Lizbeth las nun ihren Mann und drehte sich um.
»Er ist Genchirurg«, fuhr Harvey fort. »Er hat ihnen gedient. Er ist unfruchtbar, ein Nichts. Er hat keine Zukunft.«
»Ist das Ihre Wahl?« fragte Boumour.
Svengaard sah Harvey an. »Heißt das, daß Sie mich ermorden wollen?« fragte er. Seine Stimme klang unbewegt, und das erstaunte Harvey.
»Sie protestieren gar nicht?«
»Warum streiten?« fragte Svengaard. »Vieles, was er sagt, stimmt, und er hat sich ja bereits entschieden.«
»Wie soll es geschehen?« fragte Harvey.
»Strangulieren«, meinte Boumour. Harvey erkannte in seiner Stimme schon die klinische Gefühllosigkeit der Cyborgs.
»Ein rascher Schlag in den Nacken ist besser«, riet Igan. »Oder eine Injektion. Ich habe etwas in meiner Tasche.«
Harvey fühlte, wie Lizbeth zitterte. Er tätschelte ihr beruhigend den Arm. »Harvey!« bat sie. Er schüttelte den Kopf und trat zu Svengaard.
Igan zog sich zu Boumour zurück und wartete.
Harvey kniete neben Svengaard nieder und legte seine Hände um die Kehle des Chirurgen. Er beugte sich zu seinem Ohr hinab. »Denen ist es gleich, wie ich Sie umbringe«, flüsterte er. »Was meinen Sie dazu?«
Svengaard fühlte die Hände an seiner Kehle. Er konnte versuchen, mit seinen gefesselten Händen diese Finger zu lösen, doch er wußte, es würde ihm nicht gelingen. Harvey war zu stark.
»Und Ihre eigene Wahl?« flüsterte Harvey.
»Tu es endlich!« rief Boumour.
Vor wenigen Sekunden noch hatte Svengaard seinen Tod herbeigesehnt. Jetzt wußte er ganz plötzlich, daß er leben wollte, leben …
»Ich will leben«, röchelte er.
»Ist das Ihre Wahl?«
»Ja.«
»Und warum wollen Sie leben?« fragte Harvey laut. Der Druck seiner Hände ließ nach; es war eine geheime Verständigung. Selbst ohne Training konnte man das lesen.
»Ich habe niemals wirklich gelebt«, antwortete Svengaard. »Ich will es jetzt versuchen.«
»Und wie wollen Sie Ihre Existenz rechtfertigen?« Seine Finger drückten kaum merklich auf Svengaards Kehle. Der sah Lizbeth an und erriet schließlich die Richtung von Harveys Gedanken. Dann warf er Boumour und Igan einen Blick zu.
»Was reden Sie da mit unserem Gefangenen?« protestierte Boumour.
»Sind diese beiden Cyborgs?« fragte Svengaard.
»Unwiderruflich«, erklärte Harvey. »Ohne menschliche Gefühle, oder so nahe daran, daß es nichts mehr ausmacht.«
»Wie können Sie ihnen dann Ihre Frau anvertrauen?«
Harveys Finger lockerten sich.
»So könnte ich meine Existenz rechtfertigen«, sagte Svengaard.
Harvey nahm die Hände von Svengaards Kehle und drückte die Schultern des Mannes. Das war mehr als Worte, als ein Versprechen. Svengaard wußte, daß er nun einen Verbündeten hatte.
Boumour trat zu ihnen. »Bringst du ihn jetzt endlich um oder nicht?«
»Niemand hier wird ihm ein Haar krümmen«, erklärte Harvey bestimmt.
»Was tust du dann noch?«
»Ich löse ein Problem.« Harvey legte eine Hand auf Svengaards Arm. Der verstand sofort die Bedeutung des unmerklichen Druckes: Warte. Verhalte dich ruhig. Laß mich handeln.
»Und was geschieht jetzt mit dem Gefangenen?« fragte Boumour.
»Ich werde ihn befreien und meine Frau seiner Fürsorge anvertrauen«, antwortete Harvey.
»Und wenn wir damit nicht einverstanden sind?« knurrte Boumour.
»Welche Idiotie!« schrie Igan. »Wie kann man ihm vertrauen, solange wir da sind?«
»Das ist ein Mensch«, erwiderte Harvey. »Was er für meine Frau tut, das tut er aus Menschlichkeit; er behandelt sie nicht mechanisch wie eine Maschine, die einen Embryo trägt.«
»Unsinn!« fauchte Igan. Aber er wußte nun, daß Harvey sie beide als Cyborgs erkannt hatte.
Boumour hob eine Hand. »Du hast noch nicht gesagt, was du tun wirst, wenn wir dagegen sind«, warf er ein.
»Ihr seid noch keine ganzen Cyborgs. Das erkenne ich an eurer Unsicherheit, an eurer Angst. Ihr ändert euch noch, und für euch ist noch alles neu. Wahrscheinlich seid ihr noch sehr verletzlich.«
»Und Glisson?« fragte Boumour und trat ein paar Schritte zurück.
»Glisson braucht vertrauenswürdige Verbündete«, antwortete Harvey, »und ich gebe ihm einen.«
»Wie weißt du, daß du Svengaard vertrauen kannst?« fragte Igan.
»Mit euren Fragen beweist ihr nur, daß ihr noch nicht fertig seid.« Harvey löste Svengaards Fesseln, erst an den Händen, dann an den Füßen.
»Ich sehe mich nach Glisson um«, erklärte Igan und ging hinaus.
Harvey stand auf und sah Svengaard in die Augen. »Was weißt du über den Zustand meiner Frau?« fragte er.
»Ich habe Igan zugehört«, antwortete er. »Jeder Arzt studiert die Geschichte der genetischen Ursprünge. Ich habe einiges akademische Wissen über ihren Zustand.«
Boumour knurrte verächtlich.
»Hier ist Igans Tasche«, sagte Harvey. »Nun erkläre mir, weshalb meine Frau sich krank fühlte.«
»Bist du nicht zufrieden mit Igans Erklärung?« grollte Boumour. Der Gedanke schien ihn wütend zu machen.
»Er behauptete, das sei ganz natürlich. Aber wie kann Krankheit natürlich sein?«
»Sie hat Medikamente erhalten«, sagte Svengaard. »Weißt du, was es war?«
»Es scheint ein Beruhigungsmittel gewesen zu sein.«
Svengaard trat zu Lizbeth, besah sich ihre Augen, betastete ihre Haut. »Bring die Tasche«, bat er und nickte Harvey zu. Er führte Lizbeth zu einem leeren Polster. Der Gedanke an diese Untersuchung faszinierte ihn. Früher einmal hatte er sie ekelhaft gefunden; jetzt, da Lizbeth auf uralte Art einen Embryo in ihrem Leib trug, war er von diesem Geheimnis gefesselt.
Gehorsam ließ sich Lizbeth auf das Polster fallen. Sie hatte Angst — nicht vor Svengaard, denn seine Hände wirkten beruhigend auf sie, sondern sie fürchtete die Wirkung der Droge, die Igan ihr gegeben hatte.
Svengaard öffnete die Tasche und rief sich seine Studienjahre ins Gedächtnis zurück; er prüfte nach, was man ihn zu prüfen gelehrt hatte: Blutdruck, Enzyme, Hormonproduktion, Körpersekrete. Dann setzte er sich zurück und runzelte die Brauen.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte Harvey.
Boumour stand mit gekreuzten Armen hinter Harvey. »Ja, sag es uns.«
»Der Komplex der Menstrualhormone ist viel zu hoch«, erklärte Svengaard.
»Der Embryo steuert diesen Wechsel«, knurrte Boumour.
»Ja. Aber warum stimmt dann die Hormonproduktion nicht?«
»Du weißt ja mehr, also kannst du es uns sagen«, murmelte Boumour.
Svengaard überhörte den Spott darin und sah ihn an. »Du hast das doch schon öfter gemacht. Hattest du dabei Fälle von spontanen Fehlgeburten?«
»Ja«, gab Boumour zögernd zu.
»Ich vermute, der Embryo ist mit dem Endometrium noch nicht fest verbunden«, erläuterte Svengaard seine Überlegungen. »Mit der Wand des Uterus«, fügte er für Harvey hinzu. »Der Embryo klammert sich an die Uteruswand, nistet sich dort ein. Zyklushormone bereiten den Uterus darauf vor.«
Boumour zuckte die Achseln. »Nun ja, wir rechnen immer mit dem Verlust eines gewissen Prozentsatzes.«
»Meine Frau ist nicht ein gewisser Prozentsatz«, knurrte Harvey. Er warf Boumour einen so wütenden Blick zu, daß dieser drei Schritte zurücktrat.
»Aber das kommt vor«, antwortete Boumour. »Und was tust du jetzt?« fragte er, als Svengaard eine Ampulle aus Igans Tasche aufzog.
»Ich gebe ihr ein Anregungsmittel zur Hormonproduktion«, erklärte er. Auf Durants Gesicht spiegelte sich Unruhe. »Das ist das Beste, was wir jetzt tun können, Durant. Es wird auch wirken, wenn all dies das ganze System nicht schon zu sehr durcheinandergebracht hat.« Mit einer Handbewegung deutete er Flucht, Gefühlsbelastung und Anstrengung an.
»Tu nur, was du für gut hältst«, meinte Harvey, »ich weiß, du tust dein Bestes.«
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