halb bestätigend.
„Sie werden ja sehen. Im Übrigen ist die heutige Sendung nichts Besonderes. Weda wird für den Planeten KRZ 664456 +BSCH 3252 eine Vorlesung über unsere Geschichte halten.“ Mwen Maas stellte im Geiste verblüffend schnell eine Rechnung an.
„Das Sternbild des Einhorns, der Stern Ross 614 — ein seit undenklichen Zeiten bekanntes Planetensystem, das sich aber bisher durch nichts hervorgetan hat.“ Er hielt kurz inne. „Ich liebe altertümliche Bezeichnungen und Ausdrücke“, fügte er mit kaum merklichem Ton der Entschuldigung hinzu.
Der Rat versteht es, Leute auszuwählen, dachte Dar Weter bei sich. „Dann werden Sie sich mit Junius Antus, dem Leiter der elektronischen Gedächtnismaschinen, gut verstehen“, fügte er laut hinzu. „Er nennt sich selbst Leiter der Gedächtnislampen. Nicht abgeleitet von den Lampen, die man als kümmerliche Beleuchtungskörper des Altertums kennt, sondern von unseren ersten unhandlichen elektronischen Geräten, die sich luftabgeschlossen unter Glashauben befanden und nur im Aussehen an die elektrischen Lampen von einst erinnerten.“
Während Mwen Maas aufrichtig und herzhaft lachte, spürte Dar Weter, wie seine Sympathie gegenüber diesem Menschen von Minute zu Minute wuchs.
„Gedächtnislampen! Unsere Gedächtnisnetze sind kilometerlange Korridore, zusammengesetzt aus Milliarden von Zellelementen!“ Er besann er sich plötzlich. „Ich lasse hier meinen Gefühlen freien Lauf und vergesse, Sie das Wesentliche zu fragen. Wann hat sich Ross 614 zum ersten Mal gemeldet?“
„Vor zweiundfünfzig Jahren. Seit dieser Zeit haben seine Bewohner die Sprache des Großen Ringes erlernt. Bis zu ihnen sind es lediglich vier Parsec. Wedas Vorlesung werden sie in dreizehn Jahren empfangen.“
„Und dann?“
„Nach der Vorlesung schalten wir auf Empfang und erhalten von unseren Freunden Neuigkeiten über den Ring.“
„Über Schwan 61?“
„Natürlich. Manchmal auch über Schlangenträger 107, um in Ihrer altertümlichen Terminologie zu sprechen.“
Ein Mann in dem gleichen silbrig glänzenden Anzug des Rates für Sternschifffahrt, wie ihn auch Dar Weters Assistent trug, betrat das Zimmer. Er war klein, lebhaft und hatte eine Hakennase. Der durchdringende, wache Blick seiner kohlrabenschwarzen Augen wirkte einnehmend. Der Eintretende strich sich mit der Hand über seinen rundlichen kahlen Kopf.
„Ich bin Junius Antus“, sagte er, offensichtlich zu Mwen Maas gewandt, mit hoher schriller Stimme.
Der Afrikaner grüßte ihn respektvoll. Die Leiter der Gedächtnismaschinen überragten jedermann an Gelehrtheit. Sie entschieden, was von den empfangenen Botschaften in den Gedächtnismaschinen verewigt und was über das allgemeine Informationsnetz oder an die Paläste für Schöpferische Arbeit weitergeleitet werden sollte.
„Also wieder mal ein neuer Brevus“, brummte Junius Antus, während er dem Neuankömmling die Hand schüttelte.
„Was ist das?“, fragte Mwen Maas.
„Ein von mir erfundener lateinischer Beiname. So nenne ich alle kurzlebigen Mitarbeiter der Außenstationen, die Piloten der interstellaren Flotte, die Techniker in den Fabriken für Sternenschifftriebwerke. Und uns beide. Wir erreichen auch nur die Hälfte der normalen Lebensdauer. Was soll’s? Dafür ist die Arbeit interessant! Wo ist Weda?“
„Sie wollte etwas früher da sein…“, begann Dar Weter. Seine Worte gingen jedoch in den alarmierenden musikalischen Akkorden unter, die einem hellen Klicken auf dem Zifferblatt der galaktischen Uhr folgten.
„Die Warnung an die gesamte Erde“, erklärte Dar Weter. „Wie Sie wissen, ergeht diese an alle Kraftwerke, Fabriken, das Transportnetz und die Rundfunkstationen. In einer halben Stunde müssen alle Einrichtungen und Produktionsstätten ihren Energieverbrauch einstellen und davon so viel in großen Kondensatoren speichern, bis genügend vorhanden ist, um die Atmosphäre mit einem Leitstrahlkanal zu durchdringen. Für die Sendung werden dreiundvierzig Prozent der Erdenergie verbraucht. Für den Empfang, also zur Aufrechterhaltung des Kanals, dagegen nur acht Prozent“,
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