Unser Arnold Palytsch ist also Oberst… Hm-hm-hmm
„Was für ein Buch?“ fragte Maljanow schließlich.
„Egal welches“, sagte Snegowoi ungeduldig.
„Nehmen Sie das da, und behalten Sie es in der Hand, damit Sie es nachher nicht vergessen. Und setzen wir uns einen Moment.“ Völlig verdattert nahm Maljanow einen dicken Wälzer vom Tisch, klemmte ihn unter den Arm und ließ sich auf der Couch an der Stehlampe nieder. Arnold Palytsch setzte sich neben ihn und steckte
sich hastig eine Zigarette an. Maljanow blickte er nicht an.
„So also“, tönte sein Bass.
„Also so… Zunächst einmal: Wer ist die Frau?“
„Lidotschka? Ich sagte Ihnen doch: eine Freundin meiner Frau. Wieso?“
„Kennen Sie sie gut?“
„N-nein… Erst seit heute. Sie kam mit einem Brief…“ Maljanow stockte, der Schreck fuhr ihm in die
Glieder.
„Glauben Sie etwa, sie ist…“ Snegowoi unterbrach ihn.
„Die Fragen stelle ich. Wir haben keine Zeit.
Woran arbeiten Sie jetzt, Dmitri Alexejewitsch?“
Sofort fiel Maljanow Waingarten ein, und wieder überlief es ihn kalt. Mit schiefem Lächeln sagte er:
„Komischerweise wollen heute alle wissen, woran ich arbeite.“
„Wer noch?“ fragte Snegowoi hastig, ihn mit seinen kleinen blauen Äuglein durchbohrend.
„Lidotschka?“
Maljanow schüttelte den Kopf.
„Nein, Waingarten, ein Freund von mir.“
„Waingarten…“ Snegowoi runzelte die Brauen.
„Waingarten…“
„Nein, nein!“ sagte Maljanow.
„Den kenn ich gut, noch von der Schulbank her.“
„Der Name Gubar — sagt Ihnen der was?“
„Gubar? Nie gehört… Was ist passiert, Arnold Palytsch?“ Snegowoi zerquetschte den Stummel im Aschen becher und steckte sich eine neue Zigarette an.
„Wer hat noch nach Ihrer Arbeit gefragt?“
„Weiter keiner.“
„Woran arbeiten Sie also?“ Plötzlich wurde Maljanow wütend. Er wurde immer wütend, wenn er Angst bekam.
„Hören Sie mal, Arnold Palytsch“, sagte er.
„Ich versteh das alles nicht!“
„Ich auch nicht!“ sagte Snegowoi.
„Möchte es aber gern. Erzählen Sie! Moment mal — oder ist das intern?“
„Quatsch — intern!“ erwiderte Maljanow gereizt.
„Gewöhnliche Astrophysik und Sternendynamik. Wechselwirkung der Sterne und der diffusen Materie. Intern ist da nichts, ich lieb es einfach nicht, über meine Arbeit zu reden, bevor sie beendet ist.“
„Sterne und diffuse Materie…“, wiederholte Snegowoi gedehnt und zuckte die Achseln.
„Hie das Landgut, dort das Wasser… Und nicht intern? In keinem Teil?“
„Nicht die Spur!“
„Und Gubar kennen Sie wirklich nicht?“
„Nein.“
Schweigend saß Snegowoi neben ihm und rauchte — riesenhaft, geduckt wie ein Bär, unheimlich. Dann sagte er:
„Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Mehr wollte ich von Ihnen nicht, Dmitri Alexejewitsch. Seien Sie mir um Gottes willen nicht böse.“
„Nein. Aber ich will noch was von Ihnen— nämlich erfahren…“
„Ich hab kein Recht dazu“, schnitt ihm Snegowoi das Wort ab.
Natürlich — so leicht hätte sich Maljanow nie abspeisen lassen. Doch da entdeckte er etwas, was ihm sofort den Mund verschloss. Die linke Tasche von Snegowos gigantischem Hausanzug stand ab und darin glänzte ganz deutlich und unmißverständlich der Griff einer Pistole. Es war eine schwere Pistole. Wie ein Gangstercolt im Film. Und beim Anblick dieses Colts verging Maljanow augenblicklich jede Lust, noch was zu fragen. Mit einem Schlag war ihm klar, daß er hier nichts zu melden hatte. Da erhob sich Snegowoi und sagte:
„Jetzt folgendes, Dmitri Alexejewitsch. Morgen will ich wieder verreisen…“
5.…blieb noch eine Weile auf dem Rücken liegen und kam langsam zu sich. Unter dem Fenster rumpelten und polterten bereits die Lastwagen mit Anhängern, in der Wohnung jedoch war alles ruhig. Von dem irren Tag gestern war weiter nichts übriggeblieben als ein leichtes Schädelbrummen, ein metallischer Geschmack auf der Zunge und ein lästiger Splitter in der Seele, im Herzen und weiß der Kuckuck wo noch. Gerade wollte er sich über diesen Splitter klar werden, da klingelte es behutsam an der Tür. Ach ja — Palytsch mit den Schlüsseln! dachte er und sprang aus dem Bett.
Als er durch den Flur ging, nahm er mit einem Seitenblick wahr, daß die Küche aufgeräumt, die Tür zu Bobkas Zimmer geschlossen und die Scheibengardine sorgfältig von innen zugezogen war.
Lidotschka pennt. Ist aufgestanden, hat das Geschirr abgewaschen und sich wieder hingehauen. Während er am Schloss fummelte, klingelte es abermals taktvoll.
„Gleich, sofort“, rief er heiser.
„Einen Moment, Arnold Palytsch!“
Aber es war gar nicht Arnold Palytsch. Vor der Tür stand, mit den Füßen auf dem Gummiabtreter scharrend, ein wildfremder junger Mann. Er trug Jeans, ein schwarzes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine überdimensionale Sonnenbrille. Ein Tonton Macoute. Fast gleichzeitig entdeckte Malja now weiter hinten, am Fahrstuhl, noch zwei Tontons Macoute mit schwarzen Brillen, doch im selben Moment verlor er jegliches Interesse an ihnen, denn der erste eröffnete ihm:
„Kriminalamt“ und hielt ihm einen aufgeklappten Ausweis hin. Schöne Bescherung! ging es Maljanow durch den Kopf. Alles sonnenklar, war ja zu erwarten! In seinem Innern herrschte ein einziges Chaos. Nur mit Turnhose bekleidet, stand er vor dem Tonton Macoute vom Kriminalamt und starrte auf das geöffnete Büchlein. Er sah ein Foto, diverse Stempel und Eintragungen, doch seine verwirrten Sinne nahmen nur eins wahr:
„Ministerium des Innern“. In Groß buchstaben.
„Ja-a“, stieß er hervor.
„Natürlich. Bitte sehr. Worum handelt es sich?“
„Guten Tag“, sagte der Tonton Macoute überaus höflich.
„Sie sind doch Maljanow, Dmitri Alexeje-witsch?“
„Ich…“
„Darf ich Ihnen einige Fragen stellen?“
„Bitte sehr, bitte“, sagte Maljanow.
„Augenblick, bei mir ist nicht aufgeräumt… Ich bin grade erst aufgestanden… Vielleicht gehen wir in die Küche? Nein, dort scheint jetzt die Sonne. Lieber doch hier hinein, ich mach gleich Ordnung.“ Der Tonton Macoute betrat das große Zimmer und blieb bescheiden in der Mitte stehen, wobei er sich zwanglos umsah. Maljanow deckte notdürftig das Bett zu, fuhr ins Hemd und in die Jeans, zog rasch die Gardine auf und öffnete das Fenster.
„Bitte nehmen Sie Platz, hier im Sessel. Oder wollen Sie lieber an den Tisch? Was führt Sie zu mir?“ Behutsam über ringsum verstreute Papierbogen steigend, begab sich der Tonton Macoute zum Sessel, ließ sich nieder und legte seine Ledermappe auf die Knie.
„Ihren Ausweis bitte“, sagte er. Maljanow wühlte im Schreibtisch, förderte seinen Ausweis zutage und reichte ihn hin.
„Wer wohnt hier noch?“ fragte der Tonton Macoute, während er den Ausweis prüfte.
„Meine Frau, unser Sohn… Aber die sind jetzt nicht da. Die sind in Odessa… Auf Urlaub. Bei der Schwiegermutter.“
Der Tonton Macoute legte den Ausweis auf seine Mappe und setzte die schwarze Brille ab. Es war ein ganz einfacher, sogar ziemlich unbedarft wirkender junger Mann. Und überhaupt kein Tonton Macoute. Eher sah er wie ein Verkäufer aus. Oder wie ein Fernsehmonteur.
„Machen wir uns bekannt“, sagte er.
„Igor Pe-trowitsch Sykow — Untersuchungsführer von der Staatsanwaltschaft.“
„Angenehm“, erwiderte Maljanow. Auf einmal wurde ihm bewusst, daß er doch — Himmel Herrgott noch mal! — kein Krimineller war, daß er — Himmel Herrgott! — leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktor der Wissenschaften war. Und nicht irgendein Hosenscheißer. Er schlug die Beine übereinander, nahm eine lässige Pose ein und sagte kühl:
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