Das Abendessen wurde zu einem Ritual. Die Besatzung der Lying Bastard nahm ein letztes Souper in der Lounge. Teela sah einfach hinreißend aus. Sie trug ein fließendes, schwarz und orangefarbenes Kleid, das nicht mehr als einen Hauch wiegen konnte.
Hinter ihrem Rücken wurde die Ringwelt langsam größer. Gelegentlich drehte Teela sich um und beobachtete sie. Sie alle beobachteten die Ringwelt. Louis hatte keine Ahnung, welche Gedanken die beiden Aliens bewegten. In Teelas Augen sah er nur Erwartung. Sie spürte es, genau wie Louis: Sie würden die Ringwelt nicht verfehlen.
Nachts liebte er Teela mit einer Wildheit, die sie zuerst verblüffte. Dann genoß sie es. »Das macht also die Angst aus dir! Das muß ich mir merken!«
Er erwiderte ihr Lächeln nicht. »Ich denke dauernd daran, daß es vielleicht das letzte Mal ist.« Und nicht nur mit dir, ergänzte er in Gedanken.
»Oh, Louis! Wir befinden uns in einer General-Products-Zelle!«
»Und wenn das Stasisfeld versagt? Der Rumpf mag vielleicht den Aufprall überstehen, doch wir werden zu Mus zerquetscht.«
»Um Finagles willen, hör endlich auf, dir dauernd Sorgen zu machen!« Sie schlang die Arme um ihn und fuhr mit den Fingernägeln über seinen Rücken. Er zog sie nah an sich, damit sie sein Gesicht nicht sehen konnte…
Als sie tief und fest schlief und wie ein schöner Traum zwischen den beiden Platten schwebte, stand Louis auf. Erschöpft und befriedigt räkelte er sich in einem heißen Bad. Auf dem Rand stand ein kalter Bourbon.
Es gab schließlich noch mehr Freuden, die er ein letztes Mal genießen wollte.
Babyblau mit weißen Streifen und dunkelblau ohne Einzelheiten — so spannte sich die Ringwelt über das All. Zuerst enthüllten nur die Wolken Details: Stürme, parallele Strömungen, wollige Fliese, und alles winzig klein. Wachsend. Dann die Umrisse von Seen… Die Ringwelt bestand fast zur Hälfte aus Wasser…
Nessus lag angeschnallt auf seiner Crashliege und hatte sich wieder einmal schutzsuchend zusammengerollt. Der-zu-den-Tierenspricht, Teela Brown und Louis Wu lagen ebenfalls angeschnallt auf ihren Liegen, doch sie beobachteten die Annäherung.
»Sie sollten besser ebenfalls aufpassen«, riet Louis dem Puppenspieler. »Die Topographie könnte später vielleicht wichtig werden.«
Nessus folgte seinem Rat: Ein flacher Pythonkopf schob sich hervor und studierte die herannahende Oberfläche.
Ozeane, geschwungene glitzernde Flußläufe, eine Gebirgskette.
Kein Zeichen von Leben war zu sehen. Man muß schon niedriger als tausend Meilen gehen, um Anzeichen von Zivilisation zu bemerken. Die Ringwelt raste derart schnell vorbei, daß das Land nur verschwommen zu sehen war. Es spielte keine Rolle; sie würden weit entfernt in unbekanntem Territorium aufschlagen.
Geschätzte Eigengeschwindigkeit des Schiffes: zweihundert Meilen pro Sekunde. Völlig ausreichend, um die Lying Bastard sicher aus dem System zu tragen — wäre nicht die Ringwelt im Weg gewesen.
Das Land raste ihnen entgegen und seitwärts, mit 770 Meilen in der Sekunde seitwärts. Ein salamanderförmiger See kam ihnen schräg von der Seite entgegen, wurde unter ihnen größer und war wieder verschwunden. Plötzlich erstrahlte die Landschaft in grellem violettem Licht!
Diskontinuität.
Ein Augenblick aus Licht, violett-weiß, grell wie ein Blitz. Einhundert Meilen Atmosphäre, in einem einzigen Augenblick zu einem sternenheißen Plasmakegel zusammengepreßt, schlugen mit voller Wucht auf die Liar ein.
Louis blinzelte… und sie waren unten.
Er hörte, wie Teela sich frustriert beschwerte: »Tanj! Wir haben alles versäumt!«
Und die Antwort des Puppenspielers: »Titanischen Ereignissen beizuwohnen ist stets gefährlich, in der Regel schmerzhaft und häufig tödlich. Seien Sie dankbar für das Slaver-Stasisfeld, wenn schon nicht Ihrem unzuverlässigen Glück.«
Louis hörte die Unterhaltung und ignorierte sie. Er war schrecklich benommen. Vor seinen Augen drehte sich alles…
Der jähe Übergang von rasendem Fall zu festem Boden allein wäre schon schwindelerregend genug gewesen, ohne die Lage der Liar, die alles noch schlimmer machte. Dem Schiff fehlten fünfunddreißig Grad, um ganz auf dem Rücken zu liegen. Da die Kabinenschwerkraft noch immer funktionierte, sah die Landschaft draußen aus wie ein schief aufgesetzter Hut.
Der Himmel glich dem Mittagshimmel in den gemäßigten Breiten auf der Erde. Die Landschaft sah merkwürdig aus: glänzend, flach, irgendwie durchsichtig, mit weit entfernten rötlich-braunen Höhenrücken.
Louis löste sich aus dem Sicherheitsnetz und stand auf.
Sein Gleichgewicht war prekär; Augen und Innenohr stritten über die Richtung von »unten«. Er ließ es langsam angehen. Nur ruhig Blut. Kein Zwang zur Eile. Die Gefahr war vorüber.
Er drehte sich um und sah Teela in der Luftschleuse. Sie trug keinen Raumanzug. Das innere Schott schloß sich gerade.
»Teela, bist du wahnsinnig?« bellte Louis. »Komm sofort zurück!«
Zu spät. Wahrscheinlich konnte sie ihn durch das hermetisch schließende Schott nicht hören. Louis sprang zu den Spinden.
Die Lufttester auf dem Flügel der Liar waren zusammen mit dem Rest der externen Sensoren verdampft. Louis mußte in einem Druckanzug nach draußen gehen und die eingebauten Sensoren im Brustteil benutzen, um herauszufinden, ob die Luft der Ringwelt gefahrlos atembar war.
Wenn nicht Teela schon vorher zusammenbrach und starb. Dann wußte er es auch so.
Das Außenschott der Luftschleuse glitt auf. Automatisch schaltete sich die Schwerkraft in der Schleuse ab. Teela fiel kopfüber durch die offene Tür. Sie fuchtelte verzweifelt in der Luft herum und bekam den Griff der Luke zu fassen, aber nur lange genug, um ihren Fallwinkel zu ändern. Sie landete auf dem Hintern statt auf dem Kopf. Und sie hatte nicht aufgehört zu atmen, Finagles Geduld sei Dank!
Louis betrat die Schleuse. Sinnlos, den Luftvorrat des Druckanzugs zu überprüfen. Er würde ihn nur so lange anbehalten, bis die Instrumente ihm sagten, ob die Luft draußen atembar war.
Rechtzeitig erinnerte er sich an die Schräglage des Schiffs und hielt sich an einem Griff fest, während die Außenluke aufglitt. Als die Kabinenschwerkraft abschaltete, schwang er herum, hing einen Augenblick an beiden Händen und ließ sich dann fallen.
Seine Füße rutschten unter ihm weg, kaum daß sie den Boden berührten. Louis landete hart auf den Glutei maximi.
Das glatte, graue, durchscheinende Material unter dem Schiff war schrecklich schlüpfrig. Louis versuchte aufzustehen, doch dann gab er auf. Im Sitzen las er die Anzeigen auf seiner Brust ab.
In seinem Helm ertönte die rauhe Stimme von Der-zu-den-Tierenspricht: »Louis?«
»Ja?«
»Ist die Luft atembar?«
»Ja. Allerdings ein wenig dünn. Vielleicht eine Meile über dem Meeresspiegel, Erdstandard.«
»Sollen wir rauskommen?«
»Sicher. Nehmen Sie eine Leine mit in die Schleuse und binden Sie sie irgendwo fest, sonst kommen wir nie wieder hinauf! Passen Sie auf, wenn Sie runterkommen. Der Boden besitzt so gut wie keinen Reibungswiderstand.«
Teela hatte keine Schwierigkeiten mit der glatten Oberfläche. Sie stand betreten mit verschränkten Armen neben dem Schiff und wartete, daß Louis endlich aufhörte herumzuspielen und seinen Helm abnahm.
Er tat es. »Ich muß mit dir reden«, begann er. Und sagte ihr grob die Meinung.
Er erzählte von den Unsicherheiten einer Spektralanalyse aus zwei Lichtjahren Entfernung. Er sprach von subtilen Giften, Metallverbindungen, fremden Sporen, organischen Abfallprodukten und Katalysatoren, die eine ansonsten atembare Atmosphäre vergiften konnten und die nur in einer Probe vor Ort nachweisbar waren. Er sprach von krimineller Sorglosigkeit und fahrlässiger Dummheit und davon, wie unklug es ganz generell war, freiwillig seine Dienste als Versuchskaninchen anzubieten. Er war fertig, bevor die beiden Aliens aus der Schleuse kommen konnten.
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