Die Stadt machte einen gespenstischen Eindruck. Es war nicht nur die Leere, die diesen Eindruck hervorrief, da war noch etwas, etwas Verborgenes, Lauerndes, das wartete und beobachtete. Lansing ertappte sich dabei, daß er jedes Gebäude, an dem sie vorbeikamen, wachsam und prüfend ansah, ständig auf der Hut vor diesem flüchtigen Etwas, das sie beobachtete, sich aber ihren Blicken entzog.
»Sie spüren es also auch«, sagte der General. »So tot dieser Ort auch wirken mag, es verbirgt sich etwas in ihm.« »Bei mir ist es einfach Vorsicht«, entgegnete Lansing. »Ich habe Angst vor Schatten.«
»Vielleicht tröstet es Sie, wenn ich Ihnen sage, daß es mir ganz genauso geht. Als alter Militär halte ich immer Ausschau nach dem verborgenen Feind. Ich gehe niemals blind drauflos. Allem Anschein nach ist diese Stadt verlassen, dennoch bin ich wachsam. Ich würde mich wohler fühlen, wenn wir Waffen hätten. Können Sie sich eine Expedition wie diese vorstellen, die keine Waffen mitführt? Ich bin fest davon überzeugt, dieser Schurke von Wirt hat gelogen, als er behauptete, keine Waffen zu haben.« »Vielleicht brauchen wir keine Waffen«, sagte Lansing. »Bisher hat sich auf unserer Reise noch keine Notwendigkeit dafür ergeben.«
»Das besagt gar nichts«, erwiderte der General. »Man schleppt eine Waffe hundert, vielleicht auch tausend Kilometer mit sich herum, nur für das eine Mal, wo man sie braucht.« Kurz darauf erreichten sie den Platz.
»In dem Gebäude dort drüben haben wir unser Lager aufgeschlagen«, sagte der General und wies mit der Hand über den Platz.
Es war das größte Haus am Platz und schien etwas besser erhalten als die anderen, obschon es in einem jämmerlichen Zustand war. Der Platz war groß, eine Anzahl Straßen führte zu ihm hin. Um ihn herum kauerten die braunroten Gebäude. Steine, die sich aus den Fassaden gelöst hatten, lagen auf dem Pflaster. Das Haus, auf das der General gedeutet hatte, war von einem Turm geschmückt; eine breite Steintreppe führte zum Eingang.
»Überall liegt Staub«, sagte der General. »Auf den Straßen, auf dem Platz, sogar in den Häusern. Überall, wohin Sie auch gehen. Es ist der Staub von mürbem Gestein, von sterbendem Gestein. In dem Gebäude, wo wir kampieren, haben wir an ein paar windgeschützten Stellen alte Spuren gefunden - Spuren von Leuten, die vor uns hier gewesen sind. Andere Besucher vermutlich, so wie wir es sind. Ich bin ziemlich sicher, daß eine solche Gruppe sich gar nicht weit von hier aufhält, denn einige Spuren waren ziemlich frisch. Und die Abdrücke halten sich hier nicht lange. Der kleinste Windstoß kann sie verwehen, wenn sie nicht schon vorher von dem rieselnden Staub zugedeckt werden.«
Lansing schaute sich um und stellte fest, daß der Rest der Gruppe dicht hinter ihnen war. Jürgens hielt sich wacker. Er legte jetzt ein besseres Tempo vor. Mary und Sandra gingen zu seinen Seiten, hinter ihnen der Pastor. Den Kopf gesenkt, so daß das Kinn fast die Brust berührte, ähnelte er einer stolzierenden Krähe.
»Ich muß Sie warnen«, sagte der General. »Wir müssen den Pastor gut im Auge behalten. Er ist ohne Zweifel verrückt. Er ist der kleinkarierteste Mensch, der mir jemals untergekommen ist. Und er hat keinen Funken Verstand.«
Lansing erwiderte nichts darauf. Sie gingen nebeneinander die Stufen zum Eingang empor.
Das Innere des Hauses war dunkel; in der Luft hing der Geruch eines Holzfeuers. Mitten in der Eingangshalle funkelte ein winziges rotes Auge - das niedergebrannte Lagerfeuer. Daneben war ein großer Holzstoß aufgeschichtet, an dem die gelben Rucksäcke lehnten. Der schwache Lichtschein wurde von der polierten Oberfläche eines stählernen Kochtopfes reflektiert. Die Leere des Gebäudes war bedrückend.
Der Klang ihrer Schritte auf dem Boden wurde als hohles Echo zurückgeworfen. Hoch über ihnen verschwanden mächtige Pfeiler in einer Dunkelheit, die so finster war wie die Nacht. In der Leere schienen wilde Schatten zu tanzen.
Nach Lansing und dem General betraten die anderen den Raum, und das muntere Geplauder von Mary und Sandra löste eine Serie von hallenden, dumpf rollenden Echos aus, die den Eindruck erweckten, als ob Hunderte von verborgenen Leuten tief im Innern des Gebäudes miteinander redeten. Sie gingen zum Feuer. Der General entfachte es von neuem und legte Holz nach. Als das Holz Feuer fing und die Flammen aufzulodern begannen, tanzten Schatten über die Wände. Lan-sing hatte das Gefühl, als ob eine Horde geflügelter Gestalten in dem Gewölbe zwischen den Pfeilern umherflatterte. »Ich werde mich mit dem Frühstück beeilen«, sagte Sandra, »aber eine Weile wird es schon noch dauern. Herr General, warum zeigen Sie den anderen nicht inzwischen den Bildgeber? So weit ist der Weg schließlich nicht.« »Gute Idee«, meinte der General. »Ich hole nur eben meine Taschenlampe. Weiter hinten wird es doch ein wenig finster.« »Ich bleibe hier und helfe Ihnen«, wandte sich Mary an Sandra. »Den Bildgeber kann ich mir später immer noch ansehen.« Der General wies ihnen den Weg. Das Licht seiner Taschenlampe schnitt eine helle Schneise in die Dunkelheit. Das Stampfen von Jürgens' Krücke sorgte dafür, daß das Echogrollen niemals abriß.
»Der Bilderkasten ist Teufelswerk«, brummte der Pastor. »Man sollte nicht in ihn hineinstarren. Ich würde vorschlagen, wir bringen ihn vollends zur Strecke. Ein paar gezielte Schläge mit dem stumpfen Ende der Axt müßten ausreichen.« »Versuchen Sie das mal!« schnauzte ihn der General an. »Dann werde ich die Axt aber an Ihnen ausprobieren! Der Bildgeber ist nur das zerbrechliche Überbleibsel einer hochentwickelten Kultur. Ich maße mir nicht an, seine Funktion erklären zu können.« »Sie bezeichnen ihn als Bildgeber«, sagte Lansing. »Ich habe ihn so genannt, weil das die griffigste Bezeichnung war, die mir einfiel. Ich bin aber sicher, daß mehr dahintersteckt. Ich glaube, er stellt eine Verbindung zu einem anderen Raum dar, wobei eine Technologie angewandt wurde, von der wir bisher nicht die blasseste Ahnung haben und vermutlich auch niemals haben werden.«
»Und das ist gut so«, sagte der Pastor. »Von solchen Dingen sollte man am besten die Finger lassen. Meiner Überzeugung nach herrscht überall im Universum ein moralisches Gesetz.« »Die Pest soll Ihr moralisches Gesetz holen!« unterbrach ihn der General. »Dauernd mäkeln Sie an irgend etwas herum. Sie murmeln und brummeln unaufhörlich. Anstatt zu murmeln, sollten Sie lieber laut und deutlich sagen, was Sie wollen.« Der Pastor gab keine Antwort.
Schließlich erreichten sie den Bildgeber. Er stand in einer Kammer am anderen Ende des Gebäudes. Ansonsten war der Raum völlig leer. Auf den ersten Blick sah der Apparat nach nichts aus, ein großes Gebilde, auf das die Bezeichnung »Trümmerhaufen« am besten gepaßt hätte. Er war nichtssagend, tot und von einer Staubschicht bedeckt. Hier und da schimmerte das Rot von rostendem Metall durch den Staub. »Ich verstehe nicht, wieso ein Segment des Kastens arbeiten kann, während der Rest nur Schrott ist«, sagte der General. »Was man hier sieht, ist möglicherweise der Funktionsbereich«, sagte Lansing.
»Gewissermaßen eine optische Komponente. Der ganze Rest könnte ein Arbeitsmechanismus sein, der noch schlecht und recht zusammenhält. Ein falsche Bewegung - und die letzte Verbindung, die die Funktion aufrechterhält, kann zerfallen. Dann ist das Ding vollständig hinüber.«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, sagte der General. »Sie mögen recht haben, aber ich bezweifle es. Ich glaube vielmehr, daß dieser Schrotthaufen einmal ein Panoramasichtschirm war, und dieses Segment ist eine Ecke davon.«
Er ging um die Trümmer herum, dann hielt er an, wobei er die Taschenlampe ausschaltete. »Schauen Sie einmal«, sagte er. Was sie sahen, erinnerte an einen Fernsehbildschirm, etwa fünfzig Zentimeter im Durchmesser; nur waren die Ränder dieses Bildschirmes zackig.
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