Ich tischte ihr einen Teil meiner unglaublich klingenden Geschichte auf. „Ich brauchte also zwei Wochen, um ins Imperium einzudringen, und als mir das gelungen war, stellten sich alle Kontakt-Kodes als gesperrt heraus. Kann die Bank mir einen anderen Komm-Kode oder vielleicht eine neue Anschrift nennen?“
„Wir schauen nach. Wie heißt die Firma, für die Sie arbeiten?“
„Sie hat mehrere Namen. Einer ist System Enterprises.“
„Wie heißt Ihr Chef?“
„Er hat keinen Namen. Er ist nicht mehr jung, untersetzt, hat nur noch ein Auge und bewegt sich langsam auf zwei Krücken. Kommen wir damit weiter?“
„Das werden wir sehen. Sie haben mir eben gesagt wir bezahlten Ihre Master-Charge-Kreditkarte, die durch die Imperial-Bank von Saint Louis ausgegeben worden sei. Lesen Sie mir bitte langsam die Nummer der Karte vor.“
Ich kam der Aufforderung nach. „Wollen Sie sie auch photographieren?“
„Nein. Nennen Sie mir ein Datum.“
„Zehn-sechsundsechzig.“
„Vierzehn-zweiundneunzig“, antwortete sie.
„Viertausendundvier vor Christus“, stimmte ich zu.„Siebenzehn-sechsundsiebzig“, gab sie zurück.
„Zweitausendundzwölf“, konterte ich.
„Sie haben einen ziemlich verqueren Humor, Miß Baldwin. In Ordnung, vorläufig gehen wir davon aus daß Sie sind, was zu sein Sie vorgeben. Wenn Sie es aber nicht sind, möchte ich schon jetzt mit Ihnen wetten, daß Sie den nächsten Kontrollpunkt nicht überleben. Mr. Doppelkrücke hat etwas gegen ungebetene Eindringlinge. Notieren Sie sich folgenden Komm-Kode. Dann lesen Sie ihn mir noch einmal vor.“
Ich gehorchte.
Eine Stunde später fuhr ich in San José am Palast der Konföderation vorbei, um mich wieder einmal zum Gebäude der California Commerce Bank zu begeben, entschlossen, mich diesmal vor dem Palast nicht in irgendwelche Auseinandersetzungen verwickeln zu lassen, egal, was für Attentatsversuche dort ablaufen mochten. Ich machte mir Gedanken über die Tatsache, daß ich mich genau dort befand wo ich schon einmal vor … äh … zwei Wochen gewesen war. Sollte ich von diesem Punkt aus wieder nach Vicksburg geschickt werden, mochte ich den Verstand verlieren.
Im Bankgebäude war aber nicht die MasterCharge-Organisation mein Ziel, sondern eine Anwaltsfirma in einem anderen Stockwerk; ich hatte dort angerufen, nachdem mir ihr Komm-Kode vom Mond durchgegeben worden war. Eben hatte ich die Ecke des Gebäudes erreicht, als dicht neben mir eine Stimme sagte: „Miß Freitag.“
Hastig sah ich mich um. Eine Frau in der gelben Uniform einer Taxifahrerin …Ich schaute noch einmal hin. „Goldie!“
„Sie haben ein Taxi bestellt, Miß? Über den Platz und die Straße hinab. Wir dürfen hier nicht parken.“
Gemeinsam gingen wir über den Platz. Ich wollte begeistert losreden, aber Goldie brachte mich zum Schweigen. „Benimm dich bitte wie ein Taxigast! Der große Boß möchte, daß wir nicht auffallen.“
„Warum nennst du mich ›Miß‹?“
„Das ist besser so. Im Augenblick wird sehr auf Disziplin geachtet. Daß ich dich aufgreifen darf, geht auf eine Sondererlaubnis zurück, die nie ausgesprochen worden wäre, wenn ich nicht hätte klarmachen können, daß ich dich ohne Kennworte klar identifizieren kann.“
„Nun ja. Na schön. Aber sag bloß nicht ›Miß‹ zu mir, wenn es nicht unbedingt sein muß. Meine Güte liebste Goldie, ich freue mich so sehr über deinen Anblick, daß ich weinen könnte!“
„Ich auch. Zumal du erst diesen Montag tot gemeldet worden bist. Da habe ich wirklich geweint. Mehrere andere auch.“
„›Tot‹? Ich? Ich bin dem Tod nicht einmal nahe gewesen, nirgendwo. Ich erinnere mich an keine Gefahren. Ich bin lediglich herumgeirrt. Und jetzt hat man mich aufgespürt.“
„Das freut mich.“
Zehn Minuten später wurde ich in das Büro des Chefs geführt. „Freitag meldet sich zum Dienst, Sir“ sagte ich.
„Sie kommen spät.“
„Ich habe ’ne hübsche Rundtour gemacht, Sir. Mit dem Ausflugsdampfer auf dem Mississippi.“
„Das hatte ich schon vernommen. Sie scheinen die einzige Überlebende zu sein. Ich meinte aber eben daß Sie heute spät dran sind. Sie überquerten die Grenze nach Kalifornien um zwölf-null-fünf. Jetzt ist es siebzehn-zweiundzwanzig.“
„Verdammt, Chef, ich hatte Probleme!“
„Von Kurieren wird erwartet, daß sie sich solchen Problemen entziehen und auf jeden Fall schnell vorankommen.“
„Verdammt, Chef, ich war nicht im Dienst, ich war kein Kurier. Ich war noch immer im Urlaub; es steht Ihnen nicht zu, mich zu tadeln! Wären Sie nicht umgezogen, ohne mich zu verständigen, hätte es nicht den geringsten Ärger gegeben. Ich war vor zwei Wochen schon mal hier in San José, einen Steinwurf von hier entfernt.“
„Dreizehn Tage ist das jetzt her.“
„Chef, Sie stellen sich nur deswegen haarspalterisch an, weil sie nicht zugeben wollen, daß Sie Schuld haben, nicht ich.“
„Nun ja, ich nehme die Schuld auf mich, wenn man überhaupt davon sprechen kann — aber nur damit wir nicht weiter herumstreiten und Zeit verschwenden.
Ich hatte alles Nötige veranlaßt, Sie zu verständigen nicht nur die Routinenachricht, die den anderen Einsatzagenten zuging welche sich nicht gerade im Hauptquartier aufhielten. Tut mir leid, daß dieser besondere Aufwand nichts gefruchtet hat. Freitag, wie kann ich Sie davon überzeugen, daß Sie einzigartig sind und meine Organisation Sie nicht verlieren möchte? In Erwartung der Ereignisse, die später als ›Roter Donnerstag‹ bezeichnet wurden …“
„Chef! Hatten wir damit zu tun?“ Ich war entsetzt.„Wie kommen Sie nur auf eine solche obszöne Idee? Nein. Unsere Informations-Abteilung projizierte eine solche Entwicklung — teils aus Daten, die Sie uns von L-5 geliefert haben —, woraufhin wir Vorsichtsmaßnahmen einleiteten, rechtzeitig wie wir annahmen. Die ersten Angriffe aber fanden früher statt als es unsere pessimistischsten Projektionen vorgesehen hatten. Am Beginn des Roten Donnerstags waren wir noch immer mit unserem Gepäck beschäftigt; wir mußten uns einen Weg über die Grenze bahnen. Mit Bestechung, nicht mit Gewalt. Die Benachrichtigung über den Adressenwechsel und der Komm-Kodes waren schon hinausgegangen, aber erst als wir hier waren und unsere Komm-Zentrale funktionsbereit war, erfuhr ich, daß von Ihnen die Routinebestätigung noch nicht eingetroffen war.“
„Aus dem einfachen Grund, weil ich die Routinebenachrichtigung nicht bekommen hatte!“
„Bitte! Als ich erfuhr, daß Sie sich nicht gemeldet hatten, versuchte ich Sie zu Hause in Neuseeland anzurufen. Sie wissen vielleicht, daß es eine Unterbrechung der Satellitenverbindungen gab …“
„Ich habe davon gehört.“
„Genau. Ich bekam den Anruf etwa zweiunddreißig Stunden später durch. Ich sprach mit Mrs. Davidson, einer etwa vierzig Jahre alten Frau mit ziemlich spitzen Gesichtszügen. Die Seniorfrau Ihrer SGruppe?“
„Ja. Anita. Oberste Scharfrichterin und sonst auch alles.“
„Den Eindruck hatte ich auch. Außerdem gewann ich den Eindruck, daß Sie dort persona non grata waren.“
„Sicher war das mehr als nur ein Eindruck. Sprechen Sie weiter, Chef! Was hat der alte Drachen über mich vom Stapel gelassen?“
„Beinahe nichts. Sie hätten die Familie recht plötzlich verlassen. Nein, Sie hätten keine Nachsendeanschrift und auch keinen Komm-Kode angegeben.
Nein, sie würde keine Nachricht entgegennehmen und auch keine weiterleiten. Sie habe viel zu tun; Marjorie habe der Familie ein scheußliches Durcheinander hinterlassen. Leben Sie wohl.“
„Boß, sie hatte Ihre Anschrift im Imperium. Sie kannte außerdem die Anschrift der SA&CA in Luna City, weil ich von dort meine monatlichen Zahlungen an die Familie leistete.“
„Das reimte ich mir so etwa zusammen. Mein Vertreter in Neuseeland …“ — das erstemal, daß ich von ihm erfuhr! — „verschaffte mir die Büroanschrift des Senior-Mannes Ihrer S-Gruppe, eines gewissen Brian Davidson. Er war höflicher und in gewisser Weise auch hilfsbereiter. Von ihm erfuhren wir, mit welchem Shuttle Sie von Christchurch abgeflogen waren.
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