Miles seufzte, packte die Lisetten wieder zusammen und trottete davon, mit dem Päckchen unter dem Arm, zurück zur Basis, um es dem Sanitätsoffizier zu übergeben. Der einzige Kommentar des Arztes, als Miles ihn aufgesucht und ihm seinen Fund erklärt hatte, war: »Ja, Tod aus Dummheit, ganz richtig.«
Geistesabwesend biß er in eine Lisette und rümpfte die Nase.
Miles’ Zeit beim Sondereinsatz in der Wartungsabteilung endete am nächsten Tag, ohne daß er in den Abwasserkanälen etwas fand, das noch interessanter gewesen wäre als der Ertrunkene. Vermutlich war das auch ganz gut so.
Am darauffolgenden Tag kam Ahns Bürokorporal von seinem langen Urlaub zurück. Miles entdeckte, daß der Korporal, der in dem Wetterbüro ungefähr zwei Jahre gearbeitet hatte, ein bereitwilliges Reservoir für den größten Teil derjenigen Informationen war, die er in den letzten zwei Wochen seinem Gehirn einzutrichtern versucht hatte. Allerdings hatte der Korporal nicht Ahns Nase.
Ahn verließ Camp Permafrost tatsächlich nüchtern und stieg aus eigener Kraft die Transportrampe hinauf. Miles ging zum Landeplatz des Shuttles, um Ahn zu verabschieden, wobei er sich nicht sicher war, ob er froh oder traurig darüber sein sollte, den Wettermann abreisen zu sehen. Ahn schaute jedoch glücklich aus, sein sonst so kummervolles Gesicht strahlte fast.
»Wo werden Sie denn jetzt hingehen, sobald Sie Ihre Uniform abgegeben haben?«, fragte Miles ihn.
»Zum Äquator.«
»Aha. Und wo am Äquator?«
»Irgendwo am Äquator«, erwiderte Ahn mit Inbrunst.
Miles hoffte, daß er sich wenigstens einen Ort mit einer geeigneten Landmasse aussuchen würde.
Ahn zögerte auf der Rampe und blickte auf Miles herab.
»Hüten Sie sich vor Metzov«, riet er ihm zuletzt.
Diese Warnung schien bemerkenswert spät zu kommen, ganz abgesehen davon, daß sie irritierend vage war. Miles blickte Ahn mit hochgezogenen Augenbrauen unwillig an. »Ich glaube nicht, daß ich oft in seinem privaten Terminkalender stehe.«
Ahn wand sich verlegen. »Das habe ich nicht gemeint.«
»Was meinen Sie dann?«
»Naja … ich weiß nicht. Ich habe einmal gesehen …«
»Was?«
Ahn schüttelte den Kopf. »Nichts. Es ist schon lange her. Damals geschahen eine Menge verrückter Dinge, am Höhepunkt der Revolte von Komarr. Aber es ist besser, wenn Sie ihm aus dem Weg gehen.«
»Ich hatte schon früher mit alten Schleifern zu tun.«
»Oh, er ist nicht gerade ein Schleifer. Aber er hat so einen Anflug von … er kann auf eine komische Art gefährlich sein. Bedrohen Sie ihn nie wirklich, ja?«
»Ich Metzov bedrohen?« Miles verzog verblüfft sein Gesicht.
Vielleicht war Ahn doch nicht so nüchtern, wie er roch.
»Kommen Sie, er kann nicht so schlimm sein, sonst hätte man ihn nie über die Rekruten gesetzt.«
»Er hat keinen Befehl über die Rekruten. Die haben ihre eigene Kommando-Struktur, die mit ihnen mitkommt — die Instruktoren unterstehen ihrem eigenen Kommandanten. Metzov ist nur zuständig für die permanente Infrastruktur der Basis. Sie sind ein aufdringlicher kleiner Kerl, Vorkosigan. Sie sollten ihn einfach … nicht in die Ecke drängen, sonst würde es Ihnen leidtun. Und das ist alles, was ich sagen werde.« Ahn machte entschlossen den Mund zu und stieg die Rampe hinauf.
Es tut mir schon jetzt leid, wollte Miles ihm nachrufen. Nun gut, seine Strafwoche war jetzt vorbei. Vielleicht war es Metzovs Absicht gewesen, Miles mit dem Sondereinsatz zu demütigen, aber in Wirklichkeit war es ja sehr interessant gewesen. Daß er sein Scatcat hatte versinken lassen, na ja — das hatte ihn gedemütigt. Aber das hatte er sich ja selbst eingebrockt.
Miles winkte ein letztesmal Ahn zu, als der in dem Transportshuttle verschwand, zuckte dann die Achseln und machte sich auf den Rückweg über das Rollfeld zu dem inzwischen schon vertrauten Verwaltungsgebäude. Nachdem sein Korporal das Wetterbüro verlassen hatte, um zum Mittagessen zu gehen, dauerte es noch ein paar Minuten, bis Miles der Versuchung nachgab, die Fährte aufzunehmen, auf die Ahn ihn gebracht hatte. Er rief Metzovs öffentlich zugängliche Daten an der Komkonsole auf. Die bloße Auflistung der Lebensdaten, Versetzungen und Beförderungen des Stützpunktkommandanten war nicht sonderlich informativ, obwohl man mit ein bißchen historischem Wissen manches zwischen den Zeilen lesen konnte.
Metzov war vor etwa fünfunddreißig Jahren in die Streitkräfte eingetreten. Seine schnellsten Beförderungen hatten, das war nicht überraschend, während der Eroberung des Planeten Komarr vor fünfundzwanzig Jahren stattgefunden.
Das an Wurmlöchern reiche Komarr-System war Barrayars einziges Tor zum größeren galaktischen Geflecht von Wurmlochrouten. Komarr hatte seine immense strategische Bedeutung für Barrayar früher in diesem Jahrhundert bewiesen, als seine herrschende Oligarchie bestochen worden war, um eine cetagandanische Invasionsflotte durch ihre Wurmlöcher passieren und Barrayar überfallen zu lassen.
Die Cetagandaner wieder zu vertreiben hatte fast eine ganze barrayaranische Generation aufgerieben. Barrayar hatte in den Tagen von Miles’ Vater die Konsequenzen aus dieser blutigen Lektion gezogen. In einem unvermeidbaren Nebeneffekt der Sicherung der Tore von Komarr war Barrayar von einer rückständigen Sackgasse zu einer nicht unbedeutenden galaktischen Macht geworden und rang jetzt immer noch mit den Folgen dieser Entwicklung.
Vor zwanzig Jahren, bei Vordarians Usurpation, einem rein barrayaranischen Versuch, dem fünfjährigen Kaiser Gregor und seinem Regenten die Macht zu entreißen, war es Metzov irgendwie gelungen, am Ende auf der richtigen Seite zu stehen — daß er bei diesem Bürgerkrieg die falsche Seite gewählt hätte, wäre Miles erste Vermutung gewesen, warum ein anscheinend so fähiger Offizier schließlich seine späten Jahre im Eis auf Kyril verbrachte. Aber der fatale Knick in Metzovs Karriere schien während der Revolte von Komarr stattgefunden zu haben, vor nun etwa sechzehn Jahren.
In dieser Datei gab es keinen Hinweis auf den Grund, aber einen Verweis auf eine andere Datei. Mit einem Code des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes, wie Miles erkannte. Da endete die Spur. Oder vielleicht auch nicht. Miles preßte nachdenklich die Lippen zusammen und tippte an seiner Komkonsole einen anderen Code ein.
»Planungszentrum, Büro von Kommodore Jollif«, begann Ivan formell, während sein Gesicht auf der Vidscheibe der Komkonsole erschien, dann fuhr er fort: »Oh, hallo, Miles. Was gibt’s?«
»Ich stelle ein paar Nachforschungen an. Dachte, du könntest mir dabei aushelfen.«
»Ich hätte wissen sollen, daß du mich nicht im Hauptquartier nur deshalb anrufen würdest, um mit mir ein bißchen zu plaudern. Also, was willst du?«
»Ach … bist du im Augenblick im Büro allein?«
»Ja, der Alte steckt in einer Sitzung. Ein nettes kleines Problem — ein auf Barrayar registrierter Frachter wurde in der HegenNabe auf der Station von Vervain beschlagnahmt, wegen Verdacht auf Spionage.«
»Können wir nicht dort hin? Und mit gewaltsamer Befreiung drohen?«
»Nicht an Pol vorbei. Barrayaranische militärische Raumschiffe dürfen nicht durch polianische Wurmlöcher springen, basta.«
»Ich dachte, wir wären irgendwie mit Pol befreundet.«
»Irgendwie schon. Aber die Vervani haben damit gedroht, die diplomatischen Beziehungen zu Pol abzubrechen, deshalb sind die Polianer besonders vorsichtig. Die komische Sache dabei ist, daß der fragliche Frachter nicht einmal einer unserer wirklichen Agenten ist. Scheint eine völlig fabrizierte Anschuldigung zu sein.«
Politik der Wurmlochrouten. Sprungschifftaktik. Gerade die Art von Herausforderung, für die Miles in seinen Kursen auf der Kaiserlichen Akademie trainiert worden war. Außerdem war es auf diesen Raumschiffen und Raumstationen vermutlich warm. Er seufzte neidisch.
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