Da er und sein Besucher beide grüne Interimsuniformen trugen, salutierte Miles vor dem dritten Mann, obwohl dessen Uniform weder Rang- noch Dienstbereichsabzeichen trug. Er war dünn, von mittlerer Größe, mit dunklem Haar und intensiven nußbraunen Augen. Ein schiefes Lächeln erschien in dem ernsten jungen Gesicht, dem Lachfalten fehlten.
»Majestät«, sagte Miles förmlich.
Kaiser Gregor Vorbarra machte einen Ruck mit dem Kopf, und Miles schloß die Tür vor dem Sicherheitsduo. Der dünne junge Mann entspannte sich leicht. »Hallo, Miles.«
»Hallo selbst. Uff …« Miles ging zu den Lehnstühlen. »Willkommen in meiner bescheidenen Hütte. Arbeiten die Wanzen?«
»Ich habe gebeten, daß nicht, aber ich wäre nicht überrascht, wenn Illyan mir nicht gehorcht, zu meinem eigenen Besten.«
Gregor verzog das Gesicht und folgte Miles. An seiner linken Hand hing ein Plastikbeutel, aus dem es gedämpft klirrte. Er ließ sich auf dem größeren Stuhl nieder, demselben, den Miles vorhin gerade verlassen hatte, lehnte sich zurück, hängte ein Bein über eine Armlehne und seufzte matt, als wäre alle Luft aus ihm gewichen. Er hielt den Beutel hoch.
»Hier. Elegante Anästhesie.«
Miles nahm den Beutel und guckte hinein. Zwei Flaschen Wein, bei Gott, schon gekühlt. »Gott segne dich, mein Sohn. Ich habe mir schon gewünscht, ich könnte mich tagelang besaufen. Wie hast du das herausbekommen? Apropos, wie bist du hier hereingekommen? Ich dachte, ich befände mich in Einzelhaft.«
Miles stellte die zweite Flasche in den Kühlschrank, holte zwei Gläser und blies den Staub aus ihnen fort.
Gregor zuckte die Achseln.
»Sie konnten mich schwerlich draußen halten. Ich werde immer besser darin, auf etwas zu bestehen, weißt du. Doch Illyan hat dafür gesorgt, daß mein privater Besuch wirklich privat ist, darauf kannst du wetten. Und ich kann nur bis 25 Uhr bleiben.«
Gregors Schultern sanken zusammen, niedergedrückt von seinem bis auf die Minute bestimmten Zeitplan. »Außerdem gewährt die Religion deiner Mutter eine Art gutes Karma für den Besuch von Kranken und Gefangenen, und ich habe gehört, daß du beides in einem gewesen bist.«
Aha, also hatte seine Mutter Gregor diesen Tip gegeben. Miles hätte das schon ahnen können aufgrund des privaten Etiketts der Vorkosigans auf dem Wein — Himmel, sie hatte diesen guten Stoff geschickt.
Er hörte auf, die Flasche an ihrem Hals herumzuschwenken und hielt sie mit größerem Respekt. Miles war jetzt einsam genug, um ob dieser mütterlichen Intervention eher dankbar als verlegen zu sein. Er öffnete den Wein, goß ein und nahm nach barrayaranischer Sitte den ersten Schluck. Ambrosia! Er lümmelte sich auf den anderen Stuhl in einer Haltung, die der Gregors ähnelte. »Freut mich jedenfalls, dich zu sehen.«
Miles betrachtete seinen alten Spielkameraden. Wenn sie sich vom Alter her noch etwas näher gewesen wären, dann hätten sie noch mehr die Rollen von Pflegebrüdern übernehmen können, Graf und Gräfin Vorkosigan waren Gregors offizielle Vormunde gewesen, seit dem Chaos und dem Blutvergießen während Vordarians Versuch, den Thron zu rauben.
In ihrer Kindergruppe waren sie jedenfalls als ›sichere‹ Kameraden zusammen gewesen, Miles, Ivan, Elena, die fast gleichaltrig waren, und Gregor, der sich schon damals würdevoll benahm und Spiele tolerierte, für die er eigentlich schon ein bißchen zu alt war.
Gregor nahm sein Weinglas und trank einen Schluck. »Tut mir leid, daß es sich für dich nicht so gut entwickelt hat«, sagte er schroff.
Miles legte seinen Kopf schräg. »Ein kurzer Soldat, eine kurze Karriere.« Er nahm einen größeren Schluck. »Ich hatte gehofft, ich würde den Planeten verlassen. Im Schiffsdienst.«
Gregor hatte die Kaiserliche Akademie zwei Jahre vor Miles’ Eintritt absolviert. Er hob zustimmend die Augenbrauen. »Tun wir doch alle.«
»Du hattest ein Jahr aktiven Dienst im Weltraum«, betonte Miles.
»Meistens im Orbit. Angebliche Patrouillen, umgeben von Sicherheitsshuttles. Dieses ganze So-tun-als-ob wurde nach einiger Zeit ziemlich quälend. So tun, als ob ich ein Offizier wäre, so tun, als ob ich eine Aufgabe erfüllte, anstatt die Aufgabe aller anderen bloß durch meine Anwesenheit schwerer zu machen … dir wurde zumindest echte Gefahr erlaubt.«
»Das meiste davon war ungeplant, das versichere ich dir.«
»Ich bin zunehmend überzeugt, daß das der Trick an der Sache ist«, fuhr Gregor fort. »Dein Vater, meiner, unsere beiden Großväter — alle überlebten echte militärische Situationen. Dadurch wurden sie zu echten Offizieren, nicht durch diese … Studien.« Seine freie Hand machte eine Bewegung, als wollte er etwas abhacken.
»Sie gerieten gegen ihren Willen in diese Situationen«, widersprach Miles. »Meines Vaters militärische Karriere begann offiziell an dem Tag, als das Todeskommando von Yuri dem Wahnsinnigen hereinstürmte und die meisten Mitglieder seiner Familie umbrachte — ich glaube, er war damals elf oder so. Auf eine solche Art von Initiation würde ich lieber verzichten, nein danke. So etwas würde sich niemand aussuchen, der noch bei klarem Verstand ist.«
»Mm.« Gregor sank deprimiert zusammen. Auf ihm lastete an diesem Abend, vermutete Miles, sein legendärer Vater, Prinz Serg, so wie auf Miles dessen lebender Vater, Graf Vorkosigan.
Miles dachte kurz über seine Idee von den ›Zwei Sergs‹ nach. Einer — vielleicht die einzige Version, die Gregor kannte? — war der tote Held, tapfer auf dem Schlachtfeld geopfert oder zumindest sauber im Orbit atomisiert. Der andere, der Verheimlichte Serg: der hysterische Kommandant und sadistische Sodomit, dessen früher Tod in der unseligen Invasion von Escobar vielleicht der größte politische Glücksfall gewesen war, den Barrayar je gehabt hatte …
Hatte je ein Hinweis auf die vielen Facetten dieser Persönlichkeit zu Gregor durchdringen dürfen? Niemand, der Serg gekannt hatte, sprach über ihn, Graf Vorkosigan am allerwenigsten. Miles war einmal einem von Sergs Opfern begegnet. Er hoffte, daß Gregor so etwas erspart bliebe.
Miles beschloß, das Thema zu wechseln. »Da wir nun alle wissen, was mit mir passiert ist, was war eigentlich mit dir los in den letzten drei Monaten? Es tut mir leid, daß ich deine letzte Geburtstagsparty versäumt habe. Oben auf Kyril haben sie deinen Geburtstag mit Besaufen gefeiert, was ihn praktisch ununterscheidbar von jedem beliebigen anderen Tag gemacht hat.«
Gregor grinste, dann seufzte er. »Zu viele Zeremonien. Zu viele Stunden, die ich irgendwo aufrecht herumstehen muß — ich glaube, ich könnte bei der Hälfte meiner Funktionen durch ein lebensgroßes Plastikmodell ersetzt werden, und niemand würde es merken. Eine Menge Zeit habe ich damit verbracht auszuweichen, wenn einer meiner verschiedenen Ratgeber mir einen Wink mit dem Zaunpfahl bezüglich einer Heirat gab.«
»Da ist tatsächlich etwas dran«, gab Miles zu bedenken. »Wenn du morgen … von einem Teewagen überfahren wirst, dann stellt sich für alle die Nachfolgefrage in großem Stil. Ich weiß auf Anhieb mindestens sechs Kandidaten mit vertretbaren Interessen am Kaisertum, und weitere würden bestimmt noch auftauchen. Einige ohne persönliche Ambitionen würden dennoch Morde begehen, damit einige andere nicht zum Zuge kämen. Das ist ja genau der Grund, weshalb du bisher noch keinen namentlich bestimmten Erben hast.«
Gregor hob herausfordernd den Kopf. »Du gehörst ja selbst zu den Kandidaten, wie du weißt.«
»Mit diesem Körper?« Miles schnaubte. »Sie müßten … wirklich jemanden sehr hassen, um statt dessen mich dafür auszuersehen. Dann wäre es wirklich höchste Zeit, von zu Hause wegzulaufen. Weit und schnell. Tu mir einen Gefallen. Verheirate dich, gründe eine Familie und bekomm wirklich schnell sechs kleine Vorbarras.«
Читать дальше