Schon sind die letzten Vorbereitungen für den Start getroffen. Trurl schreitet mit einem Sack in der Hand durch die Gemächer des Königs und packt in aller Seelenruhe und vertragsgemäß ein, was immer sein Wohlgefallen findet. Schließlich fährt eine Prunkkarosse vor und bringt die Sieger zum Kosmodrom; dort steht die jubelnde Menge dichtgedrängt, ein Kinderchor singt, Mädchen in Landestracht überreichen Blumensträuße, höchste Würdenträger lesen ihre Dankes— und Abschiedsreden vom Blatt, das Symphonieorchester spielt, und zartbesaitete Damen fallen in Ohnmacht. Plötzlich geht ein Raunen durch die Menge, eine atemlose Stille tritt ein. Klapauzius nimmt einen Zahn aus dem Mund, natürlich keinen gewöhnlichen Zahn, sondern einen Dentalkurzwellensender. Kaum hat er eine winzige Taste gedrückt, da bricht am Horizont ein Sandsturm los, nähert sich in höllischem Tempo, wirbelt schwarze Erdbrocken durch die Luft und kommt mit Donnergetöse in dem leeren Raum zwischen dem Raumschiff und der Menge zum Stehen. Die Menge weicht entsetzt zurück, schaut und erkennt — das Ungeheuer! Und es wirkt tatsächlich ungeheuerlich, ja geradezu bestialisch, wie es so dasteht, die kalten Sonnen seiner Laser-Augen aufblitzen läßt und mit dem schuppigen Drachenschwanz den Boden peitscht, daß die Funken sprühen.
„Laß den König frei!“ sagt Klapauzius, darauf das Ungeheuer mit ganz normaler menschlicher Stimme:
„Das fällt mir nicht im Traum ein. Jetzt bin ich an der Reihe, jetzt gebe ich die Befehle…“
„Was soll das heißen? Bist du übergeschnappt? Du hast zu gehorchen, das steht doch in der Matrix!“ schrie Klapauzius erzürnt; die Umstehenden waren sprachlos vor Verblüffung.
„Matrix? Die Matrix ist mir schnuppe! Du mußt nämlich wissen, ich bin nicht irgendein Ungeheuer, ich bin mathematisch, vollautomatisch und antidemokratisch; ich bin der große Integrator und Selbstorganisator, ich kenne jeden Trick, tödlich ist mein Blick. Der Polizei befehle ich, der Postminister fürchtet mich, den König habe ich im Bauch, und ihr gehorcht gefälligst auch, macht vier Schritte, geht zur Mitte und beugt das Knie vor dem Genie!“
„Dir werd ich gleich zeigen, wer hier zu knien hat! knurrte Klapauzius außer sich vor Wut. Trurl aber fragte das Ungeheuer:
„Also was willst du eigentlich?“ — gleichzeitig jedoch versteckte er sich hinter Klapauzius und nahm sich, ohne daß die Bestie das merken konnte, ebenfalls einen Zahn aus dem Mund.
„Als erstes will ich heiraten, zur Frau nehme ich…“
Aber niemand sollte je erfahren, wen das Ungeheuer zur Frau nehmen wollte, denn Trurl drückte blitzschnell auf die kleine Taste und rief:
„Eene, meene, muh, Input, Output, raus bist du!“
Die magnetisch-dynamischen Rückkopplungen, die sämtliche Atome des Ungeheuers zusammenhielten, lösten sich unter dem Einfluß dieser magischen Worte augenblicklich auf, die Bestie selbst verdrehte die Augen, wackelte mit den Ohren, brüllte und tobte vor Wut, bäumte sich auf, aber das half ihr alles nichts — bevor sie auch nur die Zähne fletschen konnte, fegte ein heißer Windstoß vermischt mit Eisen— und Schwefelgeruch durch sie hindurch, die Bestie zitterte und fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Zurück blieb nur ein Häufchen Asche, und auf diesem Häufchen saß der König, heil und gesund, wenngleich ungewaschen, unrasiert und zu Tode gekränkt, daß man ihm so übel mitgespielt hatte.
„Einfach durchgedreht, völlig den Verstand verloren“, sagte Trurl zu den Anwesenden, und niemand wußte so recht, ob er nun den König oder das Ungeheuer meinte. Natürlich war auch der letzte, eher schüchterne Versuch des Monarchen, gegen seine Bezwinger zu revoltieren, zum Scheitern verurteilt, denn die Konstrukteure hatten auch diese finstere Eventualität von vornherein in ihren Algorithmus einkalkuliert.
„Und jetzt, meine Herren“, bemerkte Trurl abschließend, „haben Sie doch die Güte und geleiten den Meister der Königlichen Jagd in den Käfig, und uns ins Raumschiff…“
Die Reise Eins A oder Trurls Elektrobarde
Um falschen Erwartungen und Mißverständnissen aller Art vorzubeugen, müssen wir zunächst erklären, daß dies genau genommen eine Reise nach nirgendwohin war. Denn in der ganzen Zeit rührte sich Trurl nicht aus seiner Behausung, wenn man von einigen Krankenhausaufenthalten und einem recht unwichtigen Ausflug zu einem Planetoiden einmal absieht. Und dennoch, in einem tieferen und höheren Sinne war es eine der weitesten Reisen, welche der berühmte Konstrukteur jemals unternahm, denn sie führte ihn dicht an die Grenze des Möglichen, ja sogar darüber hinaus.
Trurl widerfuhr einmal das Mißgeschick, daß er eine riesige Rechenmaschine baute, die nur zu einer einzigen Operation fähig war, nämlich zwei und zwei zu addieren, und selbst das machte sie falsch. Wie wir an anderer Stelle erzählt haben, erwies sich die Maschine als äußerst eigensinnig, und ihr Streit mit ihrem eigenen Schöpfer hätte für letzteren beinahe tragisch geendet. Seit dieser Zeit mußte sich Trurl die gnadenlosen Sticheleien seines Freundes Klapauzius gefallen lassen, der keine Gelegenheit versäumte, um auf die unrühmliche Geschichte zurückzukommen; um ihn jedoch ein für allemal zum Schweigen zu bringen, hatte Trurl sich in den Kopf gesetzt, eine Maschine zu konstruieren, die in der Lage sein sollte, makellose Lyrik zu schreiben. Zu diesem Zweck besorgte sich Trurl kybernetische Literatur im Gesamtgewicht von achthundertzwanzig Tonnen sowie zwölftausend Tonnen der allerfeinsten Poesie und begann unverzüglich mit seinen umfangreichen Studien. Wenn er es vor lauter Kybernetik nicht mehr aushalten konnte, wechselte er kurzerhand zur Lyrik, und vice versa. Bereits nach kurzer Zeit wurde ihm klar, daß die Konstruktion der Maschine selbst im Vergleich zu ihrer Programmierung das reinste Kinderspiel war. Das Programm, das ein durchschnittlicher Dichter im Kopf hat, wurde durch die Zivilisation geschaffen, in der er auf die Welt kam, und diese Zivilisation wurde wiederum durch die ihr vorhergehende programmiert — und so ließ sich der Entwicklungsprozeß zurückverfolgen bis zum Vorabend der Schöpfung, als die Bits, welche einmal das Programm des künftigen Poeten bilden sollten, noch völlig ungeordnet im primordialen Chaos kosmischer Tiefen herumschwirrten. Wollte man folglich eine Lyrikmaschine programmieren, so mußte man zunächst die Entwicklungsgeschichte des ganzen Universums — zumindest aber eines guten Teils davon — nachvollziehen. Jeder andere an Trurls Stelle wäre unter der Last einer solchen Aufgabe zusammengebrochen, doch der unerschrockene Konstrukteur dachte keine Sekunde lang daran aufzugeben. Er konstruierte zunächst eine Maschine, die das Chaos modellierte, und selbiges war wüst und leer, und der elektrische Geist schwebte über den elektrischen Wassern; dann fügte er den Parameter des Lichts hinzu sowie Urnebel in der nötigen Menge, und so bahnte er sich schrittweise seinen Weg bis zur ersten Eiszeit — was nur deshalb möglich war, weil seine Maschine fähig war, im fünfmilliardsten Teil einer Sekunde einhundert Septillionen Ereignisse an vierzig Oktillionen verschiedener Orte zugleich zu modellieren; und falls irgend jemand diese Zahlen in Frage stellt, so braucht er sie nur nachzurechnen. Als nächstes modellierte Trurl die Ursprünge der Zivilisation, so das Funkenschlagen mit Feuersteinen und das Gerben von Fellen, er sorgte auch für Dinosaurier und Sintfluten sowie für Zweifüßigkeit und Schwanzlosigkeit; dann kam der Urbleichling an die Reihe, der den Bleichling zeugte, der die ersten Maschinen hervorbrachte, und so ging es dahin durch Äonen und Jahrtausende im endlosen Summen elektrischer Ströme und Wirbel. Immer wenn sich die modellierende Maschine als zu eng für die nächste Epoche erwies, nahm Trurl einen Anbau vor, bis schließlich aus all diesen Anbauten eine richtige Großstadt aus Röhren, Polklemmen, Stromkreisen und Schaltungen entstanden war, derart verwickelt und verworren, daß sich der Teufel selbst dort nicht mehr zurechtgefunden hätte. Doch Trurl schaffte es irgendwie, nur zweimal mußte er in die Vergangenheit zurückkehren: einmal leider bis ganz an den Anfang, als er nämlich entdeckte, daß Abel Kain erschlagen hatte und nicht Kain Abel (offensichtlich das Resultat einer durchgeschmorten Sicherung in einem der Stromkreise); beim zweiten Mal brauchte er nur dreihundert Millionen Jahre zurückzugehen, genau in die Mitte des Mesozoikums, denn dort war ihm nach dem Übergang von den Urfischen zu den Uramphibien und den ersten Säugetieren eine Panne mit den Primaten passiert — statt großer Affen hatte die Maschine greise Pfaffen modelliert. Allem Anschein nach hatte sich eine Fliege ins Innere der Apparatur verirrt und war gegen den hochberührungsempfindlichen Multifunktionsschalter geflogen. Ansonsten ging alles erstaunlich glatt. Antike und Mittelalter wurden modelliert und auch die Epoche der großen Revolutionen, wobei die Maschine in ihren Grundfesten erbebte, schließlich mußte Trurl die Röhren mit Wasser besprengen und mit feuchten Tüchern umwickeln, sonst hätte sie der in diesem Tempo simulierte Fortschritt der Zivilisation mit Sicherheit zum Platzen gebracht. Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Maschine von Vibrationen geschüttelt, zunächst seitlich, dann der Länge nach, beides ohne erklärlichen Grund. Trurl war sehr beunruhigt, er schleppte Zement und Mauerhaken herbei, um für den äußersten Notfall gerüstet zu sein. Zum Glück erwiesen sich seine vorsorglichen Maßnahmen als überflüssig; anstatt aus ihrer Verankerung zu springen, beruhigte sich die Maschine wieder, und bald hatte sie das zwanzigste Jahrhundert weit hinter sich gelassen. Danach kamen und gingen die Zivilisationen in Intervallen von fünfzigtausend Jahren, und schon war die Epoche der absolut vernünftigen Wesen erreicht, von denen Trurl selbst abstammte. Spule auf Spule wurde mit computerisierter Geschichte gefüllt und in Dateien gespeichert; bald gab es so viele von ihnen, daß man das neuentstandene Spulengebirge selbst dann nicht mehr überblicken konnte, wenn man mit einem Fernrohr bewaffnet ganz oben auf der Maschine stand. Und all das nur, um einen Verseschmied zu konstruieren! Doch das sind die unvermeidlichen Folgen, wenn man dem wissenschaftlichen Fanatismus seinen Lauf läßt. Schließlich waren die Programme fertig; man mußte nur noch das bestgeeignete herauspicken, denn anderenfalls hätten Bildung und Erziehung des Elektropoeten viele Millionen Jahre in Anspruch genommen.
Читать дальше