Svengaard setzte die Spritze an und tätschelte Lizbeths Arm. »Versuchen Sie jetzt zu schlafen. Entspannen, bitte. Nicht herumlaufen, wenn es nicht unbedingt nötig ist.«
Lizbeth nickte. Sie konnte Svengaard und seine echte Sorge um sie genau lesen. Sein Versuch, Harvey zu beruhigen, hatte sie gerührt, doch ihre Angst vermochte sie nicht zu verbergen.
»Glisson«, flüsterte sie.
Svengaard wußte, was sie meinte. »Ich werde ihm nicht erlauben, Sie zu transportieren, bevor Sie ganz in Ordnung sind«, versprach er. »Er und sein Führer müssen solange warten.«
»So? Du wirst es nicht erlauben?« schnaubte Boumour.
Als sollten diese Worte unterstrichen werden, begann die Erde unter ihnen zu rumpeln und zu zittern. Staub fegte durch den niederen Eingang herein; es war wie ein Zaubertrick: als sich der Staub verzog, stand Glisson da.
»Keine sonischen Waffen«, erklärte Glisson. Seine sonst fast ausdruckslose Cyborgstimme war ein näselnder Singsang.
»Er hat keine Arme«, bemerkte Harvey.
Dann erst sahen es auch die anderen. Von den Schultern baumelte, da wo früher Glissons Arme waren, nur das leere Verbindungsglied zu den Prothesen.
»Die haben uns hier eingesperrt«, fuhr Glisson fort; irgend etwas schien in ihm zerbrochen zu sein. »Wie ihr seht, habe ich keine Arme mehr. Belustigt euch das nicht? Versteht ihr jetzt, warum wir sie niemals offen angreifen konnten? Wenn sie wollen, dann können sie alles zerstören, alles und jeden …«
»Igan?« flüsterte Boumour.
»Igans sind leicht zu zerstören, das habe ich gesehen. Ihr müßt die Tatsachen akzeptieren.«
»Was werden wir jetzt tun?« fragte Harvey.
»Tun?« wunderte sich Glisson und sah ihn an. »Wir werden warten.«
»Gewalttaten sind nicht meine Aufgabe«, sagte Glisson. »Ihr werdet sehen.«
»Was werden sie jetzt tun?« flüsterte Lizbeth.
»Was immer sie wollen«, antwortete Glisson.
»So, das wäre geschafft«, sagte Calapine. Sie sah im Reflektor zu Schruille und Nourse hinüber.
Schruille deutete auf den kinesthetischen Analogator an der Innenwand der Kugel. »Hast du Svengaards Gefühle verfolgt?«
»Er war richtig erschrocken«, meinte Calapine.
Nourse warf einen Blick hinauf zu den Spionen. Alle waren besetzt. Fast ausnahmslos überwachten alle Regenten die weitere Entwicklung.
»Wir müssen eine Entscheidung treffen«, mahnte Nourse.
»Du siehst blaß aus, Nourse«, stellte Calapine fest, »hast du Schwierigkeiten?«
»Auch nicht mehr als du«, wehrte er ab. »Eine einfache Enzymheterodomie. Ist schon fast überstanden.«
»Bring sie jetzt hierher«, sagte Schruille.
»Wozu?« fragte Nourse. »Wir haben ihren Fluchtweg ziemlich genau festgehalten. Sollen wir sie vielleicht wieder entkommen lassen?«
»Ich liebe es gar nicht, wenn unregistrierte lebensfähige Keimträger irgendwo herumlaufen«, erwiderte Schruille, »und wer weiß, wie viele.«
»Weißt du denn bestimmt, daß wir sie lebend bekommen?« fragte Calapine.
»Die Cyborgs geben zu, daß sie gegen uns machtlos sind«, stellte Schruille fest.
»Wenn das nicht nur ein Trick ist«, wandte Nourse ein.
»Das glaube ich nicht«, widersprach Calapine. »Haben wir sie erst einmal hier, bekommen wir aus ihren Gehirnen alle nötigen Informationen, und zwar ganz genau.«
Nourse drehte sich zu ihr um. Er verstand nicht mehr, was mit Calapine los war. Sie sprach mit der ruhigen Brutalität einer Frau aus dem gewöhnlichen Volk. Sie redete wie eine Teufelin. Dieser Gedanke erschütterte ihn.
»Wenn sie aber Mittel haben, sich selbst zu zerstören?« überlegte Nourse. »Erinnert euch nur an die Computerassistentin und eine Anzahl unserer eigenen Chirurgen, die mit diesen Kriminellen im Bund zu stehen schienen. Wir waren machtlos, als sie sich selbst zerstörten.«
»Wie gefühllos du bist, Nourse«, tadelte Calapine.
»Ich und gefühllos?« Er schüttelte den Kopf. »Ich will nur weitere Leiden verhindern. Sollen sie uns auslöschen und damit davonkommen?«
»Glisson ist ein voller Cyborg«, sagte Schruille. »Kannst du dir vorstellen, was seine Gedächtnisbank enthüllen würde?«
»Ich erinnere mich an den einen, der Potter begleitete«, meinte Nourse. »Wir dürfen kein Risiko eingehen. Seine Ruhe könnte ein Trick sein.«
»Ich schlage ein Kontaktnarkotikum vor«, sagte Schruille.
»Bist du sicher, daß es bei einem Cyborg wirkt?« wandte Nourse ein.
»Dann könnten sie noch mal entkommen.« Schruille zuckte die Achseln. »Was würde das schon ausmachen?«
»In eine andere Hauptstadt, meinst du das?« fragte Nourse.
»Wir wissen, diese Infektion ist weit verbreitet«, gab Schruille zu. »Sicher, es gab Zellen hier in der Zentrale. Die haben wir ausgemerzt. Aber die …«
»Und ich sage, sie werden jetzt aufgehalten!« fuhr Nourse auf.
»Schruille hat recht«, widersprach Calapine. »Was riskieren wir schon dabei?«
»Je eher wir sie aufhalten, desto eher können wir zu unseren eigenen Plänen zurückkehren«, sagte Nourse.
»Das sind unsere eigenen Pläne«, beharrte Schruille.
»Dir gefällt wohl der Plan, eine weitere Hauptstadt zu sterilisieren, nicht wahr, Schruille?« fauchte Nourse. »Welche ist es diesmal? Wie wäre es mit Loovil?«
»Eine reicht«, erklärte Schruille. »Aber Vorlieben und Abneigungen haben damit wirklich nichts zu tun.«
»Dann stimmen wir eben ab«, schlug Calapine vor.
»Weil ihr beiden gegen mich seid?« höhnte Nourse.
»Sie meint doch eine allgemeine Abstimmung«, widersprach Schruille und sah zu den Spionen hinauf. »Unser Forum ist doch komplett.«
Nourse wußte, daß er in die Falle gegangen war. Gegen eine allgemeine Abstimmung konnte er nichts einwenden, und seine zwei Kameraden schienen sich ihrer Sache sicher zu sein.
»Wir haben es den Cyborgs erlaubt, sich einzumischen«, sagte Nourse, »denn sie haben das Verhältnis von Lebensfähigen in der genetischen Reserve verbessert. Haben wir das nur getan, um diese genetische Reserve zu vernichten?«
Schruille deutete auf eine Reihe Binarpyramiden an der Wand der Kugel. »Sicher, wenn sie uns gefährden. Aber es geht um die nichtregistrierten Lebensfähigen und ihre mögliche Immunität gegen das empfängnisverhütende Gas. Wo sonst konnte denn der Ersatzembryo erzeugt worden sein?«
»Wenn es an dem ist — wir brauchen keinen von ihnen«, meinte Calapine.
»Sie alle vernichten?« fragte Nourse. »Das ganze Volk?«
»Und neue Doppelgänger heranzüchten«, antwortete sie, »warum nicht?«
»Duplikate sind nicht immer so gut wie die Originale«, wandte Nourse ein.
»Nichts setzt uns Grenzen«, sagte Schruille.
»Unsere Sonne ist auch nicht ewig.«
»Das Problem werden wir lösen, wenn es sich stellt«, schlug Calapine vor. »Welches Problem kann uns herausfordern? Die Zeit setzt uns keine Grenzen.«
»Aber wir sind steril«, wandte Nourse ein, »und unsere Gefährten lehnen eine Verbindung ab.«
»Daran tun sie gut«, erklärte Schruille, »ich würde es auch gar nicht anders haben wollen.«
»Wir brauchen jetzt also nur noch eine einfache Abstimmung, ob man sie einfängt und die kleine Bande Krimineller herbringen läßt. Weshalb also die Debatten?« meinte Calapine.
Nourse setzte zum Sprechen an, besann sich aber dann anders und schüttelte den Kopf.
»Nun?« fragte Schruille.
»Ich glaube, diese kleine Bande ist richtig«, sagte Nourse. »Ein Sterriechirurg, zwei Cyborgs, zwei Lebensfähige.«
»Und Durant war bereit, den Sterrie zu töten«, meinte Schruille.
»Nein.« Das war Calapine, »Er war nicht bereit, auch nur einen auszulöschen.« Plötzlich zeigte sie Interesse an Nourses Überlegungen. Seine Logik und Vernunft hatten sie immer angezogen.
Читать дальше