„Entschuldigung, das ist eine terrestrische Metapher“, antwortete Murchison und fuhr fort: „Wenn ein Landtier gejagt wird, strömt es normalerweise einen bestimmten Körpergeruch aus, eine Absonderung von Drüsensekreten, die seine Angst und erhöhte Körpertätigkeit anzeigen, und dasselbe trifft vielleicht auch hier zu. Man könnte synthetisch erzeugte Angststoffe, in diesem Fall, in Form eines sich schnell im Wasser ausbreitenden Geruchs, durch das Antriebssystem freisetzen, allerdings auch wieder nur in winzigen Mengen, um zu verschleiern, daß sie künstlich sind.“
„Pathologin Murchison, ich bin Ihnen äußerst dankbar“, sagte Gurronsevas aufgeregt. „Falls mir Ihre Abteilung diese Substanz liefern kann, habe ich das Problem mit der Verpflegung der Chalder voll und ganz gelöst. Können Sie das? Und wie schnell wäre es möglich?“
„Das können wir nicht“, antwortete Murchison mit einem Kopfschütteln. „Wenigstens nicht gleich. Erst mal werden wir die Physiologie und Endokrinologie eines Beutetiers untersuchen müssen, über das uns die medizinische Bibliothek möglicherweise keine umfassende Auskunft geben kann. Und wenn eine Sekretion von der Art, wie wir sie voraussetzen, existiert, würde es noch einige Tage dauern, die Molekularstruktur zu analysieren und zu reproduzieren und die synthetische Variante auf mögliche schädliche Nebenwirkungen hin zu untersuchen. Sparen Sie sich Ihren Dank lieber noch bis dahin auf, Gurronsevas.“
Für einen langen Moment musterte er die Pathologin so eingehend, wie es zuvor Timmins getan hatte, wenn auch nicht aus demselben Grund. Er betrachtete die albernen, schwabbelnden Ausbuchtungen auf dem oberen Brustkorb und den unverhältnismäßig kleinen terrestrischen Kopf, der in diesem Fall jedoch einen Verstand enthielt, den man keineswegs als klein bezeichnen konnte. Er wollte der Pathologin gerade erneut danken, als Timmins ihn unterbrach.
„Das Fahrzeug ist jetzt startbereit, Sir“, meldete der Lieutenant. „Gleiche Tiefe wie letztes Mal?“
„Danke, ja“, bestätigte Gurronsevas.
Abermals wurde das Testfahrzeug vorsichtig zu Wasser gelassen und unter der Oberfläche in Position gehalten. „Dieses Mal habe ich nur auf der Backbordseite Gaskapseln eingesetzt, damit das Fahrzeug im Kreis zu uns zurückkehrt, falls die neuen Stabilisierungsflossen funktionieren und es ihm gelingt, eine etwas größere Strecke zurückzulegen“, erklärte Timmins. „Das synthetisch hergestellte endgültige Modell wird die Richtung und Tiefe ganz zufällig ändern und. Verdammt noch mal!“
Ein steinhart aufgepumpter großer Ball mit leuchtenden Farben war auf dem Floß gelandet, wo er zweimal aufprallte, bevor er neben ihnen ins Wasser rollte. Unwillkürlich hob einer der Melfaner eins seiner zangenförmigen Greiforgane hoch, um ihn wegzustoßen.
„Lassen Sie das, und verhalten Sie sich ruhig!“ forderte ihn der Lieutenant in scharfem Ton auf. „Verursachen Sie keine unnötigen Wellen. Die Verschlüsse der Düsen lösen sich sonst nur auf. Schließlich wollen wir das Ding unter optimalen Bedingungen starten. Es fährt los.“
Das Fahrzeug setzte sich — zunächst nur langsam — in Bewegung, nahm dann jedoch gleichmäßig Tempo auf und fuhr diesmal in schnurgerader Linie. Als es den ersten Schub von der Seite bekam, änderte es schlagartig die Richtung und verfolgte den neuen Kurs, ohne abzutreiben oder sichtlich an Geschwindigkeit zu verlieren. Wieder gab es einen abrupten Richtungswechsel, dann noch einen — beide waren sauber ausgeführt—, und das Fahrzeug kam im Kreis zum Floß zurück. Wenige Sekunden später war die komprimierte Luft in den Kapseln aufgebraucht, und das Fahrzeug trieb neben dem Floß aus.
„Es müssen zwar noch ein paar Feinabstimmungen vorgenommen werden“, meinte Timmins, wobei er die Lippen zum breitesten terrestrischen Lächeln verzog, das Gurronsevas je gesehen hatte, „aber das war schon eine eindeutige Verbesserung.“
„Ja, wirklich“, stimmte ihm Gurronsevas zu, der kein Lächeln zustande brachte, sich jedoch wünschte, er hätte es gekonnt. „Pathologin Murchison und Sie, Timmins, wie auch die Techniker Kledath und Dremon, verdienen meine höchste Anerkennung.“
Er verstummte, weil neben ihnen auf einmal der unbewegliche, gewölbte Kopf einer Angehörigen von Gurronsevas’ tralthanischer Spezies aus dem Wasser auftauchte, dem ein winkender Tentakel mit der Armbinde einer Schwesternschülerin folgte.
„Könnten wir bitte unseren Ball wiederhaben?“ fragte sie.
Bei der Prüfung der ersten Partie der neuen Lebensmittelproben waren — in absteigender Rangfolge — Chefarzt Edanelt, der die medizinische Gesamtverantwortung für die AUGL-Station trug, Pathologin Murchison, Gurronsevas selbst, Lieutenant Timmins, Oberschwester Hredlichli und die übrigen Angehörigen des Schwesternpersonals der Station zugegen. Sie alle waren in dem Personalraum derart dicht zusammengedrängt, daß kaum noch Platz für die Lebensmittel blieb, die einzeln in fünf Plastikfolien verpackt waren, um die Verschlüsse der Düsen vor einer vorzeitigen Berührung mit Wasser zu schützen. Etwa dreißig Meter vom Eingang der Station entfernt trieb Patient AUGL-Eins-Dreizehn im Wasser und rollte vor Ungeduld die streifenförmigen Tentakel langsam auf und ab.
Die normale Mahlzeit, die aus den künstlichen Eiern mit der harten Schale bestand, war serviert worden, die Essensreste hatte man entfernt, und Eins-Dreizehn hatte die Mitteilung erhalten, sich auf eine Überraschung gefaßt zu machen, womöglich sogar auf eine angenehme.
Auf Gurronsevas’ Zeichen hin näherte sich ihm Timmins, um ihm beim Abziehen der Plastikfolie behilflich zu sein. Zusätzlich zu den Stabilisierungsflossen, die fast unsichtbar waren und obendrein nicht einmal schlecht schmeckten, waren die Ober- und Unterseiten der Nahrungskapseln mit Eigenantrieb gefärbt worden, so daß sie dem grau- und braungesprenkelten Panzer eines jungen, aber voll ausgewachsenen Vertreters der echten Beutetierart aufs Haar genau glichen. Murchisons Untersuchungen der Körperzeichnung, des Verhaltens und der Drüsenabsonderungen unter Stress waren trotz der knapp bemessenen Zeit sehr gründlich gewesen.
Innerhalb weniger Sekunden löste sich der Verschluß der Hauptdüse auf, und ein dünner Strahl aus komprimierter Luft schoß sprudelnd heraus. Gurronsevas und der Lieutenant hielten die Kapsel fest und gaben ihr dann, um ihr bei der Überwindung der Massenträgheit und des anfänglichen Wasserwiderstands zu helfen, einen entschiedenen Stoß in Richtung auf Eins-Dreizehn.
Das Maul des Chalders öffnete sich weit — ob vor Überraschung oder Vorfreude konnte nicht mit Sicherheit gesagt werden —, und dann klappten seine gewaltigen Kiefer zu. Doch die Beute hatte plötzlich die Richtung geändert. Sie stieg nach oben, schwamm über Eins-Dreizehns gewaltigen Kopf hinweg und setzte ihren Weg in die lauwarmen grünen Tiefen des anderen Endes der Station fort. Schwerfällig drehte sich der Patient um und schwamm ihr nach. Durch das Wasser verfremdet drang das Krachen kräftiger Zähne, die nichts als Wasser erfassend zusammenschlugen, gefolgt von einem Klirren, das sich anhörte, als sei ein mißtönender Gong angeschlagen worden, als Eins-Dreizehn gegen das Schlafgestell eines ruhiggestellten Mitpatienten stieß, bevor es ihm schließlich gelang, die Beute zu fangen.
Als die nun folgenden regelmäßigen Kau- und Knirschgeräusche allmählich langsamer wurden, ließen Timmins und Gurronsevas die zweite Kapsel los.
Diesmal war die Jagd nur von kurzer Dauer, weil der erste zufällige Richtungswechsel Eins-Dreizehn die Mahlzeit direkt ins Maul beförderte. Der dritten Kapsel gelang es, nicht erwischt zu werden, bis ihr die komprimierte Luft ausging und sie reglos im Wasser trieb, doch da war Eins-Dreizehn schon viel zu aufgeregt, um diese merkwürdige Verhaltensanomalie zu bemerken oder sich darum zu kümmern. Nummer vier bekam er gar nicht zu fassen.
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