»Ich glaube, wir müssen die Ringweltler mehr fürchten als ihre Schoßtiere«, prophezeite der Kzin. »Wir müssen alles mitnehmen, was sich als Waffe gebrauchen läßt. Ich schlage vor, daß ich von jetzt an diese Expedition führe, bis wir den Ring wieder verlassen!«
»Ich verfüge immer noch über den Tasp!«
»Das habe ich nicht vergessen. Betrachten Sie ihn als ultimative Möglichkeit, Ihr Veto einzulegen. Obwohl ich vorschlage, daß Sie nicht zu vorschnell damit sind. Denken Sie doch einmal nach, Sie alle!« Der Kzin ragte über ihnen auf — fünfhundert Pfund Zähne und Krallen und orangefarbenes Fell. »Wir sind alle intelligente Wesen. Denken Sie an unsere Lage! Man hat uns angegriffen. Unser Schiff ist halb zerstört. Wir müssen eine unbekannte Entfernung über unbekanntes Terrain zurücklegen. Die Macht der Ringweltler war einmal unvorstellbar. Ist sie das noch immer, oder benutzen sie heute nichts mehr, das komplizierter ist als ein Speer mit einer Knochenspitze?
Vielleicht besitzen sie noch immer Transmutation oder Umwandlungsstrahlen, alles, was erforderlich war, um diesen…« Der Kzin blickte sich um, musterte den glasartigen Boden und die schwarzen Lavawälle, und vielleicht erschauerte er innerlich. »… diesen unglaublichen Artefakten zu bauen!«
»Ich habe den Tasp«, flötete Nessus zum zweitenmal. »Ich führe die Expedition!«
»Sind Sie mit dem bisherigen Ergebnis zufrieden? Ich will Sie nicht beleidigen, und das soll auch keine Herausforderung sein. Aber Sie müssen mir das Kommando übertragen. Von uns Vieren bin ich der einzige mit einer militärischen Ausbildung.«
»Warten wir doch ab«, schlug Teela vor. »Vielleicht müssen wir gar nicht kämpfen.«
»Einverstanden«, stimmte Louis ihr zu. Ein Kzin als Anführer war nicht gerade nach seinem Geschmack.
»Wie Sie meinen. Aber wir müssen die Waffen mitnehmen!«
Sie verfrachteten die Ladung in die Flugräder.
Neben den Waffen gab es andere Dinge. Trekkingausrüstung, Geräte zum Testen und Aufbereiten von Nahrung, Ampullen mit Vitaminen und anderen Nahrungszusätzen, tragbare Luftfilter…
Es gab Kommunikatorscheiben, die ein Mensch oder ein Kzin am Handgelenk oder ein Puppenspieler um den Hals tragen konnte. Sie waren sperrig und nicht sonderlich bequem.
»Weshalb nehmen wir diese Dinger mit?« erkundigte sich Louis. Der Puppenspieler hatte ihnen bereits die in die Räder eingebaute Sprechanlage erklärt.
»Eigentlich waren sie dafür vorgesehen, mit der Liar zu kommunizieren, damit wir im Notfall das Raumschiff heranholen können.«
»Und wozu brauchen wir sie jetzt?«
»Als Translatoren, Louis. Falls wir vernunftbegabten Wesen begegnen, was wahrscheinlich ist, muß der Schiffsrechner für uns als Dolmetscher fungieren.«
»Oh.«
Sie waren mit dem Beladen fertig. Eine Menge Ausrüstung lagerte noch unter dem Rumpf der Liar, doch es war nutzloses Zeug: Ausrüstung für Schwerelosigkeit, die Druckanzüge, Ersatzteile für Maschinen, die vom Verteidigungssystem der Ringwelt in Dampf verwandelt worden waren. Sie hatten sogar die Luftfilter eingepackt — wohl mehr, weil sie kaum schwerer und sperriger waren als Taschentücher, als daß sie damit rechneten, die Filter zu benötigen.
Louis war zum Umfallen müde. Er stieg auf sein Flugrad, blickte sich um und überlegte, ob er etwas vergessen hatte. Er sah, daß Teela senkrecht nach oben starrte. Selbst durch seine Erschöpfung hindurch bemerkte er ihr Entsetzen.
»Tanj!« fluchte sie. »Es ist immer noch Mittag!«
»Keine Panik. Die…«
»Louis! Wir haben gut sechs Stunden ununterbrochen gearbeitet! Wie kann es jetzt immer noch Mittag sein?«
»Mach dir deswegen keine Gedanken. Die Sonne geht nicht unter, hast du das vergessen?«
»Sie geht nicht unter?« Ihre Hysterie endete so abrupt, wie sie begonnen hatte. »Oh! Natürlich! Die Sonne geht nicht unter!«
»Wir müssen uns daran gewöhnen. Schau noch einmal hin; ist das nicht der Rand einer Schattenblende vor der Sonne?«
Tatsächlich sah es aus, als hätte jemand ein gerades Stück Rand aus der Sonne geschnitten. Die Sonne verschwand langsam, während sie hinsahen.
»Wir starten besser«, sagte der Kzin. »Wenn es dunkel ist, sollten wir in der Luft sein.«
Vier Flugräder stiegen in einer Rautenformation in das schwindende Tageslicht. Das nackte Ringweltfundament blieb unter ihnen zurück.
Nessus hatte ihnen erklärt, wie man die Räder miteinander koppelte. Drei der Flugräder waren jetzt so programmiert, daß sie alles nachvollzogen, was Louis mit seinem vierten machte. Louis steuerte für alle. Er saß in seinem Kontursitz, der einem Massagestuhl ohne Massagemechanik ähnelte, und steuerte mit Fußpedalen und einem Joystick.
Über seinem Instrumentenbrett schwebten vier durchscheinende Miniaturköpfe wie Halluzinationen. Eine schöne Sirene mit rabenschwarzem Haar, ein wilder Quasi-Tiger mit Augen, die zu intelligent aussahen, und zwei irgendwie lächerlich wirkende einäugige Pythons. Die Konferenzschaltung funktionierte einwandfrei, und das Resultat erzeugte einen Eindruck wie im Delirium tremens.
Während die Flugräder sich über den schwarzen Lavawall erhoben, beobachtete Louis den Gesichtsausdruck der anderen.
Teela reagierte zuerst. Ihre Augen suchten die mittlere Umgebung ab, dann hob sie den Blick — und fand Unendlichkeit, wo sie sonst immer nur einen Horizont gesehen hatte. Ihre Augen wurden groß und rund. »Oh, Louis!«
»Was für ein außergewöhnlicher Berg!« sagte Der-zu-den-Tierenspricht.
Nessus sagte gar nichts. Seine Köpfe hüpften auf und ab und kreisten nervös.
Die Dunkelheit brach rasch herein. Ein schwarzer Schatten glitt plötzlich über den riesigen Berg. Sekunden später war er nicht mehr zu sehen. Die Sonne war jetzt nur noch ein feiner goldener Streifen, überdeckt von Schwärze. Und dann nahm etwas im dunkler werdenden Himmel Gestalt an.
Ein gigantischer Bogen.
Seine Umrisse wurden schnell deutlicher. Während Erde und Himmel in Dunkelheit versanken, wurde die volle Pracht der Ringwelt am nächtlichen Himmel sichtbar.
Die Ringwelt erhob sich in einem gigantischen Bogen über sich selbst. Streifen aus Babyblau mit weißen Wolkenfetzen wechselten sich mit schmaleren Streifen aus fast schwarzem Dunkelblau ab. An seiner Basis war der Bogen unglaublich breit. Mit zunehmender Höhe wurde er rasch schmaler. In der Nähe des Zenits war er kaum noch mehr als eine durchbrochene Linie aus leuchtendem Blauweiß. Im Zenit selbst war der Bogen vom ansonsten unsichtbaren Ring der Schattenblenden durchbrochen.
Die Flugräder stiegen schnell und lautlos auf. Die Schallfalte am Bug arbeitete äußerst wirkungsvoll. Louis hörte keinerlei Windgeräusche von draußen. Um so mehr erschrak er, als ein Schrei wie orchestrale Musik in seine kleine private Sphäre eindrang.
Es klang wie eine explodierende Dampforgel.
Es war schmerzhaft laut. Louis hielt sich die Ohren zu. Er war so benommen, daß er nicht gleich begriff, was vorging. Er betätigte die Interkomkontrolle, und Nessus Bild verblaßte wie ein Gespenst in der Dämmerung. Der Schrei (ein Kirchenchor, der bei lebendigem Leib verbrannte?) wurde beträchtlich leiser. Trotzdem konnte Louis ihn noch immer durch die Interkoms von Teela und Der-zu-denTieren-spricht hören.
»Warum schreit er denn so?« rief Teela erstaunt.
»Panik. Es wird eine Weile dauern, bis er sich daran gewöhnt hat.«
»Woran gewöhnt?«
»Ich übernehme das Kommando!« polterte Der-zu-den-Tierenspricht. »Der Blätteresser ist nicht mehr in der Lage, irgendwelche Entscheidungen zu treffen! Ich erkläre diese Mission zu einem militärischen Unternehmen und übernehme hiermit das Kommando!«
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