»Wir sollten uns aufteilen und uns ein bißchen umsehen«, schlug der General vor. »Auf diese Weise schaffen wir mehr. Wenn jemand etwas findet, soll er rufen. Wir bilden Zweiergruppen. Lansing, Sie und Jürgens übernehmen den Gang dort links, Mary und der Pastor den in der Mitte, und Sandra und ich werden uns rechts halten. Jede Gruppe benutzt nur eine Taschenlampe, auf diese Weise sparen wir Batterien. Wir treffen uns dann wieder hier.«
Die Art, wie der General gesprochen hatte, ließ vermuten, daß er erwartete, schnell wieder zurück zu sein.
Keiner hatte Einwände. Die Gruppe hatte sich inzwischen daran gewöhnt, daß der General die Führung übernahm. Sie machten sich auf den Weg. Jede Partei übernahm den Gang, den der General ihr zugewiesen hatte.
Jürgens und Lansing fanden die Landkarten im vierten Raum. Sie hätten sie leicht übersehen können. Das Kellergeschoß war ein deprimierender Aufenthaltsort. Alles war mit Staub bedeckt. Beim Gehen wirbelten sie ihn mit den Füßen auf, und er blieb in der Luft hängen. Er roch trocken und muffig. Lansing mußte niesen, als er zuviel davon in die Nase bekam. Sie hatten den vierten Raum abgesucht, und wie alle übrigen auch war er völlig leer gewesen. Auf dem Weg zur Tür drehte sich Jürgens noch einmal um und ließ einen letzten kontrollierenden Lichtblitz über den Boden gleiten.
»Moment mal«, sagte er. »Ist da hinten nicht etwas auf dem Fußboden?«
Lansing blickte sich um. In dem Lichtkreis sah er undeutlich eine schattige Unebenheit.
»Wahrscheinlich ist es nichts«, sagte er, weil er dieses Debakel so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. »Vermutlich nur eine Unregelmäßigkeit im Fußboden.«
Jürgens humpelte zu der Stelle. »Wir wollen uns vergewissern«, sagte er.
Lansing betrachtete Jürgens. Der Roboter stocherte mit der Krücke in der Unebenheit, wobei er Mühe hatte, das Gleichgewicht zu bewahren. Die Erhebung bewegte sich, dann kippte sie um. Etwas Weißes kam unter der grauen Staubschicht zum Vorschein.
»Wir haben etwas gefunden«, sagte Jürgens. »Es sieht wie Papier aus, vielleicht ein Buch.«
Mit wenigen Schritten war Lansing bei ihm. Er hockte sich nieder und versuchte, den Staub von dem Gegenstand, den Jürgens entdeckt hatte, zu wischen. Es war eine schmutzige und wenig erfolgreiche Angelegenheit. Er nahm das Gebilde und schüttelte es. Ein Staubschwall ließ ihn fast ersticken. »Laß uns hier rausgehen«, schlug er vor. »Wir suchen uns einen Platz, wo wir es besser betrachten können.«
»Sie haben noch nicht alles«, sagte Jürgens. »Da ist noch ein zweites Ding, ein paar Schritte weiter rechts.«
Lansing hob es auf.
»Haben wir jetzt alles?« fragte er.
»Ich glaube schon, ich sehe nichts mehr.«
Schnell verließen sie den Raum und zogen sich in den Gang zurück.
»Halten Sie die Taschenlampe etwas näher«, sagte Lansing. »Wir wollen doch mal sehen, was wir hier haben.« Bei genauerer Prüfung erwies sich der Fund als vier zusammengefaltete Bögen - entweder Papier oder Plastik. Wegen der Staubschicht ließ sich schwer bestimmen, worum es sich eigentlich handelte. Lansing stopfte drei der Bögen in die Jackentasche, den vierten faltete er auseinander. Er war mehrfach zusammengelegt, die Faltstellen waren steif und ließen sich nur schwer voneinander trennen. Schließlich hielt Lansing ein einzelnes Blatt in der Hand. Jürgens richtete die Lampe darauf. »Eine Landkarte«, sagte er.
»Vielleicht ein Plan dieser Stadt«, mutmaßte Lansing. »Möglich, wir müßten ihn genauer ansehen. Irgendwo, wo das Licht besser ist.«
Der Plan zeigte Linien und sonderbare Markierungen. Neben einigen Markierungen befanden sich Symbolstreifen, die man für Ortsbezeichnungen halten konnte.
»Der General hat gesagt, wir sollten uns melden, wenn wir etwas gefunden hätten.«
»Das hat Zeit«, sagte Lansing. »Wir wollen zuerst unseren Rundgang abschließen.«
»Aber unsere Entdeckung könnte wichtig sein.« »Auf eine Stunde mehr oder weniger wird es schon nicht ankommen.«
Sie setzten ihre Suche fort, fanden aber nichts. Alle verbliebenen Räume waren leer.
Auf dem Rückweg, sie hatten die Strecke bis zum Treffpunkt etwa halb zurückgelegt, hörten sie in der Ferne ein dröhnendes Rufen.
»Jemand hat etwas gefunden«, sagte Jürgens. »Ja, das glaube ich auch. Aber wo?«
In den hohlen Kellergewölben wurden die Rufe vielfach zurückgeworfen. Sie schienen von überallher zu kommen. Jürgens und Lansing eilten den Gang zurück und hatten den Fuß der Treppe bald erreicht. Aber dort konnten sie immer noch nicht feststellen, aus welcher Richtung das Rufen kam. Manchmal hörte es sich so an, als komme es aus dem Korridor, den sie gerade verlassen hatten.
Im rechten Gang erschien ein tanzender Lichtschein. »Das sind der General und Sandra«, sagte Jürgens. »Also haben Mary und der Pastor etwas gefunden.« Wenige Augenblicke später hatte der General sie erreicht. »Sie sind hier«, keuchte er. »Dann ist es also der Pastor, der schreit. Wir wußten nicht, woher es kommt.« Die vier machten sich nun auf den Weg durch den Hauptkorridor. Am hinteren Ende öffnete er sich zu einem Raum, viel größer als alle, die Jürgens und Lansing untersucht hatten. »Sie können das Geheule jetzt einstellen«, rief der General. »Wir sind hier. Was ist die Ursache für diesen Lärm?« »Wir haben Türen gefunden«, rief der Pastor mit vor Aufregung schriller Stimme.
»Wir auch, zum Teufel«, schnaubte der General. »Alle haben Türen gefunden.«
»Beruhigen Sie sich«, sagte der Pastor. »Dann werden wir Ihnen zeigen, was wir gefunden haben. Es sind besondere Türen.« Lansing, der sich zu Mary gesellt hatte, erblickte auf der Rückwand des Raumes eine Reihe runder Lichter, die sich über die ganze Wandbreite erstreckte. Das Licht hatte nicht die blendende Helligkeit von Scheinwerfern oder das flackernde Rot von Feuer, es war eher der sanfte Farbton von Sonnenlicht. Die Lichter befanden sich alle in Kopfhöhe über dem Fußboden. Mary umklammerte seinen rechten Arm mit beiden Händen. »Edward«, sagte sie mit zitternder Stimme, »wir haben andere Welten gefunden.«
»Andere Welten?« wiederholte er verdutzt. »In den Türen dort sind Gucklöcher. Schauen Sie durch die Löcher, dann werden Sie die Welten sehen.«
Sie drängte ihn vorwärts. Immer noch verwirrt ließ er sich von ihr führen, bis sie vor einem der Lichtkreise standen.
»Schauen Sie nur«, sagte sie begeistert. »Das ist meine Lieblingswelt. Sie gefällt mir am besten.«
Lansing trat dicht an die Tür heran und sah durch das Guckloch.
»Ich nenne sie die Apfelblütenwelt«, sagte sie, »oder die Lerchenwelt. « Und dann sah er sie.
Die Welt erstreckte sich vor seinen Augen. Es war eine ruhige und anmutige Gegend, mit einer weiten Grasfläche, deren Grün an manchen Stellen zu leuchten schien. Ein silberheller Bach schlängelte sich in einiger Entfernung durch die Wiese, und jetzt bemerkte Lansing auch, daß das Gras mit gelben und blaßblauen Blüten übersät war. Die gelben Blumen sahen aus wie Narzissen, wie wiegten sich sanft in der Brise. Die blauen Blumen, kleiner als die gelben und halb im Gras verborgen, blickten ihn wie mit scheuen Augen an. Auf einem fernen Hügel erhob sich eine Gruppe kleiner rosa Bäume. Zweige und Äste waren von der leuchtend rosa Blütenpracht vollkommen bedeckt.
»Holzäpfel«, erläuterte Mary. »Holzäpfel haben rosa Blüten.« Die Welt erweckte den Eindruck von Frische, so als sei sie erst wenige Minuten alt - von einem sanften Frühlingsregen gewaschen, von einem beflissenen Wind getrocknet und von den zärtlichen Sonnenstrahlen auf Hochglanz poliert. Es gab nicht mehr zu sehen als die grüne Wiese mit den Millionen Blütentupfern, den glitzernden Bachlauf und die rosa Apfelbäume auf dem Hügel. Es war eine unkomplizierte Welt, ein Ort äußerster Einfachheit. Diese Welt braucht nicht mehr, dachte Lansing, sie hat alles, was sie braucht. »Sie ist wundervoll«, sagte er.
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