Ich meine das nicht wörtlich, denn um die achtunddreißig Grad hatte ich ohnehin ständig. Das war eine Frage des Klimas, vielleicht schlägt es sich auch aufs Gehirn nieder. Ich nahm fünf Stangen Dynamit und sprengte den Hügel, der uns im Wege stand. Als ich die Lunte anbrannte, verbargen wir uns hinter anderen. Die Explosion klang gedämpft, ihre Stärke war ins Innere gegangen. Der Boden bebte, aber die anderen Hügel blieben stehen. Von dem gesprengten waren nur große, verkrustete Splitter übrig, die von weißen Leibern wimmelten. Bisher hatten wir einander keinen Schaden zugefügt, doch nun begann der Kampf. Der durch die Explosion entstandene Krater war nicht zu durchschreiten — zu Zehntausenden krochen die Termiten aus dem Schlund und ergossen sich wie eine Welle über die Umgebung, tasteten jeden Fingerbreit Boden ab. Ich entzündete den Schwefel und nahm den Behälter auf den Rücken. Sie wissen, dieses Gerät erinnert an eine Spritze, mit der die Gärtner Sträucher besprengen, oder an einen Flammenwerfer. Beißender Qualm kam aus dem Rohr, das ich in der Hand hielt. Ich setzte die eine Gasmaske auf, die zweite gab ich dem Jungen, dazu die speziell für diesen Zweck bestellten Schuhe, die mit einem dünnen Stahlnetz umflochten waren. Damit kamen wir hinüber. Der Qualm trieb die Termiten beiseite. Die sich nicht zurückzogen, kamen um. An einer Stelle mußte ich Benzin ausgießen und anzünden, um zwischen uns und der Termitenflut eine Sperre aus Feuer zu legen. Hundert Meter blieben noch bis zu dem schwarzen Termitenhügel. Von Schlaf konnte keine Rede sein. Wir saßen neben dem unaufhörlich räuchernden Schwefelbehälter und leuchteten mit den Taschenlampen. Was für eine Nacht! Haben Sie schon mal sechs Stunden unter der Gasmaske gesteckt? Nein? Nun, dann stellen Sie sich vor, was es bedeutet, in einem erhitzten Gummirüssel zu stecken! Wenn ich freier atmen wollte und die Maske lüftete, erstickte ich fast an dem Qualm. So verging die Nacht. Der Junge zitterte unablässig, ich hatte Angst, es könnte das Fieber sein. Endlich kam der neue Tag. Das Wasser ging zu Ende, wir hatten nur noch einen Kanister. Er reichte, wenn wir unseren Durst nur sparsam löschten, höchstens noch drei Tage.
Wir mußten schleunigst zurück…“
Der Professor hielt inne, schlug die Augen auf und sah auf die Feuerstelle. Die Glut war völlig grau geworden. Das Licht der Lampe erfaßte das Zimmer, ein sanfter grüner Schimmer, der durch eine Wasserfläche zu sickern schien. „Dann erreichten wir den schwarzen Hügel.“ Er hob die Hand.
„So sah er aus. Wie ein gekrümmter Finger. Die Oberfläche war glatt, wie poliert. Er war von niedrigen Hügeln umgeben, die sonderbarerweise nicht senkrecht standen, sondern sich zu ihm neigten wie versteinerte Ungeheuer in einer grotesken Verbeugung.
Ich stapelte alle unsere Vorräte an einer Stelle dieses Runds, das etwa vierzig Schritte maß, und ging ans Werk. Ich wollte den schwarzen Bau nicht mit Dynamit zerstören. Seit wir diesen Raum betreten hatten, zeigten sich keine Termiten mehr, die Gasmasken konnten endlich herunter. Was für eine Wohltat! Einige Minuten lang gab es auf Erden keinen glücklicheren Menschen als mich. Der unbeschreibliche Genuß, frei atmen zu können — und dieser schwarze Bau, unwahrscheinlich gekrümmt, nichts anderem ähnlich, was ich je gesehen hatte. Wie ein Verrückter sang und tanzte ich, ungeachtet des Schweißes, der in Strömen über die Stirn floß. Der kleine Uagadu sah ganz erschrocken aus, vielleicht dachte er, ich verehrte eine schwarze Gottheit… Ich kühlte jedoch rasch wieder ab, es gab nicht viel Grund zur Freude: Das Wasser ging zu Ende, der Trockenproviant reichte kaum für zwei Tage. Allerdings blieben die Termiten. Die Neger betrachteten sie als Leckerbissen, ich aber konnte mich nicht überwinden.
Freilich, der Hunger lehrte vieles…“
Er stockte wieder, seine Augen blitzten. „Um nicht viele Worte zu machen, mein Herr, ja, ich knackte diesen Bau. Der alte Nfo Tuabe hatte die Wahrheit gesagt!“
Er beugte sich vor, seine Züge strafften sich, er sprach jetzt ohne Pause.
„Zuerst befand sich dort eine Schicht von Gewebe, ein dünnes Gespinst von außerordentlicher Glätte und Festigkeit. Darunter lag die zentrale Kammer, umgeben von einer dicken Schicht Termiten. Waren das überhaupt Termiten? In meinem Leben hatte ich solche noch nicht gesehen. Riesengroß, flach wie eine Hand, mit silbernen Härchen bedeckt. Die Köpfe waren trichterförmig und endeten in einer Art Antennen. Diese berührten einen grauen Gegenstand, nicht größer als meine Faust. Die Insekten waren unsagbar alt, reglos wie aus Holz. Die Abdomen pulsierten gleichmäßig. Sie setzten sich nicht einmal zur Wehr; als ich sie von dem zentralen Gegenstand, diesem ungewöhnlichen runden Ding, abstreifte, starben sie auf der Stelle. Sie zerfielen mir in den Händen wie morsche Lumpen. Ich hatte weder Zeit noch Kraft, alles zu untersuchen, entnahm der Kammer nur jenen Gegenstand, verschloß ihn in einer Stahlkassette und machte mich mit meinem Uagadu unverzüglich auf den Rückweg.
Reden wir nicht davon, wie ich die Küste erreichte. Wir stießen auf rote Ameisen. Ich segnete den Augenblick, in dem ich den Entschluß gefaßt hatte, einen vollen Benzinkanister mit zurückzuschleppen. Hätten wir das Feuer nicht gehabt… Aber lassen wir das, es ist eine Geschichte für sich. Ich sage Ihnen nur noch eines: Bei der ersten Rast sah ich mir genau an, was ich dem schwarzen Hügel entrissen hatte. Nach Reinigung von allem Beschlag zeigte sich eine Kugel von idealer Form. Sie war aus einer schweren Substanz, durchsichtig wie Glas, brach das Licht aber unvergleichlich stärker. Schon dort im Dschungel zeigte sich ein Phänomen, das ich anfangs gar nicht beachtete. Ich glaubte, es könnte eine Sinnestäuschung sein. Nach Erreichen der zivilisierten Landstriche an der Küste und noch später konnte ich mich überzeugen, wie sehr ich mich darin geirrt hatte.“ Er lehnte sich ganz in den Sessel zurück, so daß er im Schatten fast unsichtbar wurde. Nur der Kopf hob sich vom helleren Hintergrund ab.
„Ich wurde von Insekten verfolgt“, sagte er. „Von Schmetterlingen, Nachtfaltern, Spinnentieren, Hautflüglern, von allem, was Sie wollen. Tag und Nacht zogen sie mir in einer schwirrenden Wolke nach. Eigentlich nicht mir, sondern meinem Gepäck, der metallenen Kassette, in der die Kugel steckte. Während der Überfahrt mit dem Schiff wurde es etwas besser, mit radikalen Insektenvertilgungsmitteln wurde ich die Plage los, denn neue kamen nicht hinzu — die gibt es nicht auf hoher See. Kaum war ich aber in Frankreich gelandet, begann alles von vorn. Am schlimmsten waren die Ameisen. Sie erschienen, wo immer ich mich auch nur länger als eine Stunde aufhielt. Große und kleine, schwarze und rote, Pharao- und Roßameisen — alle wurden unwiderstehlich von dieser Kugel angezogen, sie sammelten sich auf der Kassette und hüllten sich in einen wimmelnden Klumpen, sie zerschnitten, zerfraßen und zerstörten alle Hüllen, in die ich den Behälter packte. Sie erstickten sich gegenseitig und kamen um, sie sonderten Säure ab, um das Stahlblech damit anzugreifen…“ Nach kurzer Pause fuhr er fort: „Das Haus, in dem wir uns hier befinden, seine einsame Lage, alle von mir getroffenen Sicherheitsvorkehrungen haben ihre Ursache darin, daß ich unaufhörlich von Ameisen bedrängt werde…“ Er stand auf.
„Ich habe einen Versuch gemacht und von der Kugel mit Diamantbohrern ein Spänchen abgetrennt, das nicht größer ist als ein Mohnkorn. Es übt die gleiche Anziehungskraft aus wie die ganze Kugel. Ich habe auch entdeckt, daß ein dicker Bleimantel sie der Wirkung beraubt.“
„Irgendwelche Strahlen?“ fragte der Zuhörer mit heiserer Stimme. Wie hypnotisiert starrte er dorthin, wo kaum sichtbar das Antlitz des alten Gelehren schimmerte. „Möglich. Ich weiß es nicht.“
Читать дальше