Natürlich ergeben sich aus Versuchen mit einzelnen Mitgliedern einer ausgewählten Spezies, wie ich sie mit dem AUGL-Patienten Eins-Dreizehn und mit Oberschwester Hredlichli angestellt habe, nützliche Werte“, fuhr er fort. „Doch die Erörterung kulinarischer Randprobleme kann — manchmal
auch eine angenehme — Zeitverschwendung sein. Darum bin ich zu dem Schluß gekommen, daß die Versuchsperson bis nach dem Ende des Tests ahnungslos bleiben sollte, weil ich auf diese Weise die besten Ergebnisse zu erzielen glaube.“
Einen Augenblick lang starrte ihn Lieutenant Braithwaite mit offenem Mund an, ohne jedoch zu lächeln oder etwas zu sagen. Cha Thrat hatte sich dem Schweigen angeschlossen. Es war Lioren, der als erster das Wort ergriff.
„Ich kenne zwar niemanden, der den Major persönlich besonders ins Herz geschlossen hat, doch in seiner Eigenschaft als Chefpsychologe wird er von allen außerordentlich geachtet“, sagte er leise. „An einem Komplott, um ihn zu vergiften, wollen wir uns nicht beteiligen.“
„Könnte es sein“, fragte Braithwaite, der offenbar die Sprache wiedergefunden hatte, „daß der Druck der Verantwortung und das ungeheure Ausmaß der Aufgabe in unserem Chefdiätisten eine Art Todessehnsucht erweckt haben?“
„Das Problem liegt einzig und allein auf meinem Spezialgebiet und hat nichts mit Ihrem Fachbereich zu tun“, widersprach Gurronsevas in scharfem Ton.
„Entschuldigung, meine Frage war nicht ernst gemeint“, besänftigte ihn Braithwaite. „Dennoch laufen Sie Gefahr, einem sehr mächtigen und reizbaren Wesen zu nahe zu treten, das höchstwahrscheinlich nicht irgendwelche Fehler verschweigen wird, falls es zu solchen kommt. Vielleicht sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, bevor Sie damit anfangen.“
„Ich habe schon darüber nachgedacht“, stellte Gurronsevas klar. „Wenn die Sache vertraulich bleibt, ist das Risiko annehmbar.“
„Dann werden wir Ihnen helfen, wo wir können“, willigte der Lieutenant ein. „Vielleicht nützt es Ihnen ja was.“
Die Lieferung von O’Maras Mahlzeiten wurde laut Braithwaite jeden Tag von einem oder mehreren Mitarbeitern aus dem Vorzimmer quittiert, und das Essen befand sich in einem geschlossenen und isolierten Lieferbehälter mit durchsichtigem Deckel. Daher waren die Mitarbeiter in der Lage, die angelieferten Gerichte zu erkennen und aus den Speiseresten ihre Schlüsse zu ziehen. Hin und wieder bemängelte O’Mara ein Gericht so laut, daß seine Stimme durch die Bürotür hindurch zu hören war. Normalerweise benannte der Major in seiner Kritik auch das Nahrungsmittel, das ihm offenbar besonders auf den Magen geschlagen war.
„…Sie sehen also, daß alle Auskünfte, die wir Ihnen erteilen können, unvollständig sein werden“, schloß Braithwaite entschuldigend.
„Für mich aber trotzdem nützlich“, antwortete Gurronsevas. „Insbesondere dann, wenn Sie damit einverstanden wären, mich über die Worte und Reaktionen des Chefpsychologen bei und nach dem Essen auf dem laufenden zu halten. Aus den Gründen, die ich Ihnen bereits genannt habe, wäre ich äußerst dankbar, wenn Sie Ihre Beobachtungen heimlich anstellen und mich unverzüglich über alle auch noch so geringfügigen Verhaltensänderungen informieren würden, die mit den Abwandlungen, die ich an den Gerichten vornehmen werde, zusammenhängen.“
„Wie lange wird das Projekt voraussichtlich dauern?“ wollte Braithwaite wissen. „Einen Monat? Eine unbegrenzte Zeit lang?“
„Du meine Güte, nein!“ widersprach Gurronsevas entschieden. „Im Hospital gibt es über sechzig verschiedene Lebensformen, die essen müssen und meine Aufmerksamkeit erfordern. Es dauert zehn oder höchstens fünfzehn Tage.“
„Also gut“, sagte der Lieutenant mit einem Kopfnicken. „Geringe Veränderungen der Persönlichkeit oder des Verhaltens zu beobachten, die manchmal ein erstes Anzeichen für die Entwicklung eines größeren psychologischen Problems sind, ist genau das, wofür wir in dieser Abteilung ausgebildet worden sind. Gibt es sonst noch etwas, das wir für Sie tun können?“
„Danke, nein“, antwortete Gurronsevas.
Als er sich zum Gehen wandte, sagte Lioren: „Wo wir gerade von Veränderungen der Persönlichkeit sprechen, wir haben Gerüchte über Oberschwester Hredlichli gehört. In den vergangenen Tagen soll sie sich äußerst merkwürdig benommen haben, indem sie dem ihr unterstellten Stationspersonal gegenüber Mitgefühl und Rücksicht an den Tag gelegt und erste Anzeichen gezeigt hat, ein fast liebenswerter Charakter zu werden. Haben die Veränderungen, die Sie an der PVSJ-Verpflegiung vorgenommen haben, irgend etwas damit zu tun, Chefdiätist?“
Alle drei gaben diese leisen, unübersetzbaren Geräusche von sich, was darauf hindeutete, daß die Frage nicht ernst gemeint war. Sanft erwiderte Gurronsevas das Lachen.
„Das will ich doch hoffen“, sagte er. „Aber bei Major O’Mara kann ich keinen ähnlichen Erfolg garantieren.“
Mit dem kleinen Teil des Verstands, der sich nicht darauf konzentrierte, Zusammenstöße auf den belebten Korridoren zu vermeiden, dachte Gurronsevas über Hredlichli nach. Mit der Arbeit an der Verbesserung der PVSJ-Verpflegung hatte er bereits viel mehr Zeit verbracht als beabsichtigt, doch das lag daran, daß die Chloratmerin andauernd mehr reden als essen wollte, und wie Gurronsevas wußte, war der Großteil der Zeit, so angenehm solche Gespräche auch hin und wieder sein mochten, vergeudet. Doch in wenigen Stunden würden Hredlichli und er den gegenseitigen beruflichen Kontakt wieder lösen, was er mittlerweile fast bedauerte.
Als er auf der Station eintraf, war er nicht überrascht, Murchison und Timmins bereits vorzufinden. Die Pathologin winkte ihm mit einer Hand zu und sagte, sie habe sich für den Rest des Tages aus ihrer Abteilung abgemeldet, weil hier der Ort sei, wo etwas passiere. Das klang zwar wie ein schmähliches Eingeständnis beruflicher Nachlässigkeit und Verantwortungslosigkeit, doch Gurronsevas hatte gelernt, nicht alles, was die Pathologin sagte, ernst zu nehmen.
Wegen Gurronsevas’ Sorge, daß alles schiefgehen könnte, war Lieutenant Timmins von ihm gebeten worden, die zur Unterstützung geschickten Wartungstechniker bei den endgültigen Änderungen des Programms zu beraten, das im Synthesizer laufen würde, der den kleinen Speisesaal für PVSJs mit Essen versorgte. Timmins war viel zu beschäftigt, um Gurronsevas’ Ankunft oder selbst Murchison zu bemerken, und die Lebensmitteltechniker Dremon und Kledath stellten durch das ungeduldige Kräuseln ihrer Felle klar, daß sie keinen Rat brauchten.
Murchison näherte sich dem Tralthaner und berichtete in lebhaftem Ton: „Wir haben unsere Analyse der Probe von dem Schutzfilm abgeschlossen, mit dem das Übungsgerät im Bewegungsraum neben dem Essensbereich der Chloratmer überzogen ist. Die Substanz ist bereits als unbedenklich freigegeben worden, und das ist sie auch immer noch, doch der Film auf diesem Übungsgerät hat auch eine geringe Menge eines unbekannten Stoffs enthalten, der wahrscheinlich versehentlich bei der Herstellung hineingeraten ist. Wird der Schutzfilm über einen langen Zeitraum hinweg einer Chloratmosphäre ausgesetzt, löst sich dieser Stoff heraus und setzt dabei winzige Mengen eines Gases frei, das für Chloratmer selbst in hohen Konzentrationen harmlos ist, obwohl es für ihre Umgebung und ihren Metabolismus etwas vollkommen Fremdes darstellt. Den Geruch des Gases hat der Illensaner in der Pathologie als „appetitanregend“ beschrieben. Das war eine gute Beobachtung und Schlußfolgerung von Ihnen.“
„Danke“, sagte Gurronsevas. „Doch den größten Teil der Anerkennung verdient Hredlichli. Es war nämlich die Oberschwester, die mich als erste darauf hingewiesen hat, daß ihr von einigen ihrer Kolleginnen, die dieses Übungsgerät vor den Mahlzeiten benutzt haben — offenbar holen sich die Illensaner eine Magenverstimmung, wenn sie sich nach dem Essen bewegen—, versichert worden ist, es habe ihnen dabei geholfen, Appetit zu bekommen. Wenn man in die richtige Richtung gewiesen wird, ist es viel leichter, an sein Ziel zu gelangen.“
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