Erst da, in seiner stinkenden, fensterlosen Höhle — Sie können sich den Mief nicht vorstellen —, sagte er mir, dort seien Ameisen. Blinde weiße Ameisen, die große Städte bauen. Ihr Land zieht sich kilometerlang hin. Die roten Ameisen kämpfen mit den weißen. Sie ergießen sich in einem großen, lebendigen Strom aus dem Dschungel. Dann brechen die Elefanten gewundene Tunnel ins Unterholz und verlassen die Gegend in Scharen. Die Tiger und selbst die Schlangen ergreifen die Flucht. Von den Vögeln bleiben nur die Geier. Die Züge der Ameisen sind unterschiedlich: manchmal einen Monat lang, Tag und Nacht, ein einziger rostroter, lebendiger Strom, der alles vernichtet, was immer ihm im Wege steht.
Die roten Ameisen gelangen an den Rand des Dschungels, stoßen auf die Bauten der weißen, und der Kampf beginnt. Nfo Tuabe hat ihn einmal in seinem Leben gesehen.
Die roten Ameisen überwältigen die Wachen der weißen und dringen in ihre Städte ein, ohne jemals zurückzukehren. Niemand weiß, was mit ihnen geschieht. Im Jahr darauf aber kommen neue Züge durch den Dschungel. So war es zu seines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters Zeiten, so war es immer. Da der Boden in der Stadt der weißen Ameisen fruchtbar ist, hatten ihn die Neger zu nutzen und die Bauten der Termiten auszuräuchern versucht. Sie hatten den Kampf jedoch verloren. Die Saaten wurden vernichtet, das Holz der Hütten und Gehöfte, in das die Termiten durch unterirdische Gänge drangen, von innen zerfressen, daß die ganze Konstruktion bei bloßer Berührung in sich zerfiel. Als man es mit Lehm versuchte, kamen statt der Arbeiter die Soldaten. Eben diese dort“, sagte der Professor und wies auf ein Glas.
Darin waren mit Klammern riesige Termiten an eine gläserne Platte geheftet. Es waren Soldaten, große, gleichsam verkrüppelte Geschöpfe, denn den dritten Teil des Rumpfes bedeckte ein Hornpanzer mit einem in klaffenden Scheren endenden Visier. Dieser starke Panzer schien die dünnen Beine und das Abdomen zu erdrücken. „Das ist Ihnen nichts Neues, nicht wahr? Wir wissen, daß es Landstriche gibt, wo Termiten herrschen. In Südamerika beispielsweise… Sie haben zwei Arten von Soldaten, etwas wie eine innere Polizei und Verteidiger.
Die Bauten erreichen Hohen bis zu acht Metern. Aus Sand und Ausscheidungen gebaut, bestehen sie aus einem Stoff, der härter ist als Portlandzement. Kein Stahl wird damit fertig. Augenlose, weiße, weiche Insekten, die seit Jahrmillionen vom Licht abgeschnitten leben. Packard, Schmelz und andere haben sie erforscht, aber keiner hat auch nur vermutet… Verstehen Sie? Ich habe seinen Sohn geheilt und dafür… Oh, das war ein Weiser. Er wußte, wie er seinen Dank auf königliche Weise abstatten konnte. Ein Neger mit schlohweißem Haar und aschgrauer Haut, wie eine Maske, die im Rauch gehangen hat.
„Die Hügel ziehen sich meilenweit hin“, erzählte er mir. „Die ganze Ebene ist mit ihnen bedeckt, wie ein Wald, ein toter Wald mit riesigen versteinerten Stümpfen, einer am anderen, daß man kaum zwischen ihnen durchkommt. Der Boden ist überall hart, er klingt hohl unter den Füßen und ist wie von einem Geflecht dicker Schnüre bedeckt. Das sind die Gänge, in denen die Termiten laufen. Sie sind aus dem gleichen Stoff wie die Hügel, sie ziehen sich weit hin, verschwinden in der Erde und kommen wieder hervor, sie gabeln und kreuzen sich, haben Zugänge ins Innere der Nester und Ausbuchtungen, wo die Termiten einander ausweichen können, wenn sie sich begegnen. Dort in der Tiefe der Stadt, unter einer Million versteinerter Termitenbauten, in denen ein heftiges, blindes Leben brodelt, gibt es einen anderen Hügel. Er ist klein, schwarz und hakenförmig gekrümmt.“ Mit seinem braunen Finger zeigte er mir sein Aussehen. „Dort ist das Herz des Volkes der Ameisen.“ Mehr wollte er nicht sagen.“
„Und Sie haben ihm Glauben geschenkt?“ flüsterte der Zuhörer.
Die schwarzen Augen des Professors flammten. „Ich bin nach Bom zurückgekehrt und habe fünfzig Kilogramm Dynamit in Pfundstäben gekauft, wie man sie im Bergbau verwendet. Dazu Hacken, Spaten, Schaufeln, eine ganze Ausrüstung. Behälter mit Schwefel, Metallschläuche, Schutzmasken, Netze — das Beste, was aufzutreiben war. Kanister mit Flugbenzin und ein Arsenal von Mitteln zur Insektenvertilgung, wie man es sich nur vorstellen kann. Dann mietete ich zwölf Träger und zog in den Dschungel. Kennen Sie das Experiment Collengers? Man hat es als Märchen abgetan, allerdings war er in der Myrmekologie auch nur Laie. Er durchschnitt einen Termitenbau von oben bis unten mit einer Stahlplatte, daß die beiden Hälften keinen Kontakt miteinander hatten. Der Hügel war neu, die Termiten bauten erst daran. Nach sechs Wochen wurde die Platte entfernt, und es zeigte sich, daß die neuen Gänge so gebaut waren, daß ihre Mündungen beiderseits der Trennwand genau aneinanderpaßten! Weder horizontal noch vertikal gab es auch nur einen Millimeter Abweichung. So bauen die Menschen einen Tunnel, den sie auf beiden Seiten gleichzeitig vortreiben, um sich im Innern des Berges zu treffen.
Wie haben sich die Termiten durch die Stahlplatte verständigt? Dann der Versuch von Gloss, ebenfalls nicht nachgeprüft. Er behauptete, wenn man eine Termitenkönigin töte, verrieten Insekten, die mehrere hundert Meter vom Bau entfernt seien, augenblicklich Erregung und kehrten zurück.“
Wieder hielt er inne. Er starrte in die rote Glut des Kamins, über die flüchtige blaue Flammen huschten. „Den Weg hatte ich… nun ja. Erst riß mir der Führer aus, dann der Dolmetscher. Sie warfen ihre Sachen weg und verschwanden. Am Morgen, wenn ich unter dem Moskitonetz erwachte, ringsumher Schweigen, vorstehende Augen, erschrockene Gesichter und Geflüster hinter meinem Rücken.
Zuletzt band ich sie alle aneinander und wickelte mir das Ende der Schnur um die Faust. Die Messer nahm ich ihnen ab, damit sie sich nicht losschneiden konnten.
Vom ständigen Mangel an Schlaf oder von der Sonne bekam ich eine Augenentzündung. Morgens waren die Lider so verklebt, daß ich sie nicht öffnen konnte. Und es war Sommer. Das Hemd vom Schweiß so steif wie gestärkt; faßte man den Helm von außen an, holte man sich Brandblasen, der Flintenlauf brannte wie ein glühender Stab. Neununddreißig Tage lang bahnten wir uns einen Weg, der alte Nfo Tuabe hatte mich gebeten, nicht durch sein Dorf zu ziehen. Wir erreichten den Rand des Dschungels also ganz unversehens. Zu Ende war auf einmal dieses schwüle Höllengewirr von Blättern, Schlingpflanzen, schreienden Papageien und Affen: vor uns lag, so weit das Auge reichte, eine Ebene, fahl wie das Fell eines alten Löwen. Zwischen Kaktusgruppen Erhebungen — die Termitenhügel, oftmals unförmig, weil blind von innen her gebaut. Hier verbrachten wir die Nacht. Am Morgen erwachte ich mit schrecklichen Kopfschmerzen. Am Vortage hatte ich unvorsichtigerweise für einen Moment den Helm abgenommen. Die Sonne stand hoch. Die Glut war so stark, daß die Luft die Lungen verbrannte. Die Bilder der Gegenstände flimmerten, als stünde der Sand in Flammen. Ich war allein. Die Neger hatten die Schnur mit den Zähnen durchgenagt und waren geflohen. Nur Uagadu, ein Knabe von dreizehn Jahren, war geblieben.
Wir machten uns auf den Weg. Zu zweit schleppten wir Gepäckstücke ein paar Dutzend Schritte vorwärts, dann kehrten wir um und holten den Rest. Diese Wanderung mußte fünfmal wiederholt werden, in einer Sonne, die wie die Hölle brannte. Trotz meines weißen Hemdes bekam ich auf dem Rücken Geschwüre, die nicht abheilten. Ich mußte auf dem Bauch schlafen. Aber das ist lauter dummes Zeug. Einen ganzen Tag lang drangen wir immer tiefer in die Termitenstadt vor.
Ich weiß nicht, ob es auf der Welt etwas Schrecklicheres gibt. Stellen Sie sich das nur vor: von allen Seiten, von hinten und vorn steinerne Säulen, zwei Stockwerke hoch. An manchen Stellen so dicht, daß man sich kaum hindurchzwängen kann. Ein unendlicher Wald rauher, grauer Säulen. Und bleibt man stehen, hört man drinnen ein leises, unaufhörliches, gleichmäßiges Rascheln, das zuweilen in ein einzelnes Klopfen übergeht. Legt man die Hand an die Wand, spürt man ein Zittern und Wimmeln, Tag und Nacht. Einige Male zertraten wir einen dieser Tunnel, die wie aschgraue Seile aussehen, die in ganzen Bündeln über die Erde verstreut sind. In endlosen Reihen zogen weiße Insekten darin entlang. Sogleich zeigten sich die Hornhelme der Soldaten, die mit ihren Scheren blindlings in die Luft schnitten und eine ätzende, klebrige Flüssigkeit verspritzten. So ging ich zwei Tage, von Orientierung konnte keine Rede sein. Zwei-, drei-, viermal am Tag kletterte ich auf einen Hügel, der die anderen überragte, um den zu suchen, von dem Nfo Tuabe gesprochen hatte. Ich sah nur den steinernen Wald. Der Dschungel hinter uns wurde zu einem grünen Streifen, zu einer blauen Linie am Horizont, dann verschwand er ganz. Der Wasservorrat nahm ab. Und die Hügel nahmen kein Ende. Durch das Fernglas sah ich sie bis an den Horizont, wo sie eins wurden wie die Ähren auf einem Getreidefeld. Ich bewunderte den Jungen. Ohne zu klagen, machte er alles wie ich, ohne dabei zu wissen, weshalb und wozu. Vier Tage waren wir so unterwegs. Ich war von der Sonne völlig betrunken. Die Schutzbrille half nichts. Ein schrecklicher Glanz war sowohl am Himmel, den man vor Sonnenuntergang nicht ansehen konnte, als auch auf dem Sand, der wie Quecksilber gleißte. Ringsum aber die Palisaden der Termiten — ohne Ende. Keine Spur eines lebendigen Wesens. Nicht einmal Geier kamen hierher. Nur hier und da gab es einsame Kakteen. Am Abend endlich, nachdem ich die Wasserportion für diesen Tag abgeteilt hatte, kletterte ich auf die Spitze eines sehr hohen Baus. Ich glaube, er mußte sich noch der Zeiten Cäsars erinnern. Bereits ohne alle Hoffnung hielt ich Ausschau, als ich im Fernglas einen schwarzen Punkt sah. Erst dachte ich, die Linse sei verschmutzt, aber da irrte ich. Es war der gesuchte Hügel. Am Morgen stand ich auf, als die Sonne sich noch hinterm Horizont befand. Mit Mühe brachte ich den Jungen wach. Wir begannen unsere Sachen in die Richtung zu tragen, die ich mit dem Kompaß festgelegt hatte. Auch eine Skizze der Umgebung hatte ich angefertigt. Die Hügel waren jetzt etwas niedriger, standen jedoch immer enger und bildeten schließlich eine solche Palisade, daß ich nicht mehr hindurchkam. Der kleine Neger schaffte es gerade noch, ich reichte ihm, zwischen zwei Zementsäulen stehend, die Pakete und zwängte mich weiter oben durch. So legten wir in fünf Stunden vielleicht hundert Meter zurück. Ich sah, daß wir es auf diese Weise zu nichts bringen würden, aber mich hatte ein Fieber gepackt.
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