Sie redete in das Material seines Druckanzugs. »Woher sollte ich denn wissen, daß ich mich an den Felsen verbrenne?«
»Erinnerst du dich an Finagles Gesetz? Die Perversität des Universums strebt einem Maximum entgegen. Das Universum ist feindselig.«
»Es hat weh getan!«
»Der Fels hat sich gegen dich gewandt. Er hat dich angegriffen. Hör zu«, Louis flehte jetzt beinahe. »Du mußt lernen, paranoide zu denken. Denk wie Nessus!«
»Ich kann nicht. Ich weiß nicht, wie er denkt! Ich verstehe ihn einfach nicht!« Sie blickte ihn mit tränennassem Gesicht an. »Ich verstehe dich nicht!«
»Ja.« Er strich mit beiden Daumen am Rand ihrer Schulterblätter entlang, dann über ihre Wirbelsäule. »Hör zu, Teela«, sagte er schließlich. »Wenn ich behaupte, das Universum sei mein Feind — würdest du mich dann für verrückt halten?«
Sie nickte heftig. Wütend.
»Das Universum ist gegen mich«, sagte Louis Wu. »Das Universum haßt mich. Das Universum nimmt keine Rücksicht auf einen Zweihundertjährigen.
Wie entwickelt sich eine Spezies? Durch Evolution, nicht wahr? Die Evolution hat dem Sprecher-zu-den-Tieren seine Nachtsicht und den Gleichgewichtssinn gegeben. Die Evolution hat Nessus den Reflex gegeben, jeder Gefahr den Rücken zuzuwenden. Die Evolution schaltet den Sexualtrieb beim Menschen ab, wenn er fünfzig oder sechzig Jahre alt ist. Und dann hört die Evolution auf.
Weil die Evolution sich nicht mehr für einen Organismus interessiert, der zu alt zur Fortpflanzung ist. Kannst du mir folgen?«
»Sicher. Du bist zu alt, um dich fortzupflanzen«, spottete sie bitter.
»Richtig. Vor ein paar Jahrhunderten knackten ein paar Biogenetiker den genetischen Kode des Ambrosiakrautes und produzierten daraus Boosterspice. Als Resultat bin ich zweihundert Jahre alt und noch immer gesund. Aber nicht etwa, weil das Universum mich liebt.
Das Universum haßt mich«, sagte Louis Wu. »Es hat schon oft versucht, mich umzubringen. Ich wünschte, ich könnte dir die Narben zeigen. Es wird nicht aufgeben.«
»Weil du zu alt bist, um dich fortzupflanzen!«
»Finagles Hysterie, Frau! Du bist diejenige, die nicht weiß, wie man auf sich achtgibt! Wir befinden uns in unbekanntem Gebiet. Wir kennen die Regeln nicht, und wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Wenn du das nächste Mal versuchst, auf heißer Lava zu spazieren, könntest du dir Schlimmeres holen als verbrannte Füße! Sei vorsichtig! Verstehst du, was ich meine?«
»Nein«, rief Teela. »Nein!«
Später, nachdem sie sich das Gesicht gewaschen hatte, trugen sie das vierte Flugrad in die Luftschleuse. Eine geschlagene halbe Stunde lang hatten der Kzin und der Puppenspieler sie in Ruhe gelassen. Hatten die beiden etwa beschlossen, sich aus rein zwischenmenschlichen Problemen herauszuhalten? Vielleicht. Vielleicht.
Zwischen zwei hohen Wällen aus schwarzer Lava erstreckte sich ein Streifen aus Fundamentmaterial scheinbar bis in die Unendlichkeit. Das Material war glatt und glänzte wie eine polierte Tischplatte. Am vorderen Ende des Streifens lag eine gewaltige gläserne Kathodenröhre auf der Seite. Unter der gewölbten Flanke waren Maschinen und Geräte aufgestapelt. Daneben standen vier seltsame Gestalten verloren herum.
»Was ist mit Wasser?« fragte Louis. »Ich habe nirgendwo Seen entdecken können. Müssen wir unser eigenes Wasser mitschleppen?«
»Nein.« Nessus öffnete eine Klappe am Heck seines Flugrads und deutete auf den Wassertank mit dem Kühlkondensator, der Feuchtigkeit aus der Luft einsammelte.
Die Flugräder waren Wunderwerke kompakter Technik. Abgesehen von den individuell geformten Sätteln sahen sie vollkommen gleich aus. Zwei gut einen Meter durchmessende Kugeln waren mit einem Gestänge verbunden, auf dem sich der Sattel für den Piloten befand. Im hinteren Teil des Flugrads befanden sich der Gepäckraum und zusätzliche Halterungen zum Festschnallen sperriger Ausrüstung. Vier Stützen, auf denen die Räder jetzt standen, wurden für den Flug in die Kugeln eingezogen.
Das Flugrad des Puppenspielers besaß einen Liegesattel: eine Schale, in der der Rumpf ruhte, und drei Ausbuchtungen für die Beine. Nessus würde unbeweglich im Sattel liegen und das Fahrzeug mit seinen beiden Mündern steuern.
Die Räder von Louis und Teela waren mit gepolsterten Konturliegen und Kopfstützen ausgerüstet und besaßen Kontrollen für die Fluglagesteuerung. Wie bei Nessus und dem Kzin befanden sich die Sättel auf dem Gestänge zwischen den beiden Kugeln des hantelförmigen Fahrzeugs. Zu beiden Seiten waren Fußstützen angebracht. Der Sattel von Der-zu-den-Tieren-spricht war erheblich größer und breiter und besaß keine Kopfstütze. Außer den Fußrasten befanden sich links und rechts vom Sattel Halterungen für Werkzeuge. Oder vielleicht für Waffen?
»Wir müssen alles mitnehmen, was sich als Waffe verwenden läßt«, fauchte der Kzin, während er ruhelos zwischen den gestapelten Ausrüstungsgegenständen umherstreifte.
»Wir haben keine Waffen mitgebracht«, erwiderte Nessus. »Wir wollten demonstrieren, daß wir friedlich sind. Deswegen haben wir erst gar keine Waffen eingepackt.«
»Und was ist das hier?« Der Kzin hatte bereits einen — wenn auch spärlichen — Stapel leichter Ausrüstungsteile gesammelt.
»Alles Werkzeug.« Nessus deutete mit beiden Köpfen. »Das dort sind Flashlaser mit variabler Lichtbündlung. Nachts kann man damit auf große Entfernungen sehen, weil man den Lichtstrahl mit diesem Stellring unendlich fein bündeln kann. Man muß natürlich vorsichtig sein, um nahe Gegenstände oder Lebewesen nicht zu verbrennen, weil man den Strahl vollkommen parallel richten und extrem intensiv machen kann.
Diese Duellpistolen dienen dazu, Auseinandersetzungen zwischen den Besatzungsmitgliedern zu schlichten. Sie feuern zehn Sekunden lang. Man darf diese Sicherung hier unter keinen Umständen berühren, weil sonst…«
»… weil sie sonst eine Stunde lang feuern würden, nicht wahr? Das ist ein Modell von Jinx, oder?«
»Ja, Louis. Dieser Gegenstand hier ist ein modifiziertes Grabwerkzeug. Vielleicht erinnern Sie sich an das Werkzeug, das wir in einer Slaver-Stasisbox fanden?«
Der Slaver-Desintegrator, dachte Louis. Der Desintegrator war tatsächlich ein Grabwerkzeug. Wo sein dünner Strahl auftraf, wurde die Ladung der Elektronen vorübergehend neutralisiert. Feste Materie besaß plötzlich eine gewaltige positive Ladung und zerfiel in einen Nebel aus atomarem Staub.
»Das Ding ist als Waffe wertlos«, polterte der Kzin. »Wir haben es gründlich studiert. Es arbeitet zu langsam, um wirksam gegen einen Gegner eingesetzt werden zu können.«
»Ganz recht. Ein harmloses Spielzeug. Das hier…« Der Gegenstand im Mund des Puppenspielers ähnelte einer doppelläufigen Schrotflinte, nur daß der Griff aussah wie für einen Puppenspieler entworfen. Wie Quecksilber, das im Begriff steht, von einer Form in die andere überzufließen.
»… arbeitet ganz genau wie ein Slaver-Desintegrator, nur unterdrückt hier ein weiter Strahl die positive Ladung der Protonen. Man darf auf keinen Fall beide Strahlen zugleich einsetzen, da sie parallel gerichtet sind.«
»Ich verstehe«, sagte der Kzin. »Wenn beide Strahlen gleichzeitig abgefeuert werden, fließt ein Strom.«
»Richtig.«
»Meinen Sie, diese improvisierte Bewaffnung reicht aus? Wir wissen nicht, was uns alles begegnen wird!«
»Das stimmt nicht ganz«, meldete sich Louis Wu zu Wort. »Schließlich ist das hier kein normaler Planet. Falls es Tiere gab, die die Ringweltler nicht mochten, dann haben sie sie sicher zu Hause gelassen. Wir werden wohl kaum Tiger antreffen oder Moskitos.«
»Vielleicht mochten die Ringweltler Tiger?« warf Teela ein.
Ein stichhaltiges Argument, trotz ihres spöttischen Untertons. Was wußten sie von der Physiologie der Ringwelt? Nur, daß die Baumeister ursprünglich von einer Wasserwelt stammten, die einen Stern von annähernd der Kategorie G2 umkreist hatte. Unter dieser Voraussetzung mochten sie vielleicht aussehen wie Menschen oder Puppenspieler oder Delphine oder Kzinti oder Orcas oder Pottwale… aber wahrscheinlich sahen sie ganz anders aus.
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