Tatsächlich feierte man gerade mit höchstem Pomp und Prunk die Verlobung der Königstochter mit einem ausländischen Ritter, namens Somnophil.
Der König war ein wenig enttäuscht, daß nicht er dieser Ritter war, und als der Festzug hinter den Toren des Palasts verschwunden war, begab er sich mit anderen aus der Menge in ein nahegelegenes Wirtshaus; dort erblickte er Somnophil, angetan mit nichts als Damaszener Pluderhosen, die mit goldenen Nägeln beschlagen waren; er hielt einen halbleeren Krug mit Iontophorese in der Hand, kam auf Voluptikus zu, legte den Arm um ihn, drückte ihn an seine Brust und flüsterte ihm mit heißem Atem ins Ohr:
„Hör zu, ich habe heute ein Rendezvous mit Prinzessin Oktopauline, hinter dem Palast, im Hain der Stacheldrahtsträucher, nahe beim Quecksilberbrunnen, um Mitternacht, doch ich wage nicht, dort zu erscheinen, nicht in diesem Zustand, ich habe zuviel getrunken, du verstehst schon — und daher flehe ich dich an, edler Fremdling, der du mir doch aufs Haar gleichst, geh an meiner Stelle, küsse der Prinzessin die Hand und nenne dich Somnophil, und bei meiner Ehr, ich werde dir dafür ewigen Dank wissen!“
„Warum nicht?“ sagte der König nach kurzem Nachdenken. „Ich denke, das kann ich tun. Soll ich jetzt gleich gehen?“
„Ja, sofort, wir haben keine Zeit zu verlieren, es ist fast Mitternacht, doch denke daran, der König weiß nichts davon, niemand weiß etwas, nur die Prinzessin und der alte Torhüter, und falls der dir den Weg versperrt, hier ist ein Säckchen voll Dukaten, die gibst du ihm, er wird dich anstandslos passieren lassen.“
Der König nickte, nahm den Beutel mit den Dukaten und lief in höchster Eile zum Schloß, denn schon sprangen die gußeisernen Käuzchen aus ihren Uhrkästen und kündigten mit langgezogenem „Huh-Huh“ die Mitternacht an. Er rannte über die Zugbrücke, warf einen kurzen Blick in die gähnende Tiefe des Burggrabens, bückte sich rasch, schlüpfte unter den Eisenspitzen des vom Torbogen herabhängenden Fallgatters hindurch — hetzte quer über den Hof zu den Stacheldrahtbüschen und zu dem Brunnen, der Quecksilber spie, und dort im bleichen Mondlicht erblickte er die göttliche Gestalt der Prinzessin Oktopauline, schöner als in seinen kühnsten Träumen und so bezaubernd, daß er vor Verlangen erbebte.
Als Perfidolin den zitternden und bebenden Monarchen im Vestibül des Palastes beobachtete, lachte er schadenfroh und rieb sich die Hände, diesmal völlig sicher, daß das Schicksal des Königs besiegelt war, denn er wußte, sobald Oktopauline den unglücklichen Liebhaber mit ihren achtfachen Armen umschlungen hatte, gab es kein Entrinnen mehr. Er wußte, sie würde ihn mit ihren zärtlichen Saugarmen in die tiefsten Tiefen des Traums hinabziehen, und von dort führte kein Weg zurück an die Oberfläche der Wirklichkeit! Und tatsächlich schien alles so zu kommen. Voluptikus, der auf die süße Umarmung der Prinzessin brannte, rannte die Mauer im Schatten der Kreuzgänge entlang und strebte der engelsgleichen, vom Mondlicht übergossenen Schönheit zu, als plötzlich der alte Torhüter auftauchte und ihm mit seiner Hellebarde den Weg versperrte. Der König hob bereits die Hand mit dem Beutel voller Dukaten, doch als er deren angenehme Schwere in der Hand spürte, fiel es ihm furchtbar schwer, sich von ihnen zu trennen, denn war es nicht jammerschade, solch ein Vermögen für eine einzige Umarmung zu verschwenden?
„Hier hast du einen Dukaten“, sagte er und öffnete den Beutel, „und nun laß mich passieren!“
„Ich will zehn!“ antwortete der Torhüter.
„Was? Zehn Dukaten für eine Umarmung?“ lachte der König höhnisch. „Du bist wohl nicht bei Trost?“
„Zehn Dukaten!“ sagte der Torhüter. „Das ist der Preis!“
„Kannst du mir nicht einen Dukaten nachlassen?“
„Keinen einzigen, edler Herr!“
„So steht es also!“ schrie der König, der eine Neigung zum Jähzorn besaß. „Na gut, du Schuft, dann bekommst du eben gar nichts!“ Woraufhin ihm der Torhüter einen solch mächtigen Schlag mit der Hellebarde versetzte, daß ihm der Kopf dröhnte und sich alles um ihn zu drehen begann, die Kreuzgänge, der Brunnen, die Zugbrücke; dann stürzte Voluptikus mitsamt dem Traum ins Nichts, um in der nächsten Sekunde die Augen aufzuschlagen und an der Seite Perfidolins, gleich neben dem Träumenden Schrank, aufzuwachen. Der Kybernerianer war zutiefst bestürzt, denn es schoß ihm durch den Kopf, daß seine Pläne schon zum zweiten Mal gescheitert waren, zunächst an der Feigheit und nun an der Habgier des Königs. Doch Perfidolin machte gute Miene zum bösen Spiel und bat den König höflich, sein Herz an einem anderen Traum zu erfreuen.
Diesmal wählte Voluptikus den Traum „Durch Liebesessenz zur Schraubenpotenz“. Er verwandelte sich augenblicklich in Debilitus Paralysius, Herrscher von Epilepont und Malazien, einen uralten Tattergreis und unverbesserlichen Wüstling, dessen Seele nach bösen Taten lechzte. Doch was konnte er noch Böses tun mit seinen morschen Gelenken, zitternden Händen und von der Gicht verkrüppelten Füßen? Vielleicht gibt es noch etwas, das mich wieder auf die Beine bringt, dachte er und befahl seinen Degenerälen, Eklampton und Tortunus, einen Feldzug zu unternehmen, nach Herzenslust zu morden und zu brennen und soviel Gefangene und Beute zu machen wie nur irgend möglich. Sie taten, wie ihnen geheißen, und sprachen nach ihrer Rückkehr folgende Worte:
„Herr und Gebieter! Wir haben mit Feuer und Schwert gewütet, geplündert und gebrandschatzt, und hier sind die Gefangenen und die Kriegsbeute: die wunderschöne Adoradora, Jungfräuliche Königin der Entianer und Pentianer, mit all ihren Schätzen!“
„Häh? Was sagt ihr da? Mit ihren Schätzen?“ krächzte der König zitternd vor Gier. „Aber wo ist sie? Ich sehe nichts! Und was knistert und raschelt da so?“
„Das kommt vom königlichen Kronsofa, Majestät!“ brüllten die Degeneräle im Chor. „Das Knistern wird dadurch hervorgerufen, daß sich die Sklavin, die obenerwähnte Königin Adoradora, auf der perlenbesetzten Decke des Kronsofas hin— und herwirft. Das, was raschelt, ist ihr goldbesticktes Gewand, sie wird von Weinkrämpfen geschüttelt, weil ihr große Demütigung und Erniedrigung bevorsteht!“
„Wie? Demütigung, sagt ihr? Erniedrigung? Das ist gut, sehr gut! Bringt sie her, ich will das arme Ding gleich schänden und entehren!“
„Das dürfen Majestät nicht tun, mit Rücksicht auf die Staatsraison!“ unterbrach ihn der Erste Hofmedikus und Königliche Leibarzt.
„Wie? Ich darf ihr nicht Gewalt antun, sie nicht entehren? Ich, der König? Bist du von Sinnen? Hab ich denn je im Leben etwas anderes getan?“
„Gerade deswegen, Königliche Hoheit!“ beschwor ihn der Hofmedikus. „Die Gesundheit Eurer Majestät hat unter diesen Exzessen bedenklich gelitten!“
„Ist das wirklich wahr? Nun… so gebt mir die Axt dort, ich werde ihr den Kopf abschlagen.“
„Mit Verlaub, Majestät, auch das scheint mir nicht angezeigt. Schon die geringste Aufregung…“
„Himmeldonnerwetter! Was habe ich dann noch von meinem ganzen Königtum?!“ krächzte der König voller Verzweiflung. „Heilt mich auf der Stelle! Macht mich wieder jung und kräftig, damit ich… damit es wieder so wie früher wird… Denn sonst lasse ich euch alle…“
In Angst und Schrecken versetzt stürzten alle Höflinge, Degeneräle und Hofmedizi aus dem Saal und suchten fieberhaft nach Mitteln und Wegen, wie man Seine Majestät verjüngen könnte; schließlich rief man den Großen Kalkulon zur Hilfe, einen Weisen von unendlicher Weisheit. Der trat vor den König und fragte:
„Was ist nun eigentlich Euer Majestät Begehr?“
„Häh? Begehr? Das ist gut! Ich will dir sagen, was mein Begehr ist!“ sagte der König mit heiserer Stimme. „Ich will fortfahren mit Ausschweifungen, wüsten Gelagen und Unzucht aller Art, insbesondere aber will ich Königin Adoradora, die ich im Augenblick gefangenhalte, nach allen Regeln der Kunst entehren!“
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