Mit knochentrockener Kehle versuchte Paul zu schlucken. »Könntest du nicht den Landsraad einberufen, um …«
»Sollte man seinem Feind sagen, daß man längst weiß, in welcher Hand er das Messer verborgen hält? Ah, Paul wir wissen, daß er es hat und wo. Aber danach wissen wir es nicht mehr. Wenn wir den Landsraad benachrichtigen, wird dies zuerst einmal eine Wolke der Konfusion erzeugen. Natürlich würde der Imperator die Vorwürfe zurückweisen. Wer würde es dann noch wagen, ihn einer Lüge zu bezichtigen? Alles was wir erreichten, wäre ein kleiner Aufschub. Und aus welcher Richtung der nächste Angriff käme, wäre dann nicht mehr so schnell zu erfahren.«
»Und alle anderen Häuser würden ebenfalls Melange horten.«
»Unsere Feinde haben einen uneinholbaren Vorsprung. Er ist zu groß, um ihn noch aufzuholen.«
»Der Imperator«, sagte Paul. »Das beinhaltet auch die Sardaukar.«
»Die zweifellos in der Uniform der Harkonnens auftreten werden«, fügte der Herzog hinzu, »ohne daß sie auch nur einen Funken ihres militaristischen Fanatikertums einbüßen.«
»Ob die Fremen uns nicht gegen sie beistehen können?«
»Hat Hawat dir von Salusa Secundus erzählt?«
»Dem Gefängnisplaneten des Imperators? Nein.«
»Was würdest du sagen, wenn es mehr als nur ein Gefängnisplanet wäre, Paul? Ist dir eigentlich noch nie aufgefallen, daß niemand weiß, wo diese Sardaukar herstammen?«
»Etwa von diesem Gefängnisplaneten?«
»Irgendwo müssen sie herkommen.«
»Aber es heißt doch, Salusa Secundus sei …«
»Das ist es, was wir glauben sollen! Daß sie nichts anderes sind, als besonders ausgewählte Freiwillige, die schon in jungen Jahren im Sinne des Imperators erzogen und gedrillt werden. Man hört nur selten etwas über die Trainingskader des Imperators, und überhaupt würden mit den kaiserlichen Truppen nur die Gleichgewichte erhalten. Hier stehen die Truppen des Landsraad der Hohen Häuser — dort die Sardaukar des Imperators.«
»Aber nach allem, was man hört, soll Salusa Secundus die reinste Hölle sein!«
»Das bezweifelt niemand. Aber wenn du eine harte, gnadenlose Armee heranziehen willst — in welcher planetaren Umgebung würdest du das tun?«
»Aber wie kann man die Loyalität solcher Männer erlangen?«
»Es gibt eine Reihe von Methoden: etwa indem du ihnen einredest, sie stellten eine Superrasse dar, verbunden einer mystischen Philosophie, die durchgesetzt werden muß. Es ist durchführbar. Dies ist zu den verschiedensten Zeiten auf den unterschiedlichsten Welten möglich gewesen.«
Paul nickte. Seine Aufmerksamkeit war ganz auf das Gesicht seines Vaters gerichtet. Irgendwie faszinierte ihn das alles.
»Und nun stell dir Arrakis vor«, erklärte der Herzog. »Wenn du dort das Haus, die Stadt oder die Garnison verläßt, unterscheidet sich die Welt nicht mehr besonders von Salusa Secundus.«
Mit aufgerissenen Augen sagte Paul: »Die Fremen!«
»Sie bilden ein Potential, das kaum weniger stark und tödlich ist als das der Sardaukar. Es wird eine Menge Geduld kosten, ihnen unsere Sache zu eigen zu machen und eine Menge Geld, sie auszurüsten. Aber die Fremen sind da … und das Geld aus dem Gewürzhandel ebenfalls. Du verstehst jetzt sicher, weshalb wir nach Arrakis gehen, obwohl wir sehr wohl wissen, daß der Planet eine Falle für uns ist.«
»Wissen die Harkonnens denn überhaupt nichts über die Fremen?«
»Sie haben sie verachtet und sie aus ihrem Dünkel heraus wie die Tiere gejagt. Sie haben nicht einmal versucht, herauszufinden, wie viele sie sind. Aber die Politik, die die Harkonnens gegenüber den Bevölkerungen ihrer Planeten anwenden, ist uns ja nichts Neues: Nimm sie so wenig wie möglich zur Kenntnis.«
Als der Herzog die Position wechselte, blitzten die Klammern, die den roten Habicht hielten, auf. »Ist dir jetzt alles klar?«
»Wir verhandeln also bereits mit den Fremen«, mutmaßte Paul.
»Ich schickte ein Kommando unter der Leitung von Duncan Idaho«, erwiderte der Herzog. »Er ist ein stolzer und unbarmherziger Mann, unser Duncan, aber gleichzeitig ein Wahrheitsfanatiker. Ich nehme an, daß die Fremen ihn mögen werden. Wenn wir Glück haben, werden sie uns an ihm messen: Duncan, der Moralist.«
»Duncan, der Moralist«, wiederholte Paul. »Und Gurney, der Tapfere.«
»Du nennst sie bei treffenden Namen.«
Und Paul dachte: Gurney ist einer von denen, die die Ehrwürdige Mutter meinte: ›… die Tapferkeit der Mutigen.‹
»Gurney sagte mir, du seiest beim heutigen Kampf sehr gut gewesen«, sagte der Herzog.
»Mir hat er das nicht gerade gesagt.«
Der Herzog lachte laut. »Ich habe ihn angewiesen, ein wenig sparsam mit jeder Art von Lob zu sein. Er sagte, du wüßtest den Unterschied zwischen einer Schneide und einer Spitze wohl zu schätzen.«
»Gurney sagt auch, daß es keine Kunst sei, jemanden mit der Spitze zu töten. Daß man darauf achten solle, dies auch mit der Schneide fertigzubringen.«
»Gurney ist ein Romantiker«, brummte der Herzog. Es störte ihn ein wenig, daß das Gespräch mit seinem Sohn plötzlich beim Töten angelangt war. »Ich würde mir wünschen, daß du überhaupt niemanden töten mußt. Aber wenn es einmal soweit ist, dann tu es so, wie du es kannst. Mit Schneide oder Klinge.« Er sah zum Oberlicht hinauf, auf das der Regen trommelte.
Dem Blick seines Vaters folgend, erinnerte sich Paul an den feuchten Himmel dort draußen — ein Ereignis, das es auf Arrakis noch nie gegeben hatte. Und der Gedanke daran führte ihn geistig in den Raum hinaus. »Sind die Gildenschiffe wirklich so groß?« fragte er.
Der Herzog sah ihn an. »Ich vergaß, daß du Caladan zum erstenmal verläßt.« Er nickte. »Ja, sie sind sehr groß. Sie sind so riesig, daß alle unsere Fregatten und Transporter zusammengenommen nur einen Bruchteil der Ladefläche eines Heighliners der Gilde bedecken.«
»Und wir brauchen unsere Fregatten nicht allein zu lassen?«
»Ihre Sicherheit ist im Preis inbegriffen. Selbst wenn die Schiffe der Harkonnens direkt neben uns lägen, brauchten wir uns keine Gedanken zu machen. Die Harkonnens würden sich hüten, ihre Raumfahrtprivilegien aufs Spiel zu setzen.«
»Ich würde gerne einmal von einem Bildschirm aus versuchen, einen Gildenmann zu sehen.«
»Das wird kaum möglich sein. Nicht einmal ihre Beauftragten bekommen sie je zu Gesicht. Die Gilde hütet ihr Privatleben ebenso scharf wie ihr Monopol. Ich hoffe, du tust nichts, was unsere Privilegien aufs Spiel setzen könnte, Paul.«
»Hältst du es für möglich, daß sie sich verstecken, weil … weil sie mutiert sind und — nicht mehr menschlich? «
Der Herzog zuckte die Achseln. »Wer weiß? Auf jeden Fall umgibt sie ein Geheimnis, hinter das noch niemand gekommen ist. Aber im Moment haben wir andere Probleme. Und eines davon bist du.«
»Ich?«
»Deine Mutter wünschte, daß ich es dir sage, Junge. Wir schließen nicht aus, daß du die Fähigkeiten eines Mentats hast.«
Paul starrte seinen Vater eine Sekunde lang an und war unfähig, etwas zu erwidern. Dann sagte er überrascht: »Ein Mentat? Ich? Aber das …«
»Selbst Hawat ist dieser Ansicht.«
»Aber … ich habe immer angenommen, daß die Ausbildung eines Mentaten bereits in seiner frühesten Kindheit beginnen muß — und daß er niemals etwas davon erfahren darf, weil dieses Wissen …« Er brach abrupt ab, sich plötzlich bewußt werdend, welche Erziehung er genossen hatte.
»Jetzt wird mir einiges klar«, sagte er.
»An irgendeinem Tag muß der zukünftige Mentat es schließlich erfahren, was mit ihm geschehen ist. Von da an gibt es keine Heimlichkeiten mehr, und die weitere Ausbildung kann nur mit seinem Wissen weitergeführt werden. Manche setzen sie fort; andere schrecken davor zurück. Nur ein geborener Mentat ist in der Lage, den richtigen Weg für sich zu wählen.«
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