Mehr konnte sie nicht tun. Sie war völlig ausgepumpt; nur einbeißender Schmerz erfüllte sie. Sie legte die Botschaft an die Stelle, wo sie ausgeschickt werden mußte, und wartete auch nicht darauf, daß die Hartlinge sie unabsichtlich mit übermittelten. Durch einen schmerzhaften Nebel bediente sie die Kontrollen, wie sie es so oft beobachtet hatte; irgendwie brachte sie die Energie dazu auf.
Die Botschaft verschwand — ebenso wie die Höhle, die in einem purpurnen Hauch unterging. Sie — zog — weiter — aus — reiner Erschöpfung.
Odeen — Tri —
Odeen kam. Er schwebte schneller als je zuvor in seinem Leben. Zunächst hatte er sich durch Tritts klare Neu-BabyEmpfindung leiten lassen, doch nun war er so nahe, daß auch seine stumpferen Sinne ihre Nähe ausmachten. Schon ganz allein nahm er das zuckende, nachlassende Bewußtsein Duas wahr, und er raste dahin, während Tritt nach besten Kräften neben ihm herstapfte und rief: »Schneller, schneller!«
Odeen fand sie zusammengebrochen, kaum noch lebendig, winziger, als er jemals einen erwachsenen Gefühlsling gesehen hatte.
»Tritt«, sagte er, »bring mir die Batterie. Nein, nein, versuch sie nicht zu tragen. Dazu ist sie zu dünn. Beeil dich. Wenn sie in den Boden sinkt…«
Die Hartlinge begannen sich zu versammeln. Sie waren natürlich zu spät dran, unfähig, andere Lebensformen auf Distanz zu fühlen. Wenn es von ihnen abgehangen hätte, wäre Dua nicht mehr zu retten. Sie wäre nicht weitergezogen; sie wäre wirklich vernichtet worden und — und zugleich manches andere, von dem sie keine Ahnung hatte.
Die Hartlinge rückten stumm heran, während sie langsam aus der Batterie neue Energie schöpfte.
Odeen stand auf; ein neuer Odeen, der endlich wußte, was geschah. Mit herrischer Geste scheuchte er die Hartlinge zurück — und sie gingen. Stumm. Ohne Einwände.
Dua regte sich.
»Geht es ihr gut, Odeen?« fragte Tritt.
»Sei ruhig, Tritt«, antwortete Odeen. »Dua?«
»Odeen?« Sie begann sich zu rühren und flüsterte: »Ich dachte, ich wäre weitergezogen.«
»Noch nicht, Dua. Noch nicht. Zuerst mußt du essen und dich ausruhen.«
»Ist Tritt auch da?«
»Hier bin ich, Dua«, rief Tritt.
»Bringt mich nicht zurück«, sagte Dua. »Es ist aus. Ich habe erreicht, was ich wollte. Die Positronenpumpe wird — wird bald bald gestoppt, ich bin sicher. Die Hartlinge sind dann weiter auf die Weichwesen angewiesen und werden sich um euch beide kümmern — oder wenigstens um die Kinder.«
Odeen schwieg. Er gab Tritt ein Zeichen, sich ebenfalls zurückzuhalten. Langsam flößte er Dua die Strahlen ein, sehr langsam. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, damit sie sich ein wenig ausruhte, dann ging es weiter.
Sie begann zu murmeln: »Genug, genug.« Ihre Substanz regte sich schon wieder kräftiger. Doch er fütterte sie weiter.
»Dua, du hast dich geirrt«, sagte er schließlich. »Wir sind keine Maschinen. Ich weiß jetzt, was wir sind. Ich wäre längst zu dir gekommen, wenn ich nur Bescheid gewußt hätte — aber dazu kam es erst, als Losten mich zum Nachdenken aufforderte. Und ich habe nachgedacht, intensiv sogar — trotzdem kommt die Erkenntnis fast noch zu früh.«
Dua stöhnte, und Odeen unterbrach die Energie für eine Weile.
»Hör mir zu, Dua«, sagte er. »Es gibt tatsächlich nur eine einzige Spezies. Die Hartlinge sind die einzigen Lebewesen auf dieser Welt. Das hattest du längst herausgefunden, und insoweit hattest du ganz recht. Aber das heißt nun nicht, daß die Weichwesen nicht leben, es heißt nur, daß wir ein Teil derselben Spezies sind. Die Weichwesen sind die unausgereifte Frühform der Hartlinge. Zunächst sind wir Weichwesen-Kinder, dann Weichwesen-Erwachsene und schließlich Hartlinge. Verstehst du mich?«
Tritt fragte verwirrt: »Was? Was?«
»Jetzt nicht, Tritt«, antwortete Odeen. »Auch du wirst es noch begreifen, aber zuerst ist Dua an der Reihe.« Er hielt den Blick auf Dua gerichtet, die langsam an Schimmer gewann. Er fuhr fort: »Schau mal, Dua, jedesmal, wenn wir verschmelzen, wenn die Triade vereint ist, sind wir ein Hartling. Der Hartling vereint drei Wesen auf sich und ist deshalb auch so hart. Während der Zeit der Bewußtlosigkeit im verschmolzenen Zustand sind wir ein Hartling. Aber das ist nur eine vorübergehende Erscheinung, und wir können uns hinterher nicht mehr daran erinnern. Wir können niemals lange Hartling bleiben; wir müssen uns zum Schluß zurückverwandeln. Aber unser ganzes Leben hindurch setzt sich die Entwicklung fort, und bestimmte Schlüsselmomente zeigen den Fortschritt an. Jedes neue Baby kennzeichnet ein solches Stadium. Mit der Geburt des dritten Kindes, des Gefühlslings, rückt die Möglichkeit der letzten Stufe in greifbare Nähe: die Stufe, auf der sich der Denkling — ganz allein, ohne die anderen beiden — an die kurzen Momente bisheriger Hartling-Existenz erinnert. Dann, und nur dann kann er ein vollkommenes Verschmelzen einleiten, aus dem der beständige Hartling hervorgeht, ein Hartling, in dem die Triade ein neues gemeinsames Leben des Intellekts und des Lernens finden kann. Ich habe dir einmal gesagt, daß das Weiterziehen wie eine Neugeburt sei. Damals versuchte ich etwas zu formulieren, das ich noch nicht ganz begriff, doch jetzt weiß ich es.«
Dua schaute zu ihm auf, versuchte zu lächeln. Sie fragte: »Wie kannst du nur so tun, das alles zu glauben, Odeen? Wenn es so wäre, hätten es uns die Hartlinge nicht längst gesagt — uns allen?«
»Das durften sie nicht, Dua. Es gab einmal eine Zeit — es ist schon lange her, da war das Verschmelzen nur ein Zusammenfügen von Körperatomen. Doch die Evolution sorgt für die Fortentwicklung des Geistes. Hör mir gut zu, Dua; das Verschmelzen ist auch ein Zusammenfügen des Geistes, und das ist schon viel schwerer, viel heikler. Um einen Geist gut und beständig zusammensetzen zu können, muß der Denkling eine gewisse Entwicklungsstufe erreichen. Diese Stufe ist erlangt, wenn er — und zwar allein — die Tatsachen des Lebens erkennt; wenn sich sein Geist schließlich so weit schärft, daß er sich daran erinnert, was während all jener kurzen Vereinigungen im Verschmelzen geschehen ist. Wenn der Denkling all dies von dritter Seite erführe, könnte es geschehen, daß seine Entwicklung gestört und der Augenblick des vollkommenen Verschmelzens niemals bestimmt würde. Der Hartling bliebe unvollkommen. Als Losten mich zum Nachdenken anregte, ging er ein großes Risiko ein. Auch so mag es… Ich will nicht hoffen…
Denn in unserem Fall kommt es ganz besonders darauf an, Dua. Viele Generationen hindurch haben die Hartlinge die Zusammenstellung der Triaden sorgsam überwacht, um besonders fortgeschrittene Hartlinge zu erlangen, und unsere Triade war bisher die beste überhaupt. Besonders du, Dua. Besonders du. Losten war einmal die Triade, deren Baby-Mitt du warst. Ein Teil von ihm war dein Elterling. Er kannte dich. Er hat dich zu Tritt und mir gebracht.«
Dua richtete sich auf. Ihre Stimme war fast wieder normal: »Odeen! Denkst du dir das etwa alles aus, um mich zu beruhigen?«
Tritt schaltete sich ein. »Nein, Dua, ich fühle es auch. Ich fühle es auch. Ich weiß nicht genau was, aber ich fühle es.«
»Und das stimmt, Dua«, bekräftigte Odeen. »Dir wird es nicht anders ergehen. Kommt dir nicht langsam die Erinnerung, daß du ein Hartling warst während unseres Verschmelzens? Möchtest du jetzt nicht verschmelzen? Ein letztes Mal? Ein letztes Mal?«
Er hob sie an. Eine seltsame Fiebrigkeit hatte sie ergriffen, und obwohl sie sich noch wehrte, verdünnte sie sich bereits.
»Wenn du recht hast, Odeen«, keuchte sie, »wenn wir wirklich ein Hartling werden, dann sicher ein wichtiger. Ist das richtig?«
»Der allerwichtigste sogar. Der beste, der jemals gebildet wurde. Ich meine es ernst…Tritt, komm her. Es ist ja kein Abschied, Tritt. Wir werden zusammen sein, wie wir es uns immer ersehnten. Dua auch. Du auch, Dua.«
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