Das Kreischen der Lufterneuerung brach ab und hinterließ ein Rauschen in Louis’ Ohren.
»So weit, so gut«, sagte Teela unsicher.
Der-zu-den-Tieren-spricht kam aus dem Kontrollraum. »Eine Schande, daß der Teleskopschirm nicht mehr funktioniert. Wir könnten eine Antwort auf zahlreiche Fragen finden.«
»Zum Beispiel?« erkundigte sich Louis.
»Warum bewegen sich die Schattenblenden schneller, als es ihrer Orbitalgeschwindigkeit entspricht? Dienen sie tatsächlich der Energiegewinnung für die Ringwelt? Was hält sie stets der Sonne zugekehrt? All die Fragen, die der Blätteresser gestellt hat, könnten wir beantworten, wenn wir einen funktionierenden Teleskopschirm hätten.«
»Werden wir in die Sonne stürzen?«
»Selbstverständlich nicht. Das habe ich ihnen doch schon erklärt, Louis. Wir werden eine halbe Stunde lang hinter dieser Blende bleiben. Eine Stunde darauf werden wir zwischen der nächsten Blende und der Sonne hindurchschießen. Falls die Hitze zu groß wird, können wir das Stasisfeld einschalten.«
Die Stille machte sich bemerkbar. Die Schattenblende war ein konturloses Schwarz ohne Grenzen. Ein menschliches Auge kann mit reinem Schwarz nichts anfangen.
Schließlich kam die Sonne wieder hervor. Erneut war die Kabine erfüllt vom Heulen der Lufterneuerer.
Louis suchte den Himmel ab, bis er die nächste Blende gefunden hatte.
Er beobachtete, wie sie näher kam, als der Blitz erneut einschlug.
Es sah jedenfalls aus wie ein Blitz. Und es kam wie ein Blitz, ohne Vorwarnung. Einen Augenblick lang war es entsetzlich hell, Weiß mit einer Spur Violett. Das Schiff machte einen Satz…
Diskontinuität.
… machte einen Satz, und das Licht war verschwunden. Louis steckte zwei Finger unter seine Brille und rieb sich die schmerzenden Augen.
»Was war das?« rief Teela benommen.
Louis’ Sicht wurde langsam wieder klar. Er sah, daß Nessus einen bebrillten Kopf hervorgestreckt hatte, daß der Kzin sich an einem der Schränke zu schaffen machte; daß Teela ihn anstarrte… Nein, sie starrte auf etwas hinter seinem Rücken. Louis drehte sich um.
Die Sonne war eine große schwarze Scheibe, kleiner als vorhin, umgeben von einem gelb-weißen Flammenkranz. Sie war während des Augenblicks im Stasisfeld beträchtlich geschrumpft. Der »Augenblick« mußte Stunden gedauert haben. Das Kreischen der Lufterneuerungsanlage hatte sich zu einem unangenehmen Wimmern abgeschwächt.
Irgend etwas brannte dort draußen.
Ein gewundener Faden in Schwarz, extrem dünn, umgeben von violett-weißem Leuchten. Es waren keine Enden zu erkennen.
Ein »Ende« verlor sich in der schwarzen Scheibe, hinter der sich die Sonne verbarg. Das andere verlief im Raum vor der Liar, bis es zu klein wurde, um es mit bloßem Auge zu sehen.
Der Faden zuckte und wand sich wie ein verwundeter Regenwurm.
»Es scheint, als wären wir mit irgend etwas zusammengestoßen«, sagte Nessus mit erstaunlicher Gelassenheit. Fast, als wäre er nie in Katatonie gewesen. »Sprecher-zu-den-Tieren, Sie müssen nach draußen gehen und sich die Sache ansehen. Bitte steigen Sie in Ihren Raumanzug.«
»Wir befinden uns im Kriegszustand«, fauchte der Kzin. »Ich befehle jetzt!«
»Großartig. Und was gedenken Sie zu tun?«
Der Kzin enthielt sich klugerweise einer Antwort. Er war schon fast fertig mit dem Anziehen seines großen, aus vielen Ballons bestehenden Raumanzugs mit dem schweren Rückentornister. Offensichtlich beabsichtigte er, nach draußen zu gehen.
Der Kzin nahm eins der Flugräder: ein hantelförmiges, thrustergetriebenes Vehikel mit einem Sitz in der Mitte.
Sie beobachteten, wie er an dem zuckenden schwarzen Faden entlangmanövrierte. Er hatte sich zwischenzeitlich beträchtlich abgekühlt: Der Saum aus grellem Licht um das von der Brille induzierte Schwarz herum war von Violettweiß über Reinweiß in Orangeweiß übergegangen. Sie beobachteten, wie die massige Gestalt von Derzu-den-Tieren-spricht das Flugrad verließ und um den heißen, zuckenden Faden herum schwebte.
Sie konnten den Kzin atmen hören. Einmal stieß er ein erschrockenes Fauchen aus. Die ganze Zeit über sprach er kein Wort in sein Anzugmikrophon. Er blieb eine geschlagene halbe Stunde draußen. Das heiße Ding kühlte sich derweil soweit ab, daß es kaum noch sichtbar war.
Schließlich kehrte der Kzin an Bord zurück. Als er die Lounge betrat, erwartete ihn stumme, respektvolle Aufmerksamkeit.
»Das Zeug ist wirklich nicht dicker als ein Faden«, berichtete der Kzin. »Da — sehen Sie sich das an!«
Er hielt eine ruinierte Zange hoch. Die Backen waren entlang einer ebenen Oberfläche sauber vom Griffteil abgetrennt, und die Schnittfläche glänzte wie ein polierter Spiegel.
»Als ich nah genug heran war, um zu erkennen, wie dünn der Faden ist, wollte ich die Zange benutzen. Der Faden schnitt glatt durch den Stahl. Ich spürte keinen nennenswerten Widerstand!«
»Ein Varioschwert leistet dasselbe«, entgegnete Louis.
»Aber die Klinge eines Varioschwerts ist ein Metalldraht, der von einem Slaver-Stasisfeld umschlossen ist. Sie läßt sich nicht verbiegen. Dieser Faden hat sich dauernd bewegt, wie Sie selbst sehen konnten.«
»Dann ist es eben ein Material, das wir noch nicht kennen«, beharrte Louis. Ein Material, das jeden Stoff so glatt durchschnitt wie ein Varioschwert. Leicht, dünn, reißfest und außerhalb der technologischen Möglichkeiten der Menschheit.
Etwas, das sogar noch bei Temperaturen fest blieb, wo jedes normale Material zu heißem Plasma wurde. »Etwas ganz Neues also. Aber was hatte es in unserem Weg zu suchen?«
»Überlegen Sie. Wir trieben zwischen zwei Schattenblenden hindurch, als wir mit einem nicht identifizierten Objekt zusammentrafen. Anschließend fanden wir einen scheinbar endlosen Faden mit einer Temperatur vergleichbar dem Innern eines Sterns. Offensichtlich haben wir den Faden getroffen. Er hat die Hitze des Aufpralls absorbiert. Ich vermute, der Faden war zwischen den Schattenblenden gespannt.«
»Wahrscheinlich war er das. Aber warum?«
»Wir können lediglich Spekulationen anstellen«, erwiderte Der-zuden-Tieren-spricht. »Die Konstrukteure der Ringwelt verwendeten die Blenden, um Nachtintervalle zu erzeugen. Dazu müssen die Rechtecke das Sonnenlicht abhalten, was sie aber nicht können, wenn sie mit der flachen Seite der Sonne zugewandt sind.
Die Ringweltkonstrukteure benutzten ihren seltsamen Faden, um die Blenden zu einer Kette zusammenzubinden. Dann versetzten sie die Kette in eine Kreisbewegung, die schneller war, als für eine stabile Umlaufbahn um die Sonne nötig, um Spannung auf die Fäden zu bringen. Sind die Fäden straff, liegen die Blenden mit der Breitseite parallel zum Ring.«
Eine seltsame Vorstellung. Zwanzig Schattenblenden, die einen Ringelreigen um die Sonne tanzten, an den Enden mit fünf Millionen Meilen langen Drähten untereinander verbunden… »Wir brauchen diesen Faden«, sagte Louis. »Wer weiß, was wir damit alles vollbringen könnten.«
Der Kzin zuckte die Achseln. »Ich hatte keine Möglichkeit, ihn an Bord zu schaffen. Oder auch nur ein Stück davon abzuschneiden.«
Der Puppenspieler wechselte das Thema. »Möglicherweise sind wir durch die Kollision auf anderen Kurs gebracht worden. Können wir irgendwie herausfinden, ob wir noch immer an der Ringwelt vorbeisteuern?«
Niemand wußte eine Antwort.
»Vielleicht treffen wir nicht auf den Ring. Die Kollision kann uns aber genausogut zuviel Schwung gekostet haben, und wir fallen für alle Ewigkeit in einen elliptischen Orbit«, jammerte der Puppenspieler. »Teela, Ihr Glück hat uns im Stich gelassen.«
Teela zuckte die Achseln. »Ich habe nie behauptet, daß ich ein Glücksbringer bin.«
»Es war der Hinterste, der mich das glauben machte. Wäre er jetzt hier bei mir, würde ich meinem arroganten Verlobten ein paar passende Worte sagen.«
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