»Dua«, sagte er unterwürfig, »kommst du nicht nach Hause?«
»Ich habe kein Zuhause, Odeen«, erwiderte sie. Nicht ärgerlich, nicht voller Haß — was um so bedrückender war.
»Wie kannst du Tritt übelnehmen, daß er so gehandelt hat, Dua? Du weißt, der arme Bursche kann nicht logisch denken.«
»Aber du, Odeen. Und du hast mich abgelenkt, während er dafür sorgte, daß sich mein Körper richtig aufladen konnte, nichtwahr? Dein Verstand sagte dir, daß du mich viel leichter in die Falle locken konntest als er.«
»Dua, nein!«
»Nein, was? Hast du denn nicht ein großes Schauspiel abgezogen, das meiner Unterweisung, meiner Bildung dienen sollte?«
»Ja, aber das war kein Schauspiel, ich meinte es ehrlich. Und es hatte nichts mit Tritt zu tun. Ich wußte ja gar nicht, was er getan hatte!«
»Das kann ich nicht glauben.« Ruhig schwebte sie davon. Er folgte ihr. Sie waren nun allein; die Sonne strahlte rot.
Sie wandte sich um. »Darf ich dir eine Frage steilen, Odeen? Warum hast du mich unterweisen wollen?«
»Weil ich es wollte, Dua. Weil mir das Lehren Spaß macht und weil ich nichts lieber tun möchte als lehren — außer vielleicht lernen.«
»Und Verschmelzen natürlich… schon gut«, fügte sie hinzu, um seinem Einwand zuvorzukommen. »Du brauchst mir nicht zu erklären, daß wir von der Vernunft und nicht von den Instinkten sprechen. Wenn du wirklich Spaß am Lehren hast, wenn ich dir wirklich glauben kann — dann verstehst du vielleicht auch etwas von dem, was ich dir jetzt sagen möchte.
Seit ich euch verließ, Odeen, habe ich eine Menge gelernt. Frag mich nicht, wie. Ich habe gelernt. Von einem Gefühlsling habe ich nicht mehr viel — außer vielleicht in physischer Hinsicht. Hier drinnen, wo es zählt, bin ich ganz Denkling, wenn ich auch etwas mehr Gefühl zu haben hoffe als die Denklinge. Und zu den Erkenntnissen, die ich gewonnen habe, gehört auch das Wissen um unsere Existenz, darum, was wir wirklich sind, Odeen; du und ich und Tritt und all die anderen Triaden auf diesem Planeten; was wir wirklich sind und immer gewesen sind.«
»Und das wäre?« fragte Odeen. Er wollte ihr gern zuhören, so lange, wie es nötig war, und ganz ruhig, wenn sie nur hinterher mit ihm ging. Er wollte jede Buße auf sich nehmen, alles, was sie verlangte. Sie mußte nur mitkommen — und tief in seinem Inneren sagte eine leise Stimme, daß sie freiwillig zurückkehren mußte.
»Was wir sind? Nun, eigentlich nichts, Odeen«, antwortete sie leichthin, fast lachend. »Ist das nicht seltsam? Die Hartlinge bilden die einzige lebendige Spezies auf dieser Welt. Haben sie dich das nicht gelehrt? Es gibt nur diese eine Spezies, weil du und ich, die Weichwesen, nicht wirklich leben. Wir sind Maschinen, Odeen. Das muß so sein, weil nur die Hartlinge leben. Haben sie dir das nicht beigebracht, Odeen?«
»Aber das ist doch Unsinn, Dua!« sagte Odeen verblüfft.
Duas Stimme wurde schärfer. »Maschinen, Odeen! Gemacht von den Hartlingen! Zerstört von den Hartlingen. Sie leben, die Hartlinge. Nur sie. Sie sprechen nicht oft darüber. Das brauchen sie auch nicht. Sie wissen es alle. Aber ich habe denken gelernt, Odeen, und ich habe aus den minimalen Hinweisen meine Schlüsse gezogen. Sie haben ein sehr langes Leben, doch irgendwann sterben auch sie. Sie haben keine neuen Nachkommen; dazu liefert die Sonne zu wenig Energie. Und da nur dann und wann einer stirbt und keine Nachkommen da sind, nimmt ihre Zahl sehr langsam ab. Und es gibt keine jungen Leute, die frisches Blut und neue Gedanken bringen und so beginnen sich die langlebigen alten Hartlinge schrecklich zu langweilen. Und was meinst du wohl, Odeen, tun sie dann?«
»Was denn?« Das Gespräch war von seltsamer Faszination. Von abstoßender Faszination.
»Sie stellen sich künstliche Kinder her, die die ausbilden können. Du hast es selbst gesagt, Odeen. Nichts würdest du lieber tun als lehren — außer vielleicht lernen — und natürlich verschmelzen. Die Denklinge sind dem geistigen Bild der Hartlinge nachgebildet, die sich nicht verschmelzen. Außerdem fällt ihnen das Lernen überaus schwer, da sie schon soviel wissen. Was bleibt ihnen also anderes als das Vergnügen am Lehren? Die Denklinge wurden einzig und allein geschaffen, damit sie unterwiesen werden können. Gefühlslinge und Elterlinge entstanden, weil sie für die sich selbst fortpflanzende Maschine, die neue Denklinge hervorbringt, unerläßlich sind. Und neue Denklinge werden ständig benötigt, weil die alten schnell verbraucht sind, weil sie schnell alles wissen, was es da zu lernen gibt. Und wenn die alten Denklinge alles absorbiert haben, werden sie vernichtet. Vorher bekommen sie aber eingetrichtert, diese Vernichtung »Weiterziehen« zu nennen, damit ihre Gefühle auch geschont werden. Und natürlich ziehen Gefühlslinge und Elterlinge gleichzeitig weiter. Sobald sie dazu beigetragen haben, eine neue Triade zu bilden, hat man keine weitere Verwendung für sie.«
»Aber das stimmt doch alles nicht, Dua«, brachte Odeen endlich heraus. Er hatte keine Argumente gegen ihren Alptraum parat, doch er wußte mit absoluter Sicherheit, daß sie sich irrte. (Oder wollte ein winziger Zweifel tief drinnen etwa anzeigen, daß diese Gewißheit ihm von Anfang an eingepflanzt war? — Nein, gewiß nicht, denn würde dann nicht auch Dua mit der gleichen eingepflanzten Gewißheit ihren Irrtum erkennen? Oder war sie ein mißratener Gefühlsling ohne solche Einpflanzung und ohne… Ach, was phantasierte er da herum! Er war ja schon so verrückt wie sie.)
»Du siehst ganz entsetzt aus, Odeen«, fuhr Dua fort. »Bist du ganz sicher, daß ich mich irre? Natürlich haben sie jetzt die Positronenpumpe und damit auch alle Energie, die sie brauchen — oder sie werden diese Energie bald haben. Bald werden sie auch wieder Babies bekommen. Und dann brauchen sie keine Weichwesen-Maschinen mehr, und wir werden alle vernichtet — oh, Verzeihung, wir werden alle weiterziehen.«
»Nein, Dua«, erwiderte Odeen zu sich selbst ebenso wie zu ihr. »Ich weiß nicht, wo du diese Ideen her hast, aber die Hartlinge sind nicht so. Wir werden nicht vernichtet.«
»Mach dir nichts vor, Odeen. Sie sind so. Es ist ihnen gleichgültig, eine ganze Welt mit Ander-Wesen um ihres Vorteils willen zu vernichten, wenn es sein muß, auch ein ganzes Universum. Sollte es ihnen da etwas ausmachen, ein paar Weichwesen zu töten, wenn es ihnen gefällt? — Aber sie haben einen Fehler gemacht. Irgendwo hat sich die Maschine geirrt, und der Geist eines Denklings ist in den Körper eines Gefühlslings geraten. Ich bin ein LinksG, weißt du das? Ich wurde schon so genannt, als ich noch ein Kind war — und das war richtig. Ich kann logisch denken wie ein Denkling, und ich empfinde wie ein Gefühlsling. Und mit dieser Kombination werde ich die Hartlinge bekämpfen.«
Odeen schreckte auf Dua mußte verrückt sein — doch er wagte nichts zu erwidern. Er mußte sie irgendwie überreden, zur Triade zurückzukommen. Mühsam sagte er: »Dua, wir werden nicht vernichtet, wenn wir weiterziehen.«
»O nein? Was geschieht statt dessen?«
»Ich — ich weiß es nicht. Ich glaube, wir kommen in eine andere Welt, in eine bessere und glücklichere Welt, und werden wie… wie… na ja, viel besser als wir jetzt sind.«
Dua lachte: »Wo hast du denn das her? Haben dir das die Hartlinge erzählt?«
»Nein, Dua. Ich selbst meine, daß es so ist. Ganz bestimmt. Seit deinem Verschwinden habe ich sehr viel darüber nachgedacht.«
»Dann denk jetzt weniger und sei kein Narr. Armer Odeen! Leb wohl.« Wieder schwebte sie davon, ein zarter Nebelschleier.
»Aber warte doch, Dua«, rief Odeen. »Du willst doch bestimmt deinen neuen Baby-Mitt sehen?«
Sie schwieg.
»Wann kommst du nach Hause?«
Sie schwieg.
Und er folgte ihr nicht weiter, sondern schaute ihr elend nach, bis sie verschwunden war.
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