Sie sollen sich ihren neuen Gastgeber nur gut ansehen, dachte Paul.
»Unter den Leuten befindet sich noch eine Bene Gesserit, die behauptet, mit Ihrer Mutter befreundet zu sein«, sagte Gurney.
»Meine Mutter hat keine Freunde unter den Bene Gesserit«, erwiderte Paul.
Gurney warf erneut einen mißtrauischen Blick um sich und beugte sich dann zu Paul hinüber.
»Thufir ist ebenfalls bei ihnen, Mylord. Ich hatte bisher keine Möglichkeit, ihn allein zu sprechen. Aber er gab mir mit einem Handsignal zu verstehen, daß er mit den Harkonnens zusammenarbeitet, weil er dachte, Sie seien tot. Er will auch jetzt bei ihnen bleiben.«
»Thufir ist bei diesen …«
»Er wollte bei ihnen bleiben … und auch ich hielt es für besser. Falls … irgend etwas nicht in Ordnung ist, haben wir ihn jedenfalls unter Kontrolle. Und wenn er zu uns steht … haben wir immerhin ein Ohr am Puls der anderen Seite.«
Paul erinnerte sich an eine seiner Zukunftsvisionen. In einer davon hatte Thufir Hawat eine vergiftete Nadel bei sich getragen, die dazu diente, wie der Imperator es ausgedrückt hatte, »diesen aufsässigen Herzog« zu beseitigen.
Erneut machten die Posten am Haupteingang Platz und senkten die Lanzen. Von draußen wurden Stimmen laut. Das Rascheln kostbarer Gewänder drang an Pauls Ohr. Mit weitausholenden Schritten, unter denen noch der Wüstensand knirschte, betrat der Padischah-Imperator Shaddam IV. die Halle. Hinter ihm schritt sein Gefolge.
Der Imperator hatte seinen Burseg-Helm verloren und sein Haar war zerzaust. Die Sardaukar-Uniform, die er trug, war an mehreren Stellen zerrissen. Obwohl er weder einen Gurt noch Waffen trug, schien er von einem Schild seiner starken Persönlichkeit umgeben zu sein.
Eine Fremen-Lanze schoß plötzlich vor und versperrte dem Mann genau an der Stelle den Weg, die niemand überschreiten durfte. Das Gefolge kam aus dem Tritt und prallte aufeinander. Paul sah erstaunte Gesichter und hörte raschelnde Gewänder. Einige der Gesichter kamen ihm bekannt vor, obwohl ein Großteil der Versammelten lediglich aus Höflingen und Lakaien bestand, die offensichtlich ein kurzweiliges Vergnügen auf Arrakis gesucht hatten und jetzt erstaunt zur Kenntnis nahmen, daß die Bevölkerung dieser Welt den Spieß umgedreht hatte.
Paul sah die vogelähnlich leuchtenden Augen der Ehrwürdigen Mutter Gaius Helen Mohiam, während Feyd-Rautha Harkonnen sich etwas im Hintergrund hielt.
Das ist eines der Gesichter, vor denen mich die Visionen gewarnt haben, dachte er.
Er schaute an Feyd-Rautha vorbei und wurde angezogen von einer Bewegung, die ein Mann machte, dessen spitzes, wieselähnliches Gesicht ihm unbekannt war. Und dennoch wurde er das Gefühl nicht los, diesen Mann fürchten zu müssen.
Warum muß ich mich vor ihm in acht nehmen? fragte sich Paul. Er beugte sich zu seiner Mutter hinüber und flüsterte: »Der Mann, der links neben der Ehrwürdigen Mutter steht, wer ist das?«
Jessica blickte auf und erkannte das Gesicht, das sie bereits in den Dossiers von Pauls Vater gesehen hatte. »Graf Fenring«, erwiderte sie. »Der Mann, der vor uns hier war. Er ist ein genetischer Eunuch. Und ein Killer.«
Der Laufbursche des Imperators, dachte Paul, und es traf sein Bewußtsein wie ein Schlag, daß er in allen möglichen Visionen zwar auf den Imperator selbst, aber nie auf Graf Fenring gestoßen war.
Ihm kam zu Bewußtsein, daß er zwar mehrmals seinen eigenen Leichnam in den Strömen zukünftiger Möglichkeiten, nie aber seinen Tod selbst gesehen hatte. Habe ich ihn deswegen nie zu Gesicht bekommen, weil er derjenige ist, der mich töten wird?
Der Gedanke machte ihn vorsichtiger. Paul wandte seine Aufmerksamkeit von Fenring ab und musterte die Höflinge und die Sardaukar, die ihn mit bitteren und abschätzenden Blicken ansahen. Manche der Gesichter wirkten, als überlegten ihre Träger ernsthaft, ob sich die unerwartete Niederlage sich durch einen Überraschungsangriff nicht doch noch in einen nachträglichen Sieg verwandeln ließe.
Schließlich wandte sich Paul einer hochgewachsenen, blonden Frau zu. Ein hübsches Gesicht mit grünen Augen und reiner Haut starrte ihn an. Sie wirkte gelassen, unbeteiligt und schien nicht einmal eine Träne vergossen zu haben. Ohne daß man es ihm sagen brauchte, wußte Paul, daß es Prinzessin Irulan war, die dort vor ihm stand. Auch sie hatte die Ausbildung der Bene Gesserit genossen. Er kannte ihr Gesicht aus mehreren Visionen.
Sie ist der Schüssel, dachte er.
Die in der Mitte der Großen Halle zusammengetriebenen Leute begannen sich plötzlich zu bewegen. Zwischen ihnen tauchte Thufir Hawat auf. Er war älter geworden mit den Jahren, seine Schultern hingen tiefer.
»Da ist Thufir Hawat«, sagte Paul. »Laß ihn heraus, Gurney.«
»Mylord!« sagte Gurney unsicher.
»Laß ihn heraus«, wiederholte Paul.
Gurney nickte.
Sobald die Lanze, die die Gruppe in ihrer Bewegung einengte, sich hob, taumelte Hawat nach vorn. Hinter ihm wurde der Kreis wieder geschlossen. Rheumatische Augen sahen Paul an, spürten die herrschende Spannung, die sich unter den Leuten des Imperators breitmachte.
Hawat machte einige Schritte auf Jessica zu und sagte: »Mylady, erst heute habe ich erfahren, wie sehr ich Ihnen in meinen Gedanken Unrecht tat. Es steht mir wohl nicht mehr zu, Sie um Vergebung zu bitten.«
Paul wartete ab, aber seine Mutter schwieg.
»Thufir, alter Freund«, sagte er schließlich, »ich hoffe, es fällt dir auf, daß ich den Rücken mal wieder der Tür zuwende.«
»Das Universum ist voll von Türen«, sagte Hawat.
»Bin ich der Sohn meines Vaters?« fragte Paul.
»Eher der Ihres Großvaters«, brummte Hawat. »Nicht nur Ihre Blicke, sondern auch Ihre Bewegungen gleichen den seinen.«
»Und dennoch bin ich der Sohn meines Vaters«, sagte Paul. »Ich sage dir, Thufir, daß du als Lohn für all die Jahre im Dienst meiner Familie alles von mir verlangen darfst. Wirklich alles. Soll ich dir mein Leben schenken, Thufir? Es gehört dir.« Paul machte einen Schritt nach vorn, legte die Hände an die Seiten und sah den Ausdruck höchster Wachsamkeit in Thufirs Augen.
Er hat gemerkt, daß ich über diesen Verrat Bescheid weiß, dachte er.
Paul senkte die Stimme zu einem Flüstern herab, so daß nur Hawat allein ihn hören konnte. »Es ist mein Ernst, Thufir. Wenn du mich umbringen willst, dann tu es jetzt.«
»Ich wollte nur noch einmal vor Ihnen stehen, Mylord«, sagte Hawat. Erst jetzt fiel Paul auf, mit welch unsäglicher Anstrengung der Mann sich auf den Beinen hielt. Paul streckte die Arme aus, packte Hawat an den Schultern und fühlte, wie dessen Muskeln unter seinem Griff zitterten.
»Hast du Schmerzen, alter Freund?« fragte Paul.
»Ich habe Schmerzen, Mylord«, gab Hawat zu, »aber das Vergnügen überdeckt sie.« Er drehte sich halb in Pauls Armen, hob die linke Hand, deutete auf den Imperator und zeigte allen Anwesenden die winzige Nadel, die zwischen seinen Fingern verborgen gewesen war. »Sehen Sie das, Majestät?« rief er. »Sehen Sie die Nadel des Verräters? Haben Sie wirklich geglaubt, daß ein Mann wie ich, der sein Leben für die Atreides geben würde, zu einer solchen Schandtat bereit sei?«
Paul stolperte beinahe, als der alte Mann in seinen Armen zusammensackte. Hawat starb schnell. Sanft legte Paul seinen Leichnam auf den Boden, erhob sich wieder und winkte zweien seiner Leute, die ihn wegtrugen.
In der Großen Halle herrschte völlige Stille.
Der Imperator hielt seinen Blick gesenkt. Das Gesicht, das niemals zuvor Angst gezeigt hatte, begann sich zu verändern.
»Majestät«, sagte Paul und registrierte den überraschten Blick, den die Prinzessin ihm zuwarf. Sie hatte gemerkt, daß er die Kraft seiner Stimme einsetzte — jene Kraft, die eine jede ausgebildete Schülerin der Bene Gesserit kannte — und daß in ihr alle Verachtung lag, die er in sich spürte. Also ist sie wirklich eine Bene Gesserit, dachte er.
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